Best Case Micarna: Gesundheitskultur mit Tradition
Während viele Unternehmen mit der Betrieblichen Gesundheitsförderung erste Gehversuche machen, wurde die Micarna bereits zum dritten Mal mit dem Label Friendly Work Space ausgezeichnet. Wir haben den Fleischverarbeiter in Bazenheid besucht.
Bei der Weiterentwicklung ihrer Gesundheitskultur zeigen sich Stefan Harder, HR-Leiter der Micarna, und sein Team experimentierfreudig. (Foto: Jeroen Singer)
Wer sich auf den Weg zur Micarna, dem Fleischverarbeitungsbetrieb der Migros, in Bazenheid macht, gelangt nicht unbemerkt aufs Gelände. Ein Zaun umschliesst das Werksgelände und ein bedientes Portierhäuschen dient als «Single Point of Entry.» Vom Hauptgebäude, das sich in einer grosszügig angelegten Park-landschaft befindet, ist von aussen nur das Micarna-Schild wahrzunehmen. Am Spätnachmittag ist nichts mehr von der frühmorgendlichen Betriebsamkeit zu spüren, wenn zahlreiche Camions das Warenlager mit frischen Fleischprodukten beladen verlassen. Auch im Gebäude des Fleischverarbeiters ist es um diese Zeit ruhig: geschlossene Türen, lange, wenig beleuchtete Flure und der Geruch von Desinfektionsmittel, der an Spitalaufenthalte erinnert.
Anstrengende Arbeit
Von den 700 Mitarbeitenden, die in diesem Gebäude in verschiedenen Berufsgruppen von der Fleischverarbeitung über die Informatik bis hin zur Hauswirtschaft arbeiten, sind 150 in der Zerlegerei beschäftigt: Dort verarbeiten sie täglich etwa 1300 bis 1500 Schweine zu verschiedenen Fleischprodukten wie Koteletts oder Brühwürsten. «Eine anstrengende Arbeit», betont Stefan Harder, HR-Leiter der Micarna. Eine Arbeit, die anderswo automatisiert oder in Länder mit tieferen Lohnkosten verlagert wird. Nicht so bei der Micarna: «Uns und unserer Kundschaft ist die Qualität wichtig», erläutert Harder die strategische Ausrichtung. «Daher halten wir am Standort Schweiz fest.» Die Micarna hält nicht nur am Standort fest, sondern investiert dort auch. Mit der wachsenden Fleischeslust der Schweizerinnen und Schweizer wächst auch die Micarna als Unternehmen. Erst im vergangenen Jahr hat der Fleischverarbeiter die Rudolf Schär in Thal mit 90 Mitarbeitenden übernommen. Einen Fleisch- und Wurstspezialisten, der zu den langjährigen Partnern der Micarna gehört. Dazu gesellten sich drei weitere Familienunternehmen mit rund hundert Mitarbeitenden.
Mit dem Ausbau der Geschäftstätigkeiten treffen innerhalb der Micarna verschiedene Gesundheitskulturen aufeinander. Um diese miteinander in Einklang zu bringen, legt das Unternehmen ein Augenmerk auf die gemeinsame Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements: «Wir lernen bei der Integration neuer Firmen voneinander», sagt Harder. Etwa, indem Kadermitarbeitende sich mit der Kultur der neu dazugestossenen Firmen vertraut machen und sich untereinander austauschen. Oder indem Mitarbeitende der neuen Firmen an Führungsseminaren der Micarna-Gruppe teilnehmen. «Wir setzen dort an, wo die Bereitschaft da ist, über den eigenen Bereich hinauszuschauen», so Harder.
Tägliches Aufwärmtraining
Dass eine gesundheitsförderliche Kultur nicht von heute auf morgen entsteht, versteht sich von selbst: Diese wächst über Jahre hinweg. Bei der Micarna hat die Gesundheitskultur Tradition: «Wir haben uns als eines der ersten Industrieunternehmen mit dem Label Friendly Work Space von Gesundheitsförderung Schweiz auszeichnen lassen», erklärt Harder nicht ohne Stolz. Inzwischen sogar zum dritten Mal, denn ein mit dem Label ausgezeichnetes Unternehmen muss alle drei Jahre zum «Gesundheitstest» antreten. Das erprobte Betriebliche Gesundheitsmanagement der Micarna erweist sich auch bei der Integration der neuen Unternehmensmitglieder zunehmend als Vorteil: Die kleinen, oft von Familien geführten Betriebe profitieren vom grossen BGM-Erfahrungsschatz und den etablierten BGM-Programmen des Fleischverarbeiters.
Um die Gesundheitskultur weiterzuentwickeln, schwört Harder auf das Prinzip «ausprobieren und Erfahrungen sammeln.» Dabei sind alle Mitarbeitenden vom Produktionsmitarbeitenden bis zum Kadermitglied eingebunden. So auch in der Pouletverarbeitung in Courtepin. Dort startet in Kürze ein Pilotprojekt für ein gemeinsames morgendliches Aufwärmtraining: «Das war eine Idee unserer Mitarbeitenden», erklärt Harder. «Sie haben die Parallelen zum Sport erkannt, wo man sich ja auch aufwärmt, bevor man aktiv ist.» Micarna habe diesen Mitarbeitervorschlag aufgegriffen. Gleichzeitig investiert das Unternehmen auch finanziell in die Gesundheit der Mitarbeitenden. So wurde die in die Jahre gekommene Fleischproduktionsanlage in Bazenheid gegen eine ergonomisch anpassbare ausgetauscht, die den Mitarbeitenden die körperliche Arbeit in der Zerlegerei erleichtert. Zudem schulen zu Coaches ausgebildete Mitarbeitende ihre Kollegen darin, wie man Lasten korrekt hebt und transportiert. Fehlermeldungen und Unfälle nutzt das Unternehmen, um am Gesundheitsmanagement zu feilen: Wie im Spitalbereich werden schon Beinahe-Unfälle rapportiert und daraus Verbesserungen abgeleitet.
Bonusrelevante Gesundheitskultur
Bei der Gestaltung der Gesundheitskultur nimmt das Micarna-Kader eine aktive Rolle ein: Vorgesetzte absolvieren als Bestandteil der internen Kaderweiterbildung nicht nur Betriebliche-Gesundheits-management-Kurse, sondern haben auch Gesundheitsziele: Sie sind beispielsweise dafür verantwortlich, die unternehmensweit vorgegebenen Absenzquoten einzuhalten. Wird die Quote Micarnaweit erreicht oder sogar unterschritten, fällt der Bonus für die gesamte Belegschaft höher aus. Zur allgemeinen Übersicht erstellt das HR dazu monatliche Auszüge der aktuellen Absenzzahlen. Das ermöglicht den Vorgesetzten, ohne langes Zuwarten mit den Betroffenen Rückkehrgespräche zu führen, mit ihnen gesundheitsförderliche Lösungen zu erarbeiten und damit Langzeiterkrankungen zu vermeiden. «Im Vordergrund steht stets, die Mitarbeitenden im gewohnten Arbeitsprozess zu halten», sagt Harder, denn «das Risiko für Langzeitausfälle steigt bereits ab dem 15. Abwesenheitstag markant an.» Massnahmen, die Erfolg zeigen: So konnte die Absenzquote innerhalb kurzer Zeit beinahe um einen Prozentpunkt verringert werden. Erfolgsindikatoren für ein erfolgreiches Gesundheitsmanagement sind für den HR-Leiter aber auch die gesunkene Mitarbeiterfluktuation oder die gestiegene Rücklaufquote der Mitarbeiterbefragung.
Nicht alles ist messbar
Daneben erschliessen sich für Harder vor allem im Austausch mit den Betriebssanitätern, die etwa bei Verletzungen oder Unfällen beigezogen werden, weitere Erkenntnisse: «Wenn es technische Störungen oder Probleme in der Zusammenarbeit gibt, sind unsere Sanitäter oft die Ersten, die diese Informationen erhalten.» Nicht alles sei im Betrieblichen Gesundheitsmanagement klar erfassbar, meint Harder. So sei kaum nachweisbar, inwiefern eine einzelne Massnahme wie ein Gesundheitstag die Absenzquote direkt beeinflusst oder das Wohlbefinden der Mitarbeitenden steigert. «Es ist die Summe aller BGM-Massnahmen, die den Erfolg ausmacht», ist Harder überzeugt.