Be healthy!
Warum Firmen ohne radikalen Wandel des Managementsystems nicht gesunden können, erläutert Michael Sonntag in seinem Referat an der Nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement.
Herr Sonntag, Sie setzen sich für «gesunde Unternehmenskulturen» ein. Was verstehen Sie darunter?
Michael Sonntag: In einem gesunden System gibt es keinen Widerspruch zwischen der Gesundheit eines Mitarbeitenden und der eines Unternehmens. Im Gegenteil: In einem gesunden System verstärken sie sich gegenseitig. Sind die Rahmenbedingungen förderlich, engagieren sich die Mitarbeitenden und bleiben gesund. Bei den meisten Firmen ist aber das Gegenteil der Fall. Häufig verunmöglicht das Umfeld den Mitarbeitenden, sich zu engagieren. Das verursacht viel chronischen Stress und dementsprechend hoch fallen auch die Krankheitsquoten aus.
Können Sie diese Aussage anhand eines Beispiels illustrieren?
Wenn ein engagierter Mitarbeitender verwarnt wird, weil er zusammen mit einem Kunden eine einfache und kostengünstige Lösung ohne Einwilligung seines Vorgesetzten erarbeitet hat, wird er sich sofort weniger engagiert verhalten und in einen passiv-angepassten Überlebensmodus wechseln. Das schadet ihm auf Dauer gesundheitlich – und der Kunde wird vermutlich enttäuscht sein und sich einen besseren Geschäftspartner suchen.
Worin sehen Sie die Ursachen für solche Phänomene?
Eines der grössten Probleme sehe ich darin, dass wir immer noch von einem völlig veralteten, falschen und simplifizierenden Menschenbild ausgehen. Zwar würde keine Führungsperson sagen, dass er das Menschenbild X nach Douglas McGregor verinnerlicht hätte, das davon ausgeht, dass Mitarbeitende anzutreiben seien, weil sie von sich aus nicht handeln. Praktisch sämtliche unserer Entscheide, Prozesse und Strukturen gehen jedoch von diesem Menschenbild aus.
Wie liessen sich die Verhältnisse verändern?
Das gelingt nur, wenn wir konsequent mit und nicht gegen die menschliche Natur arbeiten. Alle Menschen haben genetisch und neurobiologisch tief verankerte Prinzipien in sich, die sich über Hunderttausende von Jahren entwickelt haben. Diese bewegen uns dazu, mit Mitmenschen zu kooperieren, um Lösungen für unsere Probleme zu finden. Wenn wir mit der menschlichen Natur arbeiten wollen, müssen wir gesundheitsförderliche Grundregeln kennen und dann die geeigneten Strukturen und Prozesse schaffen.
Worin sehen Sie die Verantwortung der Geschäftsleitung und des Managements?
Die Geschäftsleitung und das Management sind dafür verantwortlich, eine Firma so zu gestalten, dass ihre Mitarbeitenden mit minimalem Energieaufwand ein Maximum an Mehrwert schaffen. Die traditionellen Managementsysteme sind dafür höchst ungeeignet. Sie sind ineffizient, kostenintensiv und verhindern eine schnelle Anpassung. Zudem unterdrücken sie das Potenzial der Mitarbeitenden. Das muss die Geschäftsleitung als Erstes erkennen und sich entschliessen, dies zu ändern.
Was ist die Rolle des HR?
Das HR muss die kulturellen Zusammenhänge kennen und das «working with human nature» in allen Unternehmensbereichen vertreten. Es muss vermitteln, wie sich eine gesundheitsförderliche Kultur auswirkt. So sind Prozesse, die sich nach diesen Prinzipien orientieren, ganz anders als ein traditionelles Prozessmanagement. Das erfordert ein ganzheitliches Verständnis dafür, was eine «gesunde» Organisation ist. Das HR wird dann zum aktiven Mitgestalter.
Michael Sonntag ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bei Sonntag Consulting, Bern.
«Unternehmen zeigen oft Krankheitssymptome: Sie haben wenig engagierte und viele resignierte Mitarbeitende, sind wenig anpassungsfähig und leiden an einer blockierten Innovationskultur. Von lebendigen und gesunden Systemen ausgehend, sollen die Teilnehmenden erkennen, weshalb traditionelle Managementsysteme häufig die Ursachen solcher Erscheinungen sind. Statt gegen die menschliche Natur zu arbeiten, müssen Rahmenbedingungen das Miteinander der Mitarbeitenden ermöglichen. Nicht nur ihrer Gesundheit zuliebe, sondern auch, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ohne Paradigmawechsel und radikale Abkehr von traditionellen Managementsystemen ist eine Genesung jedenfalls nicht möglich – auch nicht mit viel gutem Willen.»