Trends im Corporate Learning
Seit 2006 fragt das Swiss Centre for Innovations in Learning der Universität St. Gallen, was Aus- und Weiterbildungsverantwortliche in Organisationen in Zukunft beschäftigen wird. Als Anhaltspunkt haben die Forscher eine Trendlandkarte erstellt. Ein Wegweiser.
Trendkarte Corporate Learning.
Wir beobachten das ganze Jahr über Trends und Entwicklungen im Bereich Corporate Learning. Etwa indem wir selbst eine Trendstudie verfassen, im Rahmen von Doktorarbeiten aktuelle Literatur für Forschungsarbeiten aufarbeiten, Kongresse, unternehmensinterne Workshops und Events besuchen und mitgestalten sowie relevante Zeitschriften, Bücher und Blogbeiträge lesen und unsere Beobachtungen und Erfahrungen aus unseren Projekten mit Unternehmen und Weiterbildungsteilnehmenden verdichten. Aufgrund dieser Aktivitäten haben wir für Learning Professionals (darunter Personalentwickler/-innen, Bildungsmanager/-innen, Lernarchitekten oder Trainer) eine «Trendlandkarte» entwickelt, die wir kontinuierlich überprüfen, ergänzen oder verändern.
Gerne möchten wir mit diesem Beitrag einen Einblick geben, wie sich die Weiterbildungslandschaft Schweiz Anfang 2016 präsentiert: Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist ein Megatrend, der sich durch alle Bereiche unseres Lebens und Lernens zieht: Industrie 4.0, Arbeit 4.0, New Workforce und Robotisierung sind hierbei nur ein paar Schlagworte. Viele Unternehmen haben sich auf den Weg zur «digitalen Transformation» gemacht und sehen sich mit einer Vielzahl an neuen Herausforderungen, Chancen und Risiken konfrontiert. All diese Entwicklungen prägen auch stark das Lernen in Organisationen und sind daher in unserer Trendlandkarte einer der stärksten Treiber der skizzierten Trends.
Zur Trendstudie
Für die neuste Trendstudie des Swiss Centre for Innovations in Learning (scil) der Universität St. Gallen haben sich 121 Learning Professionals aus der DACH-Region an einer Online-Umfrage beteiligt. Im Fokus standen folgende sechs Themenbereiche:
- Strategieentwicklung und Portfolio-Management
- Learning Design
- Lernkulturentwicklung und Veränderungsmanagement
- Learning Value Improvement
- Learning Leadership
- Learning Professionals.
scil Trendstudie 2015/2016: Trends im Corporate Learning. Tanja Fandel-Meyer, Christian Schneider, Sabine Seufert, Christoph Meier, Daniela Schuchmann; Swiss Centre for Innovations in Learning (scil), St. Gallen 2015. Die Trendstudie steht zum kostenlosen Download zur Verfügung: www.scil.ch
Blended Learning
Die Entwicklung und Gestaltung von guten Blended Learning Designs in Organisationen ist mit Sicherheit kein neuer Trend. Beobachtungen in der Praxis und Ergebnisse von Studien und Umfragen zeigen jedoch auch heute noch, dass die Orchestrierung verschiedener Lehr-/Lernformen (etwa Aktivitäten im Selbststudium, trainergeführte Workshops und netzgestützter Austausch) in Unternehmen weiterhin eine anspruchsvolle Aufgabe für Learning Professionals bleibt. Dabei lassen sich vielerorts weiterhin die altbekannten Probleme in der Umsetzung wiederfinden: unzureichende Kompetenzen der Trainer, Unverbindlichkeit, ungünstige Rahmenbedingungen und so weiter. Die Idee des «Flipped Classrooms» treibt den Gedanken von Blended Learning noch etwas weiter, indem die Lernenden sich das von den Lehrenden/Trainern digital zur Verfügung gestellte Lehrmaterial eigenständig im Selbststudium aneignen. Die Präsenzveranstaltungen dienen so ausschliesslich der Vertiefung, Diskussion und Reflexion der Lerninhalte.
Micro Learning
Sinnvoll zerlegte «Lernhappen» («Learning Nuggets») stehen weiterhin hoch im Kurs, etwa in Form von Videos, Blog- oder Twitterposts, kuratierten Websammlungen, Infografiken oder didaktisierten Kurztexten. In der betrieblichen Weiterbildung etabliert sich beispielsweise zunehmend die Anreicherung der Selbstlernphasen in Blended Learning Settings um diese Micro-Learning-Formate. Herausfordernd bleibt weiterhin die Kontextualisierung kleiner Lerneinheiten im Rahmen eines Trainings oder eines Entwicklungsprogramms im Unternehmen. Es gilt sich auch zu fragen, welche Inhalte, Botschaften und Lernziele eher ungeeignet sind und in Micro-Learning-Formaten eine umfassendere, zusammenhängendere Struktur beziehungsweise eine gute Mischung von allen Formaten brauchen.
Learning on demand & to go
Der Wunsch, den eigenen Wissensbedarf spontan und just in time zu decken, ist ungebrochen. Lernen soll an jedem Ort und zu jeder Zeit möglich sein. Das Thema Mobile Learning steht bei Trendeinschätzungen ganz oben und es hat sich in den letzten Jahren in Organisationen sehr viel in der Umsetzung getan. Das Lernen mit mobilen Endgeräten (wie etwa Tablets) findet zunehmend Einzug in die Unternehmen, Lerninhalte werden immer auch mit Blick auf die mobile Nutzung entwickelt. Im Rahmen der Diskussion rund um Performance Support in Organisationen gewinnt dieser Trend noch an Bedeutung. Denkt man an die Entwicklungen im Bereich «New Work» oder «Arbeit 4.0», scheint ein mobiles und Just-in-time-Lernen unverzichtbar, um den sich stets verändernden Arbeits- und Lernsettings gerecht zu werden.
Individualisiertes Lernen
An einem kürzlich in Zürich stattgefundenen Lunch & Learn Event für HR Professionals wurden hinsichtlich des Trends des personalisierten und adaptiven Lernens interessante Gedanken formuliert: «Managing people as a workforce of one» und «Customization of learning»: Lernprozesse werden in Zukunft wohl noch personalisierter gestaltet werden, um dem Wunsch nach Individualisierung und selbstbestimmter Gestaltung der eigenen Kompetenz- und Karriereentwicklung Rechnung zu tragen.
Informelles Lernen
Die Bedeutsamkeit von informellem Lernen an sich wird heute nicht mehr diskutiert. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, eine gute Balance zu finden. Die grosse Aufmerksamkeit des 70:20:10-Ansatzes (bekannt durch Charles Jennings) unterstreicht die Entwicklungslinie, dass Learning Professionals aktuell und zukünftig weiterhin auf der Suche nach dem besten Mix an verschiedenen Lernformen sind. Beim Framework kommt es auf die Kernidee des Modells an. Dabei findet Lernen zum Grossteil on the Job im Arbeitsprozess statt. Ein Umstand, dem Rechnung getragen werden sollte.
Lernförderliche Führungsarbeit
Wir stellten in unserer aktuellen Trendstudie die Frage: «Obwohl Führungskräfte einer der wichtigsten Schlüsselfaktoren für erfolgreiches Lernen und Veränderung in Organisationen darstellen, wird in der Praxis eine lernförderliche Führungsarbeit oftmals kaum gelebt. Worin sehen Sie die Hauptproblematik?» Die fehlende Zeit im Tagesgeschäft (Platz 1) ist sicherlich eine nachvollziehbare Antwort, wenn man die vielfältigen Aufgaben von Führungskräften, den hohen Stress- und Erfolgsdruck und die häufigen Restrukturierungs- und Veränderungsprozesse in den Organisationen betrachtet. Unser Ergebnis zeigt aber auch eine geringe Ausprägung im Bereich des Nicht-Wollens (Motivationsaspekt). Vielmehr scheinen die Gründe – neben der täglichen Arbeitsbelastung – im Nicht-Wissen zu liegen, es fehlt also an konkretem Wissen und Ideen für eine lernförderliche Führungsarbeit.Und es mangelt bei den Führungskräften noch am Bewusstsein, wie bedeutsam sie selbst im Lernprozess sind.
Value Management & Big Data
Den Wertbeitrag von Lernen aufzuzeigen, gilt weiterhin als eine zentrale Herausforderung für Learning Professionals. Es ist zu beobachten, dass zunehmend weniger versucht wird, den Return on Investment (ROI) zu bestimmen, sondern verstärkt im Sinne eines Return on Expectations (ROE) gedacht wird. Also, welchen Wert etwa ein Training für welche Anspruchsgruppe hat und wie dieser beobachtet und kommuniziert werden kann. Die explodierende Menge an Daten für das Lernen zu nutzen, wird als bedeutendes Thema gesehen – aber es fehlt vielerorts noch an konkreten Umsetzungsideen.
Lernräume neu gedacht
Wenn Lernen im Sinne der 70:20:10-Idee gedacht wird, braucht es zukünftig auch mehr neue und andere Lernräume: Team- und Arbeitsräume, Begegnungsorte, virtuelle Lern- und Arbeitsräume. Im Kern geht es dabei um die Ermöglichung von Austausch, Interaktion, gemeinsamer Wissenserarbeitung, spontanen Orten zum gemeinsamen Denken, anregender Atmosphäre und flexiblem, situativ einsetzbarem Mobiliar und Material.
Generationsübergreifend arbeiten
In Organisationen arbeiten eine Vielzahl an Generationen zusammen, wobei immer wieder diskutiert wird, welche (und ob überhaupt) Unterschiede es zwischen den Generationen gibt, was sie auszeichnet und wie sich die Führung und Gestaltung von Arbeiten und Lernen daran ausrichten sollte. Ideen wie «Reverse Mentoring» adressieren den Gedanken des Voneinander-Lernens. Auszubildende «erklären» dabei Führungskräften zum Beispiel die Nutzung von Social Media.
Design, play & share
Hinter diesem «Trendbündel» stehen die Ideen von Design Thinking, Games und Gamifaction sowie kollaborativen Lernformen. Viele Organisationen wenden heute Methoden von Design Thinking, Customer Centricity sowie agile Lern- und Arbeitsformen an (etwa im Rahmen der Umsetzung von Strategiethemen oder Produktentwicklung). Lern- und Arbeitsprozesse um spielerische Elemente anzureichern oder den gesamten Prozess zu «gamifizieren», stösst in vielen Unternehmen auf ein hohes Interesse. Gemäss der Aussage «Teilen ist das neue Speichern» von Jane Hart stehen kollaborative Lernformen (etwa Lernen in Online-Communities) weiterhin sehr hoch im Kurs und dürften auch 2016 die strategische Agenda vieler Learning Professionals bestimmen.
Fazit
Die hier skizzierten Trends sind natürlich nicht als abschliessend zu betrachten, es hätten auch noch andere Entwicklungslinien in den Fokus genommen werden können. 2016 hält mit Sicherheit noch einige weitere Trends bereit!
Checkliste
Was bedeuten diese Trends für Learning Professionals in Organisationen? Eine Auswahl an Fragen.
Change-Management-Kompetenzen: Verfügen Learning Professionals selbst über genügend Wissen in der Gestaltung und Begleitung von Veränderungen? Wie kann die Organisation befähigt werden, mit den ständigen Veränderungsprozessen gut umzugehen?
Lernkultur-Gestaltung: Wie können Learning Professionals den mit der Digitalisierung einhergehenden Wandel der Lern- und Arbeitskultur vorantreiben und mitgestalten?
«L & D for L & D»: Welche Kompetenzen brauchen Learning Professionals in Zukunft, um das Lernen in Organisationen zu gestalten? Ergebnisse unserer Trendstudie betonen vor allem Coaching- und Beratungskompetenzen, Wissen in der Strategieentwicklung und -umsetzung sowie Kompetenzen mit Social Media.
Strategisches Portfolio: Wie sieht das Portfolio in der Zukunft aus, das kein «Bauchladen» ist, sondern sich stark orientiert an der strategischen Umsetzung von Zielen, Initiativen und Visionen der eigenen Organisation?
Systematisches Trendmonitoring: Wie können Learning Professionals mit der Herausforderung stets neuer Tools, Konzepte und Modewellen gut umgehen?
Geschäftsmodell-Innovation: Führen die skizzierten Trends und Entwicklungslinien mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung der Lern- und Arbeitswelt zu einem grundsätzlichen Hinterfragen des Geschäftsmodells von Lernen und Entwicklung im Unternehmen? Wird es in Zukunft andere oder neue Kunden geben? Wird es gänzlich neue Angebote, Produkte und Dienstleistungen geben müssen? Kann die Wertschöpfungskette und Ertragsmechanik im betrieblichen Lernen neu gedacht werden?