Achtung, fertig, Scrum!
Scrum ist eine Methode des agilen Projektmanagements, die das Leadership-Verständnis neu definiert. Projekte und Produkte sollen unter feinmaschiger Teamarbeit und ständiger Erfolgsprüfung entwickelt werden. Während die Versicherungsgesellschaft Mobiliar Scrum vor allem für Business-Projekte nutzt, setzt die Schweizerische Post das agile Vorgehen auch für HR-Projekte ein.
Scrum: Das «Angeordnete Gedränge» bezeichnet im Rugbysport eine Standardsituation, um das Spiel nach kleineren Regelverstössen neu zu starten. (Bild: 123RF)
Der Begriff Scrum stammt aus dem Rugby und bezeichnet eine Standardsituation mit der das Spiel nach einem Regelverstoss neu gestartet wird. Dabei können die Spieler dicht aneinandergedrängt verschiedene Formationen annehmen. Im Projektmanagement ist der Begriff als Analogie für aussergewöhnlich erfolgreiche Produktentwicklungsteams populär geworden: Diese Teams sind flexibel, dynamisch und tauschen sich täglich aus. Der Begriff ist erstmals in den 1980er Jahren in Zusammenhang mit dem sogenannten «Lean Management» aufgekommen.
Scrum eignet sich für viele Projekte, vor allem aber für innovative, komplexe Themen. Der Kunde ist voll involviert; ihm wird nicht einfach das fertige Ergebnis präsentiert, sondern er plant und entscheidet mit und steht in ständigem Austausch mit dem Scrum-Team. Bei Änderungen oder unerwarteten Problemen kann das Team entsprechend schnell reagieren.
Mit Scrum die Komplexität meistern
Zwei Schweizer Firmen, die nach Scrum arbeiten, sind die Mobiliar und die Schweizerische Post. Die Mobiliar nutzt Scrum seit 2007 für diverse Projekte jeder Grösse. «Die Arbeitswelt hat sich in den letzten 20 Jahren extrem schnell verändert und ist immer komplexer geworden», sagt Dubravka Widmer, Scrum-Master bei der Mobiliar. «Alte Methoden stossen an ihre Grenzen und eine Person allein kann nicht mehr die Übersicht über ein ganzes Projekt haben und es alleine stemmen.» Um mit dem steten Wechsel besser umgehen zu können, hat die Mobiliar Scrum eingeführt. Mit der agilen Projektmethode will der Konzern Transparenz gewinnen, jederzeit über den Projektstand informiert sein und flexibel entscheiden, wie es weitergehen soll.
Auch die Schweizerische Post setzt schon seit Längerem auf Scrum. Seit drei Jahren kommt das Vorgehen auch im HR zur Anwendung – neben klassischen Projektmethoden. Bisher wurden drei Projekte realisiert: ein Sharepoint-Projekt, das als Kulturprojekt aus dem HR initialisiert wurde, ein HR-IT-Projekt sowie ein Employer-Branding-Projekt, für das die Post im Dezember mit dem HR Excellence Award ausgezeichnet wurde (vgl. Online-Artikel «HR Excellence Award in Berlin»).
«Scrum war für diese Projekte sehr hilfreich», ist Projektleiter und Scrum-Product-Owner Marcel Reinhard überzeugt. So überzeugt, dass er geholfen hat, die ganze Organisation des HR-Marketings bei der Post umzukrempeln. Das Team wird nun nach Scrum geführt. «Wir haben im Januar damit angefangen. Im Team kommt es sehr gut an; die Mitarbeitenden kennen Scrum ja schon vom Employer-Branding-Projekt. Sie freuen sich, dass es nun so weitergeht», erzählt Reinhard.
Für das Management bedeutet eine agile Führung wie Scru-m eine Entlastung, weil die Administration reduziert und mehr Arbeit ans Team delegiert wird. Deshalb will Reinhard Scrum noch vermehrt im HR platzieren, vor allem für Projekte. Für den Product-Owner sind die Vorteile klar: «Wir sind schneller unterwegs, das Team kann Entscheide selber fällen, ist motiviert und es herrscht völlige Transparenz – jeder weiss, was läuft.» Zudem könne man flexibel reagieren.
Auch für Dubravka Widmer liegen die Vorteile von Scrum klar auf der Hand. Die Effizienz wird gesteigert, was auch die Freude an der Arbeit steigert. Sie vergleicht ein Scrum-Team mit einem Orchester: «Ein Violinist und ein Pianist alleine können weniger erreichen als das ganze Orchester gemeinsam.» So entstehe auch im Scrum-Team eine Gruppendynamik, die grossartige Resultate mit sich bringe. Durch die enge Einbindung des Kunden in den Entwicklungsprozess können Lösungen nach Mass realisiert werden.
Und wie wird die Methode bei den beiden Grosskonzernen umgesetzt? Bei der Mobiliar treffen sich die Teams täglich zu sogenannten Daily Scrums und bringen sich innert 15 Minuten auf den neusten Stand. Eigentlich wird nach jedem «Sprint» – also nach ein bis vier Wochen – Feedback beim Kunden eingeholt. Je nach Projekt sind das bei der Mobiliar die Mitarbeiter der Generalagenturen oder Fachvertreter, wobei es nur zwei Releases pro Jahr gibt. «Wir versuchen im Rahmen eines Pilotprojekts, einen monatlichen Takt zu erreichen, doch das ist eine grosse Herausforderung», sagt Widmer. Denn die Abhängigkeiten zwischen den Systemen sei gross: Wird an einem Ort etwas angepasst, wirkt sich das woanders aus.
Auch in den HR-Projekten der Post passt man den Scrum-Rahmen etwas an. Statt sich täglich 15 Minuten zu treffen, findet der Austausch aus organisatorischen Gründen zweimal pro Woche statt, dafür für eine Stunde. So können alle Teammitglieder, auch Teilzeitler, an den Scrums dabei sein. Für Führungskräfte bedeutet Scrum ein Umdenken. Nicht sie entscheiden, wie ein Produkt entwickelt wird, sondern das Entwicklungsteam. «Scrum übergibt die Verantwortung an die Gruppe, was im Management Angst vor Kontrollverlust auslösen kann», sagt Dubravka Widmer. Manche hätten auch das Gefühl, in der neuen Welt keinen Platz mehr zu haben. Denn der Scrum-Master ist nicht für das Ergebnis des Teams zuständig, sondern sorgt lediglich für eine kollegiale Atmosphäre, räumt Hindernisse aus dem Weg und stellt sicher, dass die Scrum-Regeln eingehalten und die Scrum-Werte respektiert werden.
Andere Führungsqualitäten gefragt
Dementsprechend braucht ein Scrum-Master auch ein ganzes Bündel an Qualitäten: Er sollte veranwortungsbewusst sein, weil er dafür zu sorgen hat, dass Scrum korrekt angewendet wird. Er sollte bescheiden sein und sich selbst nicht in den Vordergrund stellen. Er sollte eine Kultur der Kollaboration und Offenheit pflegen und versuchen, das entsprechende Mindset auch zu verbreiten. Zudem sollte er kontaktfreudig sein und den Austausch mit Menschen lieben. Ausserdem muss er verschiedene «Sprachen» beherrschen, wie Scrum-Master Dubravka Widmer erläutert: «Damit meine ich nicht Fremdsprachen, sondern den Jargon der verschiedenen Zielgruppen.» Nicht zuletzt braucht ein Scrum-Master auch Überzeugungskraft, da er ein Team dazu bringen muss, etwas zu tun, ohne dass er über Weisungskompetenzen verfügt. Ob auch fachliches Know-how essenziell ist, daran scheiden sich die Geister. Widmer ist der Meinung, dass zumindest ein breites Grundwissen nötig ist, damit Scrum-Master mitreden können.
Wie Widmer ist auch Reinhard der Ansicht, dass sich eine Führungskraft oder ein Projektleiter zurücknehmen muss. «Das braucht Mut, denn das Team fällt die Entscheidungen.» Neben der Abnahme der Resultate seien die Hauptaufgaben des «Bosses» in einem Scrum-Team, dieses zu motivieren, in hektischen Zeiten Ruhe hineinzubringen und vor allem zu wissen, was Scrum ist, also das Vorgehen kennen und anwenden können. Auch für die Mitarbeiter ändert sich einiges: Alles ist transparent und offen, jeder sieht, wer was geleistet hat. «Dafür muss man bereit sein», betont Reinhard. Zudem brauche es Vertrauen in die Teamkollegen wie auch den Mut, schnelle Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Ans HR stellt Dubravka Widmer ganz konkrete Forderungen: So gelte es, Weiterbildungen für Scrum bereitzustellen. Zusätzlich brauche es neue Gratifikationsmodelle, um nicht nur einzelne Individuen wie den Scrum-Master oder Product-Owner zu belohnen, sondern ganze Teams. Und bei der Mitarbeiter-Beurteilung genüge es nicht, nur den Scrum-Master oder Vorgesetzten nach seiner Meinung zur Performance der Mitarbeiter zu fragen, sondern auch das Feedback der Kollegen aus den Scrum-Teams einzuholen.
Damit Scrum im Unternehmen funktioniert, ist es laut Widmer auch wichtig, dass das Management hinter der Methode steht. Und natürlich braucht es auch eine entsprechende Unternehmenskultur, wo Experimente erwünscht und Fehler erlaubt sind. «Der Einsatz von Scrum im Unternehmen ändert und bewegt sehr viel», betont Marcel Reinhard. Deshalb brauche es eine offene und transparente Vertrauenskultur. Denn nicht nur die Führung muss agil werden, sondern die ganze Organisation. Wie so oft bei Neuerungen stösst Reinhard aber auch auf Widerstand: Scrum sei in der Post nicht überall integriert und es bestehe viel Erklärungsbedarf. So fragten etwa Projekt-Partner, die nicht mit agilen Methoden arbeiten, nach einem klassischen Projekt-Konzept, das es aber nach Scrum eben genau so nicht mehr gibt.
Was ist Scrum?
Am Anfang steht eine Vision. Die Vision eines Kundenportals, einer Software mit bestimmten Eigenschaften, eines aussagekräftigen Arbeitgeberauftritts. Diese Vision in ein fertiges Produkt umzusetzen, ist das Ziel von Scrum. Der exakte Weg zum Ziel ist nicht bekannt, dieser wird im Lauf des Projekts entwickelt.
Das Scrum-Framework kennt drei Rollen: Den Product-Owner, das Entwicklungsteam und den Scrum-Master. Diese bilden zusammen das Scrum-Team. Der Product-Owner ist für den wirtschaftlichen Erfolg des Produkts verantwortlich. Der Scrum-Master sorgt dafür, dass Scrum gelingt. Er moderiert die täglichen Sitzungen, schafft Hindernisse aus dem Weg wie Konflikte oder Kommunikationsprobleme, gibt aber einzelnen Teammitgliedern keine Anweisungen. Er hat die Aufgabe eines Trainers oder Coaches und stellt sicher, dass alle Regeln eingehalten, Scrum korrekt angewendet und die Scrum-Werte (Commitment, Fokus, Offenheit, Respekt, Mut) gelebt werden. Der Scrum-Master steuert das Team in Richtung Kollaboration und stärkt den Austausch und den Teamgeist. Das Entwicklungsteam besteht aus drei bis zehn Leuten und setzt die Anforderungen und Merkmale des Produkts um. Es organisiert alle Aufgaben selbst, wobei es im Team keine Hierarchie gibt.
Der Product-Owner leitet aus der Vision Funktionen und Eigenschaften des Produkts ab. Diese Anforderungen an das Produkt oder an die Lösung eines Projekts werden in sogenannten User-Stories formuliert. Aus diesen Anforderungen wird ein Product-Backlog zusammengestellt, eine Sammlung sämtlicher Funktionen und Merkmale des Produkts. Am Anfang ist diese Beschreibung noch grob, im Projektverlauf werden die einzelnen Funktionen und Eigenschaften immer detaillierter formuliert und beschrieben.
In einer ersten Besprechung wird ein Sprint geplant, also ein Arbeitsabschritt von ein bis vier Wochen, wo Teilaufgaben des Projekts erledigt werden. Sprints folgen unmittelbar aufeinander. Im Sprint arbeiten die Teammitglieder an ihren Aufgaben und entwickeln Teillösungen. Um den Erfolg zu überprüfen, trifft sich das Team täglich für 15 Minuten. Während dieser Scrums berichtet jeder, was er seit dem letzten Scrum gemacht hat und bis zum nächsten tun wird, wie er vorankommt und wo es Probleme gibt. Der Scrum-Master hilft dabei, die Probleme zu beseitigen.
Für jeden Spint werden die Anforderungen respektive User-Stories neu priorisiert. Damit wird sichergestellt, dass immer die aktuellsten Anforderungen umgesetzt werden. Jeder Sprint wird durch eine Sprint-Retrospektive und ein Sprint- Review-Meeting abgeschlossen, in dem das Team seine Ergebnisse dem Kunden und den Stakeholdern vorstellt. Es wird überprüft, ob die gesteckten Ziele des Sprints erreicht wurden und was noch verbessert oder geändert werden muss. Transparenz über den Fortschritt des Produkts und des Sprints gehört zum Kern von Scrum. Mit Scrum kann man sich auf diese Weise ständig an neue Begebenheiten anpassen und das Unternehmen bleibt flexibel.