Brave New World – Robot Recruiting
Werden künftig Algorithmen den Recruiting-Job übernehmen? Einiges spricht dafür. Aber die Digitalisierung hat auch ihre Grenzen.
Ein Uni-Abschluss, gute Noten und Zeugnisse – das galt lange als Türöffner zu den begehrtesten Jobs in namhaften Unternehmen. Google, das in seiner Anfangszeit noch einen akademischen Abschluss vorausgesetzt hat, verkündete schon vor Jahren, dass man Uni-Noten mittlerweile nicht mehr als Kriterium heranziehe. «Abschlussnoten sind wertlos bei der Personalauswahl. Wir haben festgestellt, dass sie rein gar nichts vorhersagen», zitierte die News York Times den Personalchef von Google.
Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch
Lückenlose Lebensläufe, Titel und Abschlüsse werden in Zeiten der Digitalisierung auch bei anderen Vakanzen obsolet. Algorithmen helfen heute schon, dass administrative Aufgaben wie Sichten und Vorsortieren von Dossiers nicht mehr manuell gemacht werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Computer beurteilen schneller und effizienter. Lebensläufe werden auf Basis voreingestellter Kriterien selektiert. Aber die Integration künstlicher Intelligenz geht schon viel tiefer.
Nicht nur die Lebenslaufanalyse, auch Leistungs- und Persönlichkeitsanalysen durch psychometrische Tests gehören mittlerweile zum computergesteuerten Auswahlverfahren. Persönlichkeit, Kompetenz, Befinden – alles wird messbar. Sprachanalysesoftware wird heute schon eingesetzt, um Mitarbeiter vor einer drohenden Überlastung zu schützen. Nach nur 15 Minuten ermittelt beispielsweise die Software Precire des Unternehmens Psyware das Belastungsniveau. Das Start-up aus Deutschland arbeitet daran, auch Persönlichkeit und Kompetenzen eines Menschen lesbar zu machen. Interesse von Unternehmen, die das für Recruiting-Zwecke einsetzen möchten, ist laut Psyware vorhanden.
Algorithmen und Gamification
Knack, ein Unternehmen aus dem Silicon Valley, hat einen anderen Ansatz gewählt. Das Unternehmen wurde von Guy Halfteck gegründet. Ausgangspunkt war ein negatives Bewerbungserlebnis, das Halfteck am eigenen Leibe erfahren musste. Ein Unternehmen absolvierte mit ihm über Monate hinweg unzählige Interviews. Genervt von der Absage gründete er das Unternehmen Knack. Anhand von Algorithmen und Computerspielen wird ermittelt, welcher Kandidat für einen Job der passendste ist. Noten und Abschlüsse werden auch hier nicht berücksichtigt.
Die Smartphone-App «Wasabi Waiter» soll Ausdauer, Kreativität und Entscheidungsfähigkeit einer Person testen. Der Spieler bedient als Kellner die Gäste in einem virtuellen Sushi-Restaurant. Dabei sollen die unterschiedlichen Emotionen der Gäste berücksichtigt, neu eintreffende Besucher im Blick und die Theke in Ordnung gehalten werden. Mit der Weise, wie der Spieler, beziehungsweise der Kandidat die Aufgaben erfüllt, wird offenbar, wie risikobereit eine Person ist. Auffassungsgabe, soziale Intelligenz und Belastbarkeit sind weitere Punkte, die sich nach einigen Minuten herauskristallisieren.
Mit solchen Tools lassen sich zukünftig ohne grossen Aufwand potenzielle Jobanwärter identifizieren. Ein Vorteil dieser Art der Analyse ist, dass sich auch für Menschen Chancen bieten, die nicht die finanziellen Mittel für einen Eliteuniversitäts-Abschluss hatten.
Milliarden-Wachstumsmarkt
Die Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz schreitet rasant voran. Laut Studien des internationalen Marktforschungsinstituts IDC betragen die globalen Investitionen im Bereich der künstlichen Intelligenz aktuell acht Milliarden Dollar. Bis zum Jahr 2020 wird dieser Anteil auf 47 Milliarden anwachsen. Ein Grund dafür ist die aktuelle Rechenleistung der Computer, die extrem komplexe Netzwerke ermöglicht. Das IDC geht davon aus, dass schon 2018 die Hälfte aller Verbraucher mit kognitiv basierten Services interagieren wird.
Digitalisierung als Chance für HR
Das Thema wird also auch die HR-Welt stark beeinflussen. Trendexpertin Dr. Karin Vey, die im Schweizer Think-Lab der IBM-Forschung tätigt ist, zeigt sich überzeugt, dass sich HR mit den gleichen Anforderungen konfrontiert sehen wird wie ein Dienstleistungsunternehmen: schneller, unkomplizierter und userfreundlicher Service. Bewerber möchten im Bewerbungsprozess schnell über den Status informiert werden.
Recruiter hingegen arbeiten an einer schnellen und vor allem passenden Besetzung der Vakanz. Künstliche Intelligenz kann diese Interessen abdecken. Die IBM-Lösung Watson ermöglicht es einer japanischen Personalvermittlung schon heute, 14 000 Ingenieure in Unternehmen zu platzieren. Erstaunlich ist, dass Watson auch unstrukturierte Daten wie CVs, Notizen, Zeugnisse und sogar Videos erfasst und als Resultat auf die Soft Skills der Kandidaten schliesst. Zukünftig werden auch Persönlichkeitseigenschaften wie beispielsweise Extraversion oder Gewissenhaftigkeit erfasst. Dabei macht der Computer auch nicht vor der Analyse des Social-Media-Verhaltens halt. Damit hätte die Digitalisierung die Zukunft eines weiteren Berufsbildes, nämlich des Recruiters, besiegelt.
Doch im HR Today-Interview zeigt sich die IBM-Forscherin zuversichtlich, dass HR nicht durch Algorithmen ersetzt werden wird. Vielmehr sind es die Routinearbeiten, die entfallen und Raum für ein kundenorientiertes HR geben. Zudem verändert sich – wie nicht anders zu erwarten – die HR-Rolle. Die Digitalisierung verlangt IT-Skills, zudem sollte Verständnis für die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Systeme vorhanden sein. Software erledigt viele zeitraubende Admin-Jobs professionell und effizient. Es bleibt wieder mehr Zeit, um menschliche Kernkompetenzen wie Empathie und Imaginationsfähigkeit für die Entwicklung komplexer Lösungen einzusetzen.
Eine Herausforderung für das HR wird darin bestehen, die Ressourcenplanung des Unternehmens zu unterstützen und alle Mitarbeitenden auf die Digitalisierung vorzubereiten. Selbst in Zeiten selbstfahrender Autos kann noch kein Algorithmus Talente entwickeln, Begeisterung entfachen und Menschen motivieren. Und noch kein Chatbot hat sich als authentischer Kommunikator im Unternehmen hervorgetan. Das alles bleibt Kompetenz der «Human Resource».