Burnout: Leid oder Chance zur Entwicklung?
In der Arbeitswelt ist das Wort Burnout oft mit Fragen und Schuldzuweisungen verbunden. Stigmatisierungen und Diffamierungen sind schnell zur Hand, da sie komplexe Sachverhalte vereinfachen. Doch es geht auch anders.
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Ein Burnout kommt nicht «überraschend», vielmehr ist es eine Summierung von ungünstigen Faktoren. Diese können geschäftlicher wie auch privater Natur sein. Hinzu kommen die individuelle Persönlichkeit und der Umgang mit schwierigen Situationen. Die Gründe für ein Burnout auf ein oder zwei Faktoren zu reduzieren, wäre deshalb höchst unseriös. Die Komplexität und dieses «Nicht-so-genau-Wissen» sind aber Gründe, weshalb viele Menschen keinen Zugang zum Burnout finden.
Ein zentraler Aspekt der Burnout-Prävention ist die Unternehmenskultur. Wer akzeptiert oder fordert, dass Mitarbeitende fast rund um die Uhr erreichbar sind, fördert ein Ausbrennen. Solchem Verhalten ist vom Management entgegenzuwirken. Die Ursachen dafür? Eine falsch verstandene Kundenorientierung oder ein Präsentismus aus Profilierungsgründen. Beides wird in Unternehmen häufig gefördert statt gehemmt. Im gleichen Zug werden von den Mitarbeitenden Engagement, Eigenverantwortung und Rücksicht auf die eigene Gesundheit gefordert.
Das Resultat dieser Zielkonflikte sind Leistungsabfälle und Fehltage. Dieser Entwicklung können anonymisierte Umfragen zur Unternehmenskultur entgegenwirken, wenn die Ergebnisse vom Management kritisch betrachtet werden. Auch die Fehltage der Mitarbeitenden gehören auf die Balanced Scorecard jedes Unternehmens, das sich glaubwürdig für die Gesundheit der Mitarbeitenden einsetzt. Was es bei der Burnout-Prävention aber besonders braucht, ist der Mut des Top-Managements, Defizite im Betrieb anzugehen, Missstände ehrlich aufzuzeigen und zielführende Massnahmen zu ergreifen. Dies ist als Investition zu verstehen und sollte sich in den Zielsetzungen der Führungskräfte wiederfinden.
Verständnisprobleme und Zielkonflikte beim Thema Burnout
«Werter Herr Rechsteiner. Sie träumen, wenn Sie das Gefühl haben, der Kunde sei nicht König. Er gibt den Takt vor. Da hat man sich anzustrengen. Sonst erhalten wir keine weiteren Aufträge!» Solche und ähnliche Aussagen höre ich des Öfteren. Genau da liegt aber das Problem: Einem Kunden mal Nein zu sagen, ist genauso wichtig, wie man das auch im Privaten tut. Jemand, der sich ständig am Limit dessen bewegt, wozu er fähig ist, brennt langfristig aus. So geht es auch Unternehmen und deren Mitarbeitenden, wenn sie ihre Aufträge nicht nachhaltig abwickeln.
Auf der Strecke bleiben oft motivierte und gewissenhafte Mitarbeitende, die für ihre Zuverlässigkeit bekannt sind. Qualitäten, die jeder Kunde schätzt und die man schützen muss, um nachhaltig zu wirtschaften und letztlich mehr Erträge als mit einer kurzfristigen «Hüst-und-Hott-Strategie» zu generieren. Börsenkotierte Unternehmen mit einer ausgeprägten Shareholder-Value-Ausrichtung sind besonders burnoutgefährdet.
Burnout ist komplex und hängt an vielen «Fäden». Deshalb ist das Verständnis dafür so wichtig und eine Prävention vor allem dann erfolgreich, wenn sie auf höchster strategischer Ebene angesiedelt ist. Nichtsdestotrotz sind auch im Kleinen wirksame Handlungen möglich.
Reintegration von Mitarbeitenden mit Burnout
Wenn wir von der strategischen auf die operative Ebene zu sprechen kommen, stellt sich die Frage, wie man jemanden integriert, der ein Burnout erlitten hat. Viele Ratgeber ermahnen zu einer fein abgestimmten Leistungsanpassung, individuellen Zielvereinbarungen und viel Mitgefühl. Das passt nicht in jedem Fall. Viele Betroffene schämen sich und wollen keine Extrabehandlung. Sie wollen Verständnis für ihre Situation, aber keine übertriebene Umsorgung. Schliesslich wollen und können sie sich von einem Burnout erholen. Der Umgang damit liegt aber primär in ihrer Hand und damit auch der Entscheid, ob sie an die ursprüngliche Arbeitsstätte zurückkehren möchten. Sind dort die Voraussetzungen für eine Integration derart schlecht, dass sich diese kaum verwirklichen lässt, sollten Betroffene besser nach Alternativen suchen. Diesen Entscheid kann ihnen aber niemand abnehmen.
Falls Arbeitnehmende an ihren angestammten Arbeitsplatz zurückkehren können, bietet sich idealerweise ein Gespräch zwischen Mitarbeitendem und Vorgesetztem an, um einen Integrationsfahrplan bestimmen. Dieser ist bewusst nicht zu detailliert zu halten, da man sonst der Gefahr der «Überadministration» unterliegt und auch – zum Teil vom Betroffenen selbst gemachten – Druck erzeugt. Daneben ist es wichtig, sich darüber zu unterhalten, was störende und belastende Faktoren sind. Das erfordert Offenheit, Ehrlichkeit und ein gegenseitiges Kommitment. Wenn Arbeitnehmende und Mitarbeitende unabhängig von einer therapeutisch begleiteten Persönlichkeitsentwicklung gemeinsam an der Integration arbeiten, kommen oft organisatorische und zwischenmenschliche Schwachstellen zutage, die alle Beschäftigten betreffen. Deshalb ist Burnout auch eine Chance zur Verbesserung und Innovation. Konstruktiv angegangen und in den Berufsalltag integriert, sind namhafte Bottom-up-Entwicklungen möglich. So lässt sich auch für die anderen Mitarbeitenden die Arbeitssituation oft verbessern.
Lernkultur, Integrationsform und Trennung
Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Vorgesetzte um nichts kümmern müssen. Vielmehr sollten sie Strukturen schaffen, die einen rückfallvermeidenden und präventiven Charakter haben. Einzel- und Teamgespräche offenbaren oft ein enormes Potenzial an Innovationen, sofern man sie erkennt. Der Wille zu einer lernenden Organisation ist deshalb sehr bedeutsam. Um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, eignet sich ein partizipativer Führungsstil, der alle Mitarbeitenden und ihre Ideen ernst nimmt. Das dadurch entstehende Wir-Gefühl ist zentral bei der Burnout-Prävention.
Überdies stellt sich oft die Frage, ob Integration unabhängig vom Leiden erfolgen soll. Sprich: Ist es dasselbe, ob ich jemanden mit einem Krebsleiden oder einem Burnout integriere? Grundsätzlich macht es wenig Unterschied. Betroffene sind ernst zu nehmen, deren Anliegen sind zu integrieren und ihnen ist keine Extrabehandlung im Sinne der «Überumsorgung» zukommen zu lassen. Auch eine stufenweise Anpassung an die Belastungsgrenze ist wichtig. Dies hat einen Trainingscharakter und sorgt für eine bessere Resilienz. Ist der Wille für ein gemeinsames Weiterkommen unternehmensseitig nicht mehr vorhanden, ist eine Trennung das letzte Mittel. Eine vom Unternehmen initiierte Kündigung verursacht bei den Betroffenen jedoch häufig Existenzängste und psychisches Leid. Das führt zu überproportional hohen sozioökonomischen Folgekosten, die es tunlichst zu vermeiden gilt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Burnout indiskutabel Leid verursacht. Es bietet aber mindestens so viele Chancen, weil sich hinter dem negativen Image manch unerkanntes Entwicklungspotenzial verbirgt. Sei es auf persönlicher oder unternehmerischer Ebene.