Zwischen Stuhl und Bank
Loyalität gegenüber Arbeitnehmenden hat an Bedeutung verloren. Das betrifft Angehörige der Generation X verstärkt, meinen zwei HR-Fachleute, die sich im Zuge der Pandemie neu orientiert haben.
«Wir gehören zur ‹Work hard, play hard›-Generation», sagen Barbara Greutter, die zuletzt in einer C-Level-Funktion bei einem börsenkotierten Unternehmen arbeitete und heute selbständige Beraterin ist, und Miriam Higgins, deren HR-Stelle kürzlich nach einer Firmenfusion gestrichen wurde. «Der Leistungsbeitrag der Generation X wird zwar geschätzt, dennoch wird sie in den Betrieben häufig übersehen», ergänzt Higgins. Das sei wissenschaftlich erwiesen: «Die Forschung von Lynda Gratton zeigt, dass Babyboomer in einflussreichen Positionen eher die Generation ihrer Kinder fördern.» Menschen im mittleren Alter aufs Abstellgleis zu schieben, sei jedoch ein strategischer Fehler, meinen Greutter und Higgins. HR sei deshalb gefordert, die Entwicklung der Generation X im Auge zu behalten und die für die Digitalisierung wichtiger werdenden Skills bei dieser Mitarbeitergruppe zu fördern.
Trotz Leistung wenig Vorteile
«Firmen gehen zu wenig zielgruppengerecht auf ihre Mitarbeitenden ein», beanstanden Greutter und Higgins den Umgang mit den Beschäftigten aller Altersgruppen. So auch auf jene der Angehörigen der Jahrgänge 1965 bis 1980: «Sie leisten viel, profitieren aber nicht immer von den Vorteilen, die Mitarbeitende anderer Altersklassen haben», sagt Higgins. Etwa von Work-Life-Balance-Angeboten oder Vaterschaftsurlauben. Diese und andere Themen hätte die Generation X jedoch vorangetrieben: «Davon profitieren alle nachkommenden Generationen.» HR verkenne zudem die unterschiedlichen Bedürfnisse der Generationen, aber auch, dass diese nicht statisch sind. «Ein 50-Jähriger denkt heute anders als ein Babyboomer im Alter von 50 Jahren oder die Generation Y», sagt Higgins.
Sich in ein Hierarchiekorsett zu zwängen, liege jungen Menschen genauso wenig wie den Angehörigen der Generation X. So auch Greutter und Higgins: «Wir haben eine Portfolio-Karriere gewählt, weil wir viel zu geben haben und unabhängiger sein möchten.» Der Trend zum Mehrfachengagement verstärke sich aber auch, weil gut bezahlte Jobs in Unternehmen mit starken Hierarchien seltener würden und diese Firmen zudem häufiger restrukturiert würden.
Mittlerweile eine Binsenweisheit: Wer die magische Grenze von 50 Jahren überschritten hat, tut sich auf dem Arbeitsmarkt schwerer: «Um uns entsprechend unseren Fähigkeiten im Arbeitsmarkt zu positionieren, sind wir auf unsere Netzwerke angewiesen», sagt Greutter. In der Schweiz herrsche nach wie vor ein konservatives Menschenbild. «Viele HR-Fachleute können sich nicht vorstellen, dass wir weitere Karriereschritte machen wollen.» Dabei wäre es ein Vorteil für die Unternehmen: «In unserem Alter geht es zudem nicht mehr um Status oder einen Jobtitel, sondern darum, unsere Kompetenz einzubringen, zu wachsen und intellektuell gefordert zu sein. Wir möchten einen Beitrag im Kleinen wie im Grossen leisten.»
Nicht nur Firmen müssen sich verändern, gefragt sei auch ein gesellschaftlicher Wandel: «Die Grenzen zwischen angestellt, arbeitslos und selbständig sind zu starr», sagen Greutter und Higgins. «Menschen können aus sozialversicherungstechnischen und rechtlichen Vorgaben nicht einfach so zwischen den verschiedenen Arbeitsformen wechseln», ergänzt Higgins. Besonders in Krisenzeiten und in mittlerem Alter sei dies aber vonnöten: «Menschen müssen auch nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses weiterhin arbeiten können.» Der grosse Unterschied zwischen der Absicherung eines Angestellten und der Unsicherheit eines Selbständigen führe aber dazu, dass Menschen an Arbeitsplätzen festhalten. «Das erschwert Unternehmen den flexiblen Einsatz von Talenten.»