Fokus Forschung

Aus Fehlern lernen?

Fehler in Spitälern können dramatische Folgen haben. Deshalb werden heute zunehmend Meldesysteme eingeführt, wo Spital­angehörige vertraulich oder anonym kritische ­Vorkommnisse berichten können. Solche «Critical Incident Reporting Systems» (CIRS) sollen die Chance eröffnen, aus Fehlern zu lernen. Tun sie das?

«Wo gearbeitet wird, gibt’s Fehler», sagt der Volksmund. Dies gilt für Piloten, Fachkräfte in Zentralen zur Überwachung von Lufträumen, Kraftwerksanlagen und Verkehrssystemen genauso wie für Chirurgen und Beschäftigte in Spitälern. Eine Forschungsgruppe des Interdisziplinären Instituts für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management und des Forschungsinstitutes für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien analysierte in einem quasi-experimentellen Design die Wirkungen der Einführung eines CIRS auf die Fehlerhäufigkeit und auf das organisationale Lernen eines Spitals.

Die Untersuchung erstreckte sich über vier Abteilungen mit 276 Ärzten und Pflegenden des gleichen Spitalträgers, wobei in zwei Abteilungen ein CIRS eingeführt wurde und in zwei Abteilungen nicht. Beim organisationalen Lernen unterschieden die Forscher zwei Formen: das implizite Lernen einerseits (das Verinner­lichen und Vorleben von neuem Wissen) und das explizite ­Lernen andererseits (das Diskutieren und Weitergeben von neuem Wissen). Die Auswertung der Befragungsergebnisse aus zwei Zeitpunkten zeigt, dass ein CIRS die Fehlerhäufigkeit reduziert und dass es das explizite Lernen verstärkt, nicht aber das implizite Lernen. Gleichzeitig stellten die Wissenschaftler fest, dass das implizite Lernen einen grösseren Einfluss auf die Fehlerhäufigkeit hat als das explizite Lernen.

Was lässt sich aus diesen Forschungsergebnissen ableiten? Ers­tens: CIRS wirken. Zweitens: Zur vollständigen Lösung des Problems, weswegen sie eingeführt wurden, reichen sie aber nicht aus. Reporting-Systeme sind für das Lernen notwendig, sie ersetzen es aber nicht. Drittens: Die mit den Meldungen gewonnenen Erkenntnisse und die davon abgeleiteten Konsequenzen sind in der Organisationskultur zu verinnerlichen und im Verhalten der Vorgesetzten vorzuleben. Viertens: Fehlerprävention, Sicherheit und Lernkultur lassen sich nicht organisieren wie bürokratische Prozesse. Kollektives Denken, Fühlen und Handeln sind wichtig, nicht nur organisatorische Systeme, Strukturen und Instrumente. Fünftens: Melden ist gut, Lernen ist besser. Dazu braucht es Offenheit, Reflexion und Zeit. Fehlen sie, bleibt das Lernen auf der Strecke – in Spitälern wie in der Wirtschaft und in der Verwaltung.

Quelle

  • Latzke, M., Schiffinger, M. & Steyrer, J. (2014). Der Einfluss eines anonymen Fehlermeldesystems auf das organisationale Lernen und die Häufigkeit von Behandlungsfehlern. Schmalenbachs Zeitschrift für ­betriebswirtschaftliche Forschung 66 (2), 120–146.
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Prof. Dr. Bruno Staffelbach ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Centers für HRM an der Universität Luzern.

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