HR Today Nr. 3/2016: Aus- und Weiterbildung

Lernen am Arbeitsplatz

Geringqualifizierte werden beim Kompetenzerwerb am Arbeitsplatz kaum gefördert. Zwei Initiativen wollen dies ändern. Wir haben bei den Initianten nachgefragt und präsentieren auf den folgenden Seiten zwei Best Cases und die Sicht der Betroffenen.

Mehr als zwei Drittel der Erwachsenen, die nur mit Mühe einfache Texte lesen und verstehen können und sich nicht angemessen auszudrücken verstehen, stehen mitten im Berufsleben. Trotz ihres Bildungsbedarfs bleiben sie in den Betrieben von Bildungsmassnahmen häufig ausgeschlossen.

Dass für die Integration von Geringqualifizierten in den Unternehmen mehr getan werden muss, haben die politischen Akteure erkannt. So lancierte etwa der Schweizerische Verband für Weiterbildung SVEB das Projekt «Go», um in den Unternehmen die Weiterbildung dieser Mitarbeitergruppen zu fördern.

Dialog Integration

Guy Morin, Präsident der Trägerorganisation Tripartite Agglomerationskonferenz TAK

Um die Arbeitsmarktintegration von Migranten und Migrantinnen zu fördern, haben Bund, Kantone, Städte und Gemeinden innerhalb der Tripartiten Agglomerationskonferenz (TAK) das Projekt «Dialog Integration» lanciert. Im Austausch mit Wirtschafts- und Migrationsorganisationen verabschiedete die TAK 15 Ziele, etwa zur «Sprache und Bildung» und zur «Arbeitsmarktintegration anerkannter Flüchtlinge und vorläufig aufgenommener Personen». Die öffentlich-private Zusammenarbeit reicht von Rundgängen an Berufsmessen für Eltern mit Migrationshintergrund über Informationsveranstaltungen für Migranten in den Betrieben bis hin zu öffentlichen Diskussionen und Fachtagungen.

Weiterbildung am Arbeitsplatz

Auch die von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden unterstützte Initiative «Dialog Integration» setzt bei der Weiterbildung am Arbeitsplatz an. Doch weshalb gerade dort? «Die Mehrheit der Geringqualifizierten ist erwerbstätig. Deshalb erreicht man sie für Weiterbildungsmassnahmen auch am besten am Arbeitsplatz», erklärt Cäcilia Märki, Leiterin des Bereichs Grundkompetenzen beim SVEB.

Auch Guy Morin, Präsident der Trägerorganisation Tripartite Agglomerationskonferenz TAK der Initiative «Dialog Integration», bezeichnet den Arbeitsplatz als idealen Ort, um sich in der Schweiz zu integrieren: «Nirgendwo sonst kommen erwachsene Zugewanderte so rasch und direkt in Kontakt mit der lokalen Sprache, der einheimischen Bevölkerung und den hiesigen Regeln und Werten.»

Integration nicht selbstverständlich

Die Integration von Menschen, die der Landessprache nicht mächtig sind, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit: Mitarbeitende, die sich mit ihren Kollegen kaum verständigen können, bleiben häufig unter sich. So entstehen auch in vielen Unternehmen «Parallelgesellschaften», die eine gesellschaftliche Teilhabe erschweren. Wie etwa beim italienischen Baustellenteam, der tamilischen Küchenmannschaft oder dem portugiesischen Reinigungsteam.

Mangelhafte Sprachkenntnisse beeinträchtigen nicht nur das Miteinander im Betrieb, sie haben auch konkrete Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg: «Wer sich nicht ausdrücken kann, traut sich weniger, zu fragen oder neue Aufgaben zu übernehmen», sagt Märki. Das führe oft zu unzulänglicher Kommunikation,  Produktivität, erhöhter Fehleranfälligkeit und steigenden Unfallraten. Wer seinen Mitarbeitenden hingegen Entwicklungswege aufzeige, steigere deren Selbstsicherheit und Motivation: «Menschen sind sehr dankbar, wenn man in sie investiert», so Cäcilia Märki. «Jede Firma muss sich weiterentwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben», ergänzt Guy Morin. «Dazu braucht es jedoch ausgebildetes Personal.»

Gering qualifizierte Mitarbeitende, in deren Weiterbildung investiert werde, seien loyal, motiviert und leistungsbereit. Versteht sich die arbeitsplatzorientierte Weiterbildung darüber hinaus als integraler Bestandteil der Personalpolitik, «können Mitarbeitende, die das Potenzial zur Fach- oder Führungskraft haben, von Beginn weg identifiziert und gezielt gefördert werden», sagt Märki.

Weiterbildungsmodell Go

Cäcilia Märki, Leiterin des Bereichs Grundkompetenzen beim SVEB

Das Weiterbildungsmodell «Go» wurde 2009 bis 2015 als Pilotprojekt vom Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB mit der interkantonalen Konferenz für Weiterbildung (IKW) entwickelt. Mit individuell gestalteten und praxisnahen Schulungen in den Betrieben soll Geringqualifizierten der Lerntransfer am Arbeitsplatz ermöglicht und erleichtert werden. Mit «Go Next» schult der SVEB verschiedene Bildungsanbieter, um das Konzept schweizweit in den Betrieben zu verankern. Zudem sollen mit den Kantonen Finanzierungsmodelle entwickelt werden, um die Unternehmen bei der Weiterbildung Geringqualifizierter zu unterstützen sowie branchenspezifische Lösungen voranzutreiben.

Es braucht Ermutigung

Damit solche Karrieren überhaupt möglich werden, müssen Menschen mit wenig Lernerfahrung jedoch erst zum Lernen ermuntert werden: «Sie trauen sich oft nicht zu, etwas Neues zu lernen», sagt Cäcilia Märki.

Das bestätigt auch Guy Morin: «Menschen mit geringen Berufsqualifikationen fehlt häufig der Mut, ihre Ideen und Wünsche im Betrieb anzubringen, weil sie nicht als anmassend gelten wollen.» Es sei jedoch ein Irrtum zu glauben, dass sie sich deswegen nicht weiterentwickeln wollten: «Da braucht es manchmal einen Impuls des Vorgesetzten und ganz konkrete Unterstützung.» Zum Beispiel, wenn es darum gehe, selbständig zu lernen oder zusätzliche Informationen zu beschaffen, wenn die Betroffenen etwas nicht verstünden.

Verantwortung des Vorgesetzten

Es liege jedenfalls in der Verantwortung des Vorgesetzten, die Mitarbeitenden auf Weiterbildungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen und ihnen die nötige Unterstützung zuteil werden zu lassen, geben sich Märki und Morin überzeugt. Bildungsferne Mitarbeiter beim Lernen zu unterstützen, muss nicht kosten- und zeitaufwändig sein, weiss Guy Morin aus Gesprächen mit Arbeitgebern: Ein Arbeitskollege mit Erfahrung und Fachwissen könne beispielsweise «zum Mentor für Kollegen werden und ihnen bei Fragen oder bei der Repetition von Lernstoff zur Seite stehen.»

Daneben könne der Betrieb die Kurskosten mitfinanzieren, die Arbeitszeit an die Weiterbildung anpassen oder den Kurs als Arbeitszeit anrechnen, denn für Menschen mit Tieflöhnen sei die Arbeitszeitreduktion für Weiterbildung finanziell meist nicht tragbar. Kämen lange Anfahrtswege hinzu und finde der Kurs zu ungünstigen Zeitpunkten wie beispielsweise nach Ende einer Nachtschicht statt, steige das Abbruchrisiko zusätzlich.

Lernhürden abbauen

Kurse ab der Stange werden somit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden nicht gerecht, sind sich die Experten einig. Doch wie gestaltet man passende Lerneinheiten für diese Zielgruppe? «Menschen mit wenig Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten müssen erst die Erfahrung machen, dass ihnen das Lernen etwas bringt», sagt Cäcilia Märki. «Dazu eignen sich arbeitsplatzspezifische Situationen im Betrieb, die den Fortschritt direkt erlebbar machen.» Auch kleine Erfolgserlebnisse fördern die Motivation. Etwa wenn Mitarbeitende unter Anleitung eines Sprachlehrers an ihrem Arbeitsplatz üben, ein Formular korrekt auszufüllen oder Arbeitsanweisungen besser zu verstehen. «Je besser das Bildungsangebot an die realen Bedürfnisse des Mitarbeitenden und des Unternehmens angepasst ist, desto grösser ist auch der Lernerfolg.» Werden erste Fortschritte sichtbar, sei jedenfalls bei den meisten Mitarbeitenden der Wunsch nach mehr Bildung geweckt.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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