HR Today Nr. 1&2/2021: Organisationsentwicklung – HR der Zukunft

«Agilität wird selten mit Leben gefüllt»

Warum HR vor einem Paradigmenwechsel steht, weshalb der grösste Employer-Branding-Fehler in seiner Beliebigkeit liegt und was Unternehmen tun müssen, um künftig Mitarbeitende zu finden, weiss Philipp Pexider, Partner des Zukunftsinstituts in Frankfurt am Main und Wien.

Die Arbeitswelt stehe vor einem radikalen Umbruch, was die Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen angehe, sagten Sie kürzlich beim Launch Ihres neuen Buches Workbook Human Resources Management. Was meinten Sie damit?

Philipp Pexider: Wir leben heute meist mit dem Wirtschaftsverständnis, wonach sich Unternehmen Mitarbeitende nach eigenem Gutdünken aussuchen können. Dies, obwohl wir längst realisiert haben, dass die Fluktuationsraten ansteigen und Mitarbeitende höhere Anforderungen an Arbeitgebende richten. Plötzlich können Unternehmen nicht mehr sagen, was sie gerne hätten, sondern müssen glaubhaft darlegen, was sie bieten. Das ist ein entscheidender Paradigmenwechsel in der HR-Welt.

Was bedeutet das konkret für das HR?

Seit einigen Jahren beobachte ich, dass HR-Abteilungen sich mithilfe Employer Branding verstärkt um Mitarbeitende bemühen. Der grosse Fehler, den die meisten dabei begehen, liegt in der Beliebigkeit, wie sie es tun. So versuchen die meisten Unternehmen mit denselben Botschaften zu punkten, statt den wesentlichen Fragen nachzugehen: Was kann unser Unternehmen bieten, was andere nicht können, und was ist unsere Unique Selling Proposition?

Welche Voraussetzungen braucht es hierfür in einem Unternehmen?

Ein zentraler Schritt besteht zunächst in einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur. Nicht im Sinne von: «wer wollen wir gerne sein», sondern einem ehrlichen «wie sind wir». Einige Unternehmen sind sehr familiär ausgerichtet, andere auf Leistung getrimmt. Manche rücken das eigene Lernen in den Vordergrund, während weitere Wert auf Tradition und etablierte Regeln legen. Erst wenn wir uns in diesem Sinne «selbst erkennen», können wir eine vernünftige und darauf basierende HR-Strategie entwerfen. HR soll in Zukunft strategische Aufgaben übernehmen. Diese Forderung ist nicht neu. Warum tun sich Unternehmen dennoch schwer, HR diese Kompetenz zu übertragen?

Wie üblich steigt die Umsetzungskraft mit dem Leidensdruck. Denken wir daran, wie viele Unternehmen sich dagegen gesträubt haben, ihren Mitarbeitenden Homeoffice zu ermöglichen. Dann kam Corona und plötzlich war von zu Hause aus arbeiten kein Problem mehr. Ich denke, wir steuern in Sachen HR und strategische Kompetenzen auf einen ähnlichen «Tipping Point» zu, bis Firmen merken, dass das HR nicht mehr wie bisher funktioniert.

Wie sieht die Lösung aus?

Geschäftsleitung und HR dürfen nicht länger aneinander vorbeileben, sondern müssen sich zusammensetzen und gemeinsam beurteilen, wo das Unternehmen wirtschaftlich und kulturell steht, wo sie hinmöchten und hinkönnen. Kommunikation und Feedbackloops zwischen Geschäftsführung und HR sind dabei zentral.

Das HR brauche zudem weitere Kompetenzen. Welche?

Tendenziell geht es um Kompetenzen, die das HR unterstützen, das Unternehmen als Ganzes sowie die Mitarbeitenden im Einzelnen besser zu verstehen. Es geht also vor allem um soziologische und psychologische Fähigkeiten. Beim soziologischen Aspekt wird HR zum Beobachter und Interpreten der eigenen Unternehmenskultur. Psychologisch dahingehend, dass HR die Bedürfnisse der Mitarbeitenden kennt und versteht, diese mit der Kultur abzugleichen.

HR müsse sich ausserdem neue Methoden aneignen, um die Adaptionsfähigkeit des Unternehmens zu gewährleisten …

Das betrifft nicht nur das HR, sondern das Unternehmen als Ganzes. Agilität ist seit Jahren ein Modewort, das selten mit Leben gefüllt ist. Das gelingt manchmal in einzelnen Abteilungen, aber im ganzen Unternehmen? Für ein wahrhaft agiles Unternehmen müssen alle Teilbereiche dynamisch interagieren. Das heisst, sich hinsichtlich der jeweils vorhandenen Kultur, der Mitarbeitenden und der Ausrichtung flexibel und behutsam zu organisieren.

Unternehmen sind im Kern soziale Systeme. Die meisten Führungskräfte räumen diesem jedoch wenig Platz ein. Vielmehr zählt für sie der Shareholder Value. Hat dieses Denken noch Zukunft?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einen Schritt zurückgehen, um das grosse Ganze zu erkennen: Unternehmen tun sich zusehends schwer, authentisch zu wirken. Ein Textilbetrieb, der jahrelang billigste Kleidung in Süd­ostasien produziert hat, kann nicht plötzlich «fair» und «nachhaltig» agieren. Eine grundlegende Ausrichtung lässt sich nicht ständig ändern – das geht mit einer klassischen «Shareholder Value»-Haltung nicht. Unternehmen, die authentisch agieren, verfügen deshalb über Mitarbeitende, die eine ähnliche Mentalität vertreten. So kann ein Unternehmen beispielsweise nachhaltiger agieren, wenn auch den Mitarbeitenden der Wert Nachhaltigkeit am Herzen liegt. Wir müssen somit lernen, einen Abgleich von Erwartungen ausserhalb des Unternehmens und den Voraussetzungen in seinem Inneren vorzunehmen.

Mit Blick auf die internen Voraussetzungen sagen Sie, dass in Unternehmen ein Bedarf nach Resilienz bestehe. Gerade diesbezüglich lohne es sich, die unterschiedlichen Lebensstile der Mitarbeitenden zu beachten. Weshalb?

Menschen mit bestimmten Werten und Bedürfnissen haben bestimmte Fähigkeiten. Jemand, der beispielsweise nach einer gewissen Regelhaftigkeit und Struktur strebt, ist tendenziell jemand, der eine grössere Gewissenhaftigkeit an den Tag legt. Umgekehrt sind besonders offene und spontane Menschen zwar tendenziell chaotischer, aber auch kreativer und damit innovativer. Indem wir ein Bewusstsein bezüglich dieser Unterschiede entwickeln, erkennen wir, welche Menschen und Lebensstile wir im Unternehmen brauchen, um auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Stehe ich vor einem radikalen Umbruch in der Branche, empfehlen sich Lebensstile, die einen höheren Grad an Innovations- und Anpassungsfähigkeit an den Tag legen. Das sind Fähigkeiten, die man nicht einfach erlernen kann, wie etwa den Umgang mit einem Computerprogramm. Diese Kompetenzen sind stark mit unserer Persönlichkeit verwoben.

Zur Person

Philipp Pexider ist ausgebildeter Sozio­loge und Philosoph. Er beschäftigt sich am Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main und Wien mit der Veränderung der Gesellschaft und deren Implikationen für die Wirtschaftswelt. Er ist unter anderem Autor der Trendstudie «Lebensstile» und des «Workbook HR», die beim Zukunftsinstitut erschienen sind.

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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