HR Today Nr. 6/2021: Thema – Serie Sozialversicherung

Angehörigenbetreuung und Erwerbstätigkeit

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll in der Schweiz vorangetrieben werden. Dem tragen neue gesetzliche Bestimmungen Rechnung.

Nebst der Vaterschaftsentschädigung trat am 1. Januar 2021 die erste Etappe des neuen Bundesgesetzes über die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung in Kraft. Dabei handelt es sich um Anpassungen und Änderungen in verschiedenen Einzelgesetzen, welche Arbeitnehmenden die Vereinbarkeit von ihrer Erwerbstätigkeit mit der Betreuungsverpflichtung gegenüber kranken oder verunfallten Angehörigen erleichtern soll. Neu geregelt werden die Lohnfortzahlung bei kurzen Arbeitsabwesenheiten, die Ausweitung der Betreuungsgutschriften der AHV, die Anpassung des Intensivpflegezuschlags und die Hilflosenentschädigung der IV für Kinder. Am 1. Juli 2021 wird die zweite Etappe in Kraft treten: der bezahlte 14-wöchige Urlaub für die Betreuung schwer kranker oder verunfallter Kinder. Für Arbeitgebende sind vor allem die Lohnfortzahlungspflicht bei kurzen Arbeitsabwesenheiten und die Betreuungsentschädigung von Relevanz.

Lohnfortzahlung bei kurzen Arbeitsabwesenheiten

Neu haben Arbeitnehmende gem. Art. 36 Abs. 3 ArG und Art. 329h OR Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist. Der Urlaub beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr. Das bedeutet beispielsweise, dass sich eine Person übers Jahr verteilt je um ein krankes Kind, einen kranken Partner oder Ehegatten kümmern kann. Das, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind und alle Abwesenheiten zusammen nicht mehr als zehn Tage ergeben. Unter «Familienmitglieder» versteht man – abgeleitet aus Art. 29 septies Abs. 1 AHVG für den Anspruch auf Betreuungsgutschriften – Verwandte in auf- und absteigender Linie (hauptsächlich Eltern und Kinder) und Geschwister. Dazu zählen auch Ehegatten, eingetragene Partner, Schwiegereltern sowie Lebenspartner, mit denen ein Arbeitnehmender seit mindestens fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führt. Als Kinder gelten Personen, mit denen die Vater- bzw. Mutterschaft im zivilrechtlichen Sinne begründet ist (vgl. zum Ganzen BBl 2019 4103, 4132).

Diese neue Regelung bringt für Arbeitnehmende vor allem drei Verbesserungen: So wird ein Urlaub für die Betreuung von Familienmitgliedern oder Lebenspartnern auch dann gewährt, wenn ihnen gegenüber keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Die Lohnfortzahlung gilt zudem nicht mehr nur, bis eine adäquate Ersatzlösung gefunden wird. Ausserdem wird der Urlaub von drei Tagen gemäss Artikel 324a OR für die Betreuung von Kindern, Ehegatten und eingetragenen Partnern nicht mehr an das Ferien-Jahresguthaben angerechnet (BBl 2019 4103, 4132). Sind die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, bedeutet dies für Arbeitgebende, dass Arbeitnehmende pro Ereignis von Gesetzes wegen jeweils drei Tage frei haben. Arbeitgebende müssen ihnen während dieser Zeit weiterhin den Lohn zahlen.

Betreuungsentschädigung

Der Anspruch auf den Erwerbsersatz ist für Eltern vorgesehen, deren minderjähriges Kind infolge schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung einen erhöhten Bedarf an Begleitung und Pflege hat (Art. 16n Abs. 1 E-EOG). Anknüpfungspunkt bildet das Kindesverhältnis nach Art. 252 ZGB. Der Zivilstand der Eltern ist unerheblich. Massgebend für die Beurteilung des Schweregrads der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Kindes sind die Symptome der Beeinträchtigung, welche eine stationäre oder ambulante ärztliche Behandlung des Kindes über eine längere Dauer (mehrere Monate) bedingen, wobei die Dauer zu Beginn häufig noch nicht abschätzbar ist (Art. 16o E-EOG). Bagatellkrankheiten und leichte Unfallfolgen rechtfertigen dagegen keinen Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung.

Gleichzeitig soll die Definition so allgemein gehalten sein, dass sie möglichst die gesamte Bandbreite schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen umfasst (zum Ganzen BBl 2019 4103, 4134 f.). Es genügt, wenn mindestens ein Elternteil in einem Arbeitsverhältnis steht oder selbstständigerwerbend ist und die Erwerbstätigkeit unterbricht (Art. 16n Abs. 1 lit. b E-EOG). Für die Betreuungsentschädigung werden weder eine Vorversicherungsdauer noch eine Mindesterwerbsdauer vorausgesetzt. Der Urlaub kann innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten bezogen werden. Die Rahmenfrist beginnt mit dem Tag, für den das erste Taggeld bezogen wird (Art. 16p E-EOG). Das Taggeld beträgt 80 Prozent des vorangegangenen Lohnes und ist durch einen Höchstbetrag beschränkt (Art. 16r E-EOG). Dies ist unabhängig davon, ob der Urlaub tageweise oder am Stück bezogen wird. Für Arbeitgebende bedeutet dies, dass Mitarbeitende bei Unfällen unter Umständen für längere Zeit unvermittelt ausfallen könnten. Für kleinere Betriebe, die nicht schnell einen Ersatz für die fehlende Arbeitskraft finden, kann dies problematisch werden.

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Martina Filippo ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Sozialrecht an der ZHAW School of Management and Law.

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