Arbeitsrechtliche Sonderaspekte des Coronavirus
Die letzten Wochen haben neuartige arbeitsrechtliche Fragestellungen aufgeworfen – auch im Arbeitsrecht kann von einer ausserordentlichen Lage gesprochen werden. Auf viele Fragen gibt es inzwischen konkrete Antworten, neue Fragestellungen kommen aber täglich auf.
Illustration: Jonas Raeber
Das Coronavirus hat die (Arbeits-)Welt vorübergehend massiv verändert. Wo noch gearbeitet werden darf und kann, wird die Arbeitsleistung weitgehend aus dem Homeoffice erbracht. Demgegenüber können viele Branchen und Betriebe ihre Leistung nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erbringen – die Betriebstätigkeit ist somit reduziert oder faktisch eingestellt. Viele Detailfragen haben die HR-Verantwortlichen seit Ausbruch der Coronakrise beschäftigt. Jetzt ist die Zeit für ein arbeitsrechtliches Zwischenfazit.
Kinderbetreuung statt Arbeit
Mit dem Bundesratsbeschluss vom 13. März 2020 wurde der Präsenzunterricht gesamtschweizerisch vorübergehend eingestellt. Kinder und Jugendliche waren von einem Tag auf den anderen zu Hause und nicht mehr in der Schule – und das während mehrerer Wochen. Auf ein solches Szenario sind erwerbstätige Eltern nicht eingestellt, erst recht nicht, wenn die Backup-Lösung Kinderbetreuung durch die Grosseltern wegfällt. Arbeitgeber mussten schnell darüber entscheiden, wie sie mit dieser Situation umgehen. Etwa, was sie den Mitarbeitenden zugestehen und ob und wie lange sie den Lohn bezahlen, wenn Mitarbeitende infolge Kinderbetreuung ihre Arbeit nicht leisten können.
Arbeitgeber hätten dies gern grosszügiger geregelt, doch nicht alle konnten sich dies auch leisten. So war der Bundesratsbeschluss, der einen Erwerbsersatz für Eltern mit Kindern bis zum vollendeten 12. Altersjahr vorsieht, eine angemessene Antwort für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber. Mit Bundesratsbeschluss vom 16. April 2020 wurde der Anspruch weiter ausgedehnt auf Jugendliche mit einem Intensivpflegezuschlag der IV sowie auf Jugendliche bis 20 Jahre, die eine Sonderschule besuchen, sofern diese Schule geschlossen ist. Die Frage, ob die Kinderbetreuung nicht anders organisiert und somit der Mitarbeitende zur Arbeitsleistung verpflichtet werden könne, trat mit dieser Entschädigung in den Hintergrund.
Die Mitarbeitenden können sich mit der Einführung dieses speziellen Erwerbsersatzes nun der Kinderbetreuung widmen, ohne das Risiko einzugehen, dass ihre dadurch bedingte Absenz unbezahlt bleibt. Der Erwerbsersatz kann ab dem vierten Tag der Absenz geltend gemacht werden, der Annahme folgend, dass die ersten drei Tage des Lohns vom Arbeitgeber bezahlt werden. Der Anspruch auf Erwerbsersatz kann der Mitarbeitende direkt geltend machen, wenn er für seine Absenz keine Lohnzahlung erhalten hat. Sofern der Arbeitgeber den Lohn bezahlt hat, kann der Arbeitgeber den Erwerbsersatz beanspruchen und so einen Teil seiner Lohnkosten zurückerstattet erhalten.
Damit Erwerbsersatz bezahlt wird, muss die Erwerbstätigkeit tatsächlich unterbrochen worden sein. Wer im Homeoffice arbeitet, wenn auch nur reduziert, hat keinen Anspruch auf Erwerbsersatz. Für angestellte Personen ist die Dauer des Erwerbsersatzes infolge Kinderbetreuung nicht beschränkt. Dies im Gegensatz zu den Selbstständigerwerbenden, die unter diesem Titel ein Taggeld für maximal 30 Tage erhalten. Sind beide Elternteile mit der Kinderbetreuung beschäftigt, und somit grundsätzlich beide anspruchsberechtigt, kann trotzdem jeweils nur ein Taggeld pro Erwerbstag geltend gemacht werden. Hinsichtlich Erwerbsersatz gibt es also keinen Doppelverdienst. Ausserdem kann während den offiziellen Schulferien grundsätzlich kein Erwerbsersatz geltend gemacht werden, es sei denn, die geplante Betreuungsmassnahme steht den Kindern während der Ferien wegen des Coronavirus nicht zur Verfügung.
Besonders gefährdete Mitarbeitende
Für Wirbel hat die Covid-19-Verordnung 2 gesorgt, als der Bundesrat am 16. März 2020 unter anderem erlassen hatte, dass Arbeitnehmende unter Lohnzahlung zu beurlauben sind, wenn sie ihre Arbeit nicht von zu Hause aus verrichten können. Diese öffentlich kaum diskutierte Regelung war Arbeitnehmerkreisen schnell bekannt. Vielen Arbeitgebern brachen dadurch plötzlich viele ihrer Arbeitnehmenden weg. Bis anhin völlig gesunde und ohne Einschränkung arbeitende Mitarbeitende machten geltend, sie gehörten zur Risikogruppe und können daher nicht mehr zur Arbeit kommen. Produzierende und Unternehmen, deren Haupttätigkeit nicht im Bürojob erledigt werden kann, standen vor einer planerisch und wirtschaftlich grossen Herausforderung.
Die verheerenden Folgen waren schnell erkannt: Die Verordnung wurde relativiert. Ab 21. März 2020 konnten Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden wieder zur Arbeit aufbieten. Kommunikativ waren die Tage dazwischen für viele Arbeitgeber eine Herkulesaufgabe. Obwohl die Rechtslage sich wieder grundlegend verändert hatte, Mitarbeitende einer Risikogruppe also nicht mehr Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung hatten, wurde diese Änderung nicht öffentlich kommuniziert. Erst nach und nach wurde darüber eine Diskussion geführt. Insbesondere Gewerkschaften prangerten an, dass damit die Empfehlung, Personen mit einer Vorerkrankung sollten möglichst zu Hause bleiben, torpediert und der Gesundheitsschutz für besonders gefährdete Personen faktisch ausgehebelt würde.Wiederum kaum bemerkt, hatte der Bundesrat am 16. April 2020 die Regelung erneut angepasst und verschärft. Die Folge? Arbeitnehmende werden allenfalls vermehrt beurlaubt werden müssen – dies bei voller Lohnzahlung.
Kurzarbeit: Einzelaspekte
Hinsichtlich des Geltungsbereichs und der Anspruchsgeltendmachung von Kurzarbeit hat der Bundesrat zahlreiche Änderungen beschlossen, die während der Coronakrise für eine beschränkte Zeit gelten. Diese Ausnahmeregelungen werden nach Ablauf der Geltungsdauer also wieder ausser Kraft gesetzt. Zunächst ist die Voranmeldung für Kurzarbeit im Zuge der Coronakrise wesentlich vereinfacht worden. So wird beispielsweise auf eine schriftliche Zustimmungserklärung der Mitarbeitenden verzichtet. Der Arbeitgeber bestätigt auf dem Formular, dass er alle von der Kurzarbeit betroffenen Mitarbeitenden über die Einführung der Kurzarbeit informiert hat und dass diese damit einverstanden sind. Demnach genügt es also, wenn die Zustimmung der Mitarbeitenden zur Kurzarbeit mündlich oder stillschweigend erfolgt.
Gleichwohl ist es ratsam, dass der Arbeitgeber über die Kurzarbeit und die damit verbundenen Konsequenzen, insbesondere die Lohnkürzung, schriftlich informiert. Diese interne Kommunikation kann der Arbeitgeber vorlegen, falls später ein Beleg für die Zustimmung verlangt wird. Gleichzeitig sollten die Mitarbeitenden das Recht haben, die Kurzarbeit abzulehnen, wobei der Arbeitgeber deutlich machen darf, dass wirtschaftlich bedingte Entlassungen nicht ausgeschlossen sind, wenn das Instrument der Kurzarbeit nicht im vollen Masse genutzt werden kann. Übrigens ist sogar eine telefonische Voranmeldung der Kurzarbeit möglich. Überstunden müssen nicht mehr abgebaut werden, um Kurzarbeitsentschädigung zu beantragen. Es gibt auch keine Voranmeldefrist mehr. Die Kurzarbeit kann also sofort umgesetzt werden. Schliesslich fallen auch die üblichen Karenztage pro Abrechnungsperiode weg.
Detaillierte Arbeitszeiterfassung
Um Kurzarbeitsentschädigung beantragen zu können, muss ein Arbeitsausfall vorliegen. Im Formular, mit dem der Anspruch gegenüber der Arbeitslosenkasse geltend gemacht wird, werden neu – vereinfacht – die Sollstunden der anspruchsberechtigten Arbeitnehmenden aufgeführt sowie die Summe der wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden aller der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmenden. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber für jeden einzelnen Mitarbeitenden errechnen und nachweisen muss, wie hoch dessen Sollarbeitszeit gewesen wäre, wie viele Stunden dieser effektiv gearbeitet hat und wie hoch die Ausfallstunden somit sind. Der Aufwand für den Arbeitgeber ist daher im Wesentlichen gleich gross – die Vereinfachung des Formulars dient primär den Arbeitslosenkassen, damit die Auszahlungen effizienter vorgenommen werden können.
Das bedeutet aber nicht, dass die Arbeitslosenkasse die Zahlen einfach so hinnehmen muss – sie kann sehr wohl verlangen, dass diese belegt werden. Im Übrigen hat sich nichts an der Pflicht geändert, wonach während der Kurzarbeit eine detaillierte Arbeitszeiterfassung aller anspruchsberechtigten Personen zu führen ist. Der Arbeitgeber muss also selber entscheiden, welche Zahlen er miteinrechnet und geltend macht. Pikanterweise wurde mit der Überarbeitung des Formulars am 30. März 2020 erstmals explizit im Formular (Seite 2, unten) darauf hingewiesen, dass ein nicht wahrheitsgetreues Ausfüllen des Formulars strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Es ist davon auszugehen, dass mit dem Vorliegen der ersten Abrechnungen Fragen zur Anspruchsberechtigung geklärt oder allenfalls neue aufkommen werden. Die Situation bleibt ausserordentlich!