Masseneinwanderungsinitiative: Der Unmut wächst
Vor zwei Jahren stimmte die Schweiz über die Masseneinwanderungsinitiative ab. Seither beklagen sich Firmen vermehrt, dass es schwieriger werde, Fachpersonal aus Drittstaaten anzustellen. Vor allem international ausgerichtete Unternehmen kämpfen mit Schwierigkeiten.
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Für international ausgerichtete Firmen ist das Klima in der Schweiz seit der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) rauer geworden. Diesen Eindruck gewinnt zumindest, wer sich bei Arbeitgebern umhört. Ein grosses Schweizer Big-Four-Beratungsunternehmen etwa bekundet zunehmend Mühe, Aufenthaltsbewilligungen für Fachpersonal aus sogenannten Drittstaaten zu erhalten. So wurde der HR Today-Redaktion zugetragen, dass für ein HR-Beratungsprojekt weder in der Schweiz noch in den EU-/EFTA-Staaten eine geeignete Person gefunden werden konnte. Die Konsequenz: Das ganze Projektteam wurde im Ausland aufgebaut, wo Aufenthaltsbewilligungen einfacher vergeben werden.
Mit ähnlichen Problemen hat Teralytics zu kämpfen. Das im Bereich Big Data tätige ETH-Spin-off ist auf sehr spezialisierte Fachkräfte – namentlich Software Engineers und Data Scientists – angewiesen, von denen es in der Schweiz und der EU schlicht zu wenig gibt. Somit muss Teralytics weltweit nach diesen Fachleuten suchen. «Es ist aber sehr umständlich, Mitarbeiter aus Drittstaaten einzustellen», erklärt Daniel Naeff, Vice President Operations bei Teralytics und unter anderem auch für das Personalwesen zuständig. «Das Visum zu beantragen, kostet uns viel Zeit und Geld.» Der Fachkräftemangel in diesem Bereich ist so ausgeprägt, dass es teilweise mehrere Monate dauert, bis der gewünschte Spezialist gefunden wird. Und danach müsse das Start-up noch eine weitere «Extrameile» gehen, um das Visum zu bekommen, erläutert Naeff.
Die Firma hat allerdings den Vorteil, neben dem Hauptsitz in der Schweiz noch Standorte in Singapur und New York zu besitzen. So kann eine dringend benötigte Arbeitskraft auch im Ausland angestellt werden. Eine weitere Option: Naeff stellt eine Person an, holt sie aber nicht in die Schweiz, sondern sie arbeitet einfach in ihrem Heimatland im Home Office. «Wir können zum Glück flexibel reagieren», sagt Naeff. Teralytics beschäftigt weltweit rund 50 Mitarbeiter, wobei diese aus über 20 verschiedenen Ländern stammen. Besonders hinderlich findet Naeff die erschwerte Anstellung von Mitarbeitern aus Drittstaaten, die bereits in der Schweiz studiert haben. «Obwohl sie schon ein Studentenvisum erhalten hatten und hier in der Schweiz auf Kosten der Steuerzahler ausgebildet wurden, müssen wir trotzdem umständlich ein Visum beantragen, wenn wir sie nach dem Studium anstellen wollen.» Das dünke ihn eigenartig. «Solche Personen müssen leichter ein Visum bekommen», fordert Naeff.
Daniel Naeff, Vice President, Teralytics: «Obwohl Berufseinsteiger aus Drittstaaten in der Schweiz auf Kosten der Steuerzahler studiert haben, müssen wir umständlich ein Visum beantragen.»
Schmerzhafte Mehrbelastungen
Bis jetzt wurden die für Teralytics wichtigsten Anträge immer gutgeheissen. Dafür sieht Naeff mehrere Gründe: «Wir klären vorher genau ab, ob es kompliziert werden könnte.» Ausserdem seien die beantragten Personen sehr stark spezialisiert, was eine Arbeitsbewilligung erleichtere.
Für Naeff ist die Masseneinwanderungsinitiative der SVP alles andere als durchdacht: «Wir sind ausschliesslich daran interessiert, die besten auf ihrem Gebiet einzustellen – unabhängig von Nationalität oder anderen nicht-fachspezifischen Faktoren. Wenn es zu wenig passende Leute in der Schweiz gibt, sind wir auf Fachkräfte im Ausland dringend angewiesen.» Um den Bedarf an Fachkräften abzudecken, würde er sich schnellere Verfahren und weniger Bürokratie wünschen, erklärt der Start-up-Unternehmer. Denn heute müsse er für Drittstaatler mit mindestens drei Monaten Vorlauf rechnen, bis sein Antrag akzeptiert werde. «Für manche Unternehmen, insbesondere kleine, stellt diese Wartezeit und Ungewissheit eine äusserst schmerzhafte Mehrbelastung dar.» Denn gerade Start-ups würden sich extrem schnell verändern. Die passende Fachkraft rechtzeitig einstellen zu können, könne ein entscheidender Faktor mit weitreichenden Folgen sein, erklärt Naeff.
Insbesondere, wenn es darum gehe, mit einer Neueinstellung einen nächsten Produkt-Entwicklungsschritt oder eine Investitionsrunde abschliessen zu können, was den Markteintritt beschleunigen und schlussendlich auch einen Durchbruch mit der Schaffung zahlreicher neuer Stellen ermöglichen könne. «Drei Monate Wartezeit kann man sich da kaum leisten.» Kommt eine Kontingentierung auch für EU-/EFTA-Bürger zur Anwendung, müsste Naeff noch länger nach einer geeigneten Fachkraft suchen. «Wenn die Hürden hierzulande zu hoch sind, wird man als global aufgestellter Schweizer Arbeitgeber gezwungen, die Stellen ins Ausland zu verlagern. Das ist kaum im Interesse der Schweizer Wirtschaft, oder?»
Unsicherheit und Planungsprobleme
Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt beim Schweizerischen Arbeitgeberverband, kann die Erfahrung von Daniel Naeff bestätigen: «Wir hören auch, dass es schwieriger wurde, Visa für Mitarbeiter aus Drittstaaten zu erhalten. Auch das Verfahren wurde komplizierter.» Für die Wirtschaft sei es zudem problematisch, dass die Kontingente 2015 reduziert worden seien. Als Folge würden ganze Projekte ins Ausland verlegt – davon seien auch inländische Mitarbeiter betroffen: Seien sie an solchen Projekten beteiligt, verlören sie ihre Stelle.
Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt, Arbeitgeberverband: «Viele Unternehmen überlegen sich, ob sie das nötige Personal noch finden, und halten sich mit Investitionen zurück.»
Lützelschwab stellt als Folge der Masseneinwanderungsinitiative eine vermehrte Unsicherheit und Planungsschwierigkeiten bei den Unternehmen fest. «Viele überlegen sich, ob sie das nötige Personal noch finden, und halten sich mit Investitionen zurück», sagt die Expertin. Auch werden gewisse Bereiche ins Ausland verlagert. Das hänge aber nicht nur mit der MEI zusammen, relativiert Lützelschwab. «Auch die Frankenstärke und weitere Faktoren tragen zur Unsicherheit bei.» Dennoch könne die MEI aber, in Kombination mit anderen Faktoren, ein Grund sein, warum Unternehmen die Schweiz künftig meiden. Als Folge der MEI sei es bei den Unternehmen zu einer verstärkten Sensibilisierung gekommen und viele würden Massnahmen ergreifen, um die eigenen Mitarbeiter noch besser im Unternehmen zu halten.
Ältere Mitarbeiter anzustellen, um dem Inländervorrang gerecht zu werden, sieht Lützelschwab nur bedingt als Lösung. «Die Generation 50+ ist bereits stark in den Erwerbsprozess integriert, was der Anstieg der Erwerbstätigenquote in den letzten zwanzig Jahren von 62 auf 71 Prozent belegt. Die Erwerbslosenquote in dieser Altersgruppe ist mit rund drei Prozent sehr tief.» Eine andere Möglichkeit sei, die bestehenden Mitarbeitenden weiterzubilden und sie zu befähigen, neue Aufgaben zu übernehmen. Doch auch dieses Potenzial sei beschränkt, gerade wenn es um gesuchte Fachspezialisten gehe. Lützelschwab fordert deshalb von der Politik eine möglichst wirtschaftsfreundliche Lösung bezüglich der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Vor allem gelte es, die Bilateralen zu halten und auch den Inländervorrang praxistauglich umzusetzen. Für die Firmen sei es derzeit schwierig, etwas zu unternehmen, da noch unklar sei, wie der Bundesrat die MEI umsetzen wolle. Ein bisschen Klarheit erhält die Wirtschaft Anfang März: Dann wird der Bundesrat seine Botschaft zur Zuwanderung vorlegen.
Masseneinwanderungsinitiative
Das Schweizer Stimmvolk hat im Februar 2014 die Masseneinwanderungsinitiative der SVP hauchdünn angenommen. Mit der Initiative soll der Ausländeranteil begrenzt werden. Die Zeit drängt: In einem Jahr muss die Initiative umgesetzt sein.
Für Drittstaatenbürger gelten bereits heute jährliche Höchstzahlen und Kontingente, diese wurden aber 2015 gekürzt. Mit der MEI sollen auch Kontingente für Angehörige der EU-/EFTA-Staaten gelten. Zudem verlangt die SVP-Initiative explizit einen Inländervorrang.
Den Personenverkehr zwischen der Schweiz und diesen Staaten regelt das Freizügigkeitsabkommen. Gemäss der Personenfreizügigkeit dürfen Ausländer nicht als solche diskriminiert werden und sind in ihren Rechten wie Inländer zu behandeln (EU/EFTA). Dem steht der in der Initiative explizit festgehaltene Inländervorrang entgegen.
Die EU hat deutlich gemacht, dass sie eine permanente Kontingentierung und einen Inländervorrang nicht akzeptiert. Kündigt die Schweiz das Freizügigkeitsabkommen, treten aufgrund der «Guillotine-Klausel» auch die weiteren sechs Abkommen der Bilateralen Verträge I ausser Kraft.
Die Wirtschaft brachte die Idee einer Schutzklausel ins Spiel: Bei einer übermässigen Nettoeinwanderung könnte diese angerufen werden. Unterhalb dieser Grenze würde die Personenfreizügigkeit gelten.
Zudem verlangen diverse Wirtschaftsverbände, dass EU-/EFTA-Bürger, die weniger als zwölf Monate in der Schweiz arbeiten, von der Kontingentierung ausgenommen werden. Das Gleiche soll grundsätzlich für Grenzgänger gelten.