Corona – und danach?
Die Corona-Krise könnte sich zu einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen der jüngeren Geschichte entwickeln und sogar die Finanzkrise in den Schatten stellen. Doch welche Trends haben vergangene Krisen hervorgebracht und welche neuen Entwicklungen sind aufgrund der Corona-Pandemie zu erwarten?
Welche neuen Entwicklungen dürften aufgrund der Pandemie erwartet werden? (Bild: Shutterstock)
Dass Krisen in der Regel langfristige Trends setzen, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Die Lehre aus der grossen Depression war, dass Wirtschaftskrisen politisch begleitet werden müssen, um soziale Unruhen zu vermeiden und den wirtschaftlichen Einbruch abzufedern. Die Ölkrisen legten die Grundlage für die grüne Bewegung, die uns bis heute begleitet. Die Internet-Blase zeugt von der frühen Internet-Begeisterung, die viele Firmen zu Unrecht hoch bewertet, aber gleichzeitig die digitale Welt von heute möglich gemacht hat. Die Finanz- und Schuldenkrise machte durch zahlreiche Massnahmenpakete unser Bankensystem robuster und schuf das Bewusstsein, dass der Staatsverschuldung Grenzen gesetzt sind.
Der Blick zurück zeigt auch: Die Krisen der Vergangenheit haben die Gesellschaft teilweise auf die Folgen der Corona-Pandemie vorbereitet. Mit beispiellosen Finanzmitteln und Sonderregelungen sichert der Bundesrat Unternehmen und Arbeitsplätze. Stabile Geschäftsbanken gewähren Kredite kurzfristig und kontrolliert. Die Digitalisierung erlaubt es einerseits zahlreichen Arbeitnehmenden, ihrem Beruf nachzugehen und sich zu schützen. Andererseits ermöglichte sie die schnelle Entdeckung und genetische Entschlüsselung des Corona-Virus binnen weniger Wochen. Nur eine Bürde geben uns die vergangenen Krisen mit auf den Weg: Aufgrund des hohen öffentlichen Schuldenstands könnte die Corona-Krise eine neue Schuldenkrise zur Folge haben.
Flexicurity und berufliche Neuorientierung
Das Flexibilitätsbedürfnis der Erwerbstätigen in der Schweiz hat bereits vor der Corona-Krise zugenommen. Mit dem Lockdown erhalten und erleben zahlreiche Arbeitnehmende die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten – auch in Berufsbildern, in denen dies zuvor undenkbar schien. In der Not entstehen eben neue flexible Modelle, um Familienleben und Arbeit miteinander zu verbinden. Sicher ist es eine Erleichterung, wieder zur Normalität zurückzukehren. Dennoch wird sich mancher Arbeitnehmende zumindest einen Teil der neuen Freiheiten bewahren wollen und den Wunsch entwickelt haben, mit flexiblen Arbeitsmodellen zu experimentieren – sei es hinsichtlich der Arbeitszeit, dem Arbeitsort oder der Vertragsform.
Flexibilität allein wird nach der Krise jedoch nicht ausreichen, um Erwerbstätige zu begeistern. Die Krisenerfahrung hat gleichzeitig ein neues Sicherheitsbedürfnis geschaffen. Schliesslich drohen fehlende Aufträge und Krankheit auch in wirtschaftlich normalen Zeiten – mit der Ausnahme, dass der Staat in diesen Phasen nur bedingt als Retter auftritt. Diese Erfahrung machen in der Corona-Krise insbesondere Freelancer. Als Selbständige müssen sie selbst prüfen, welche Hilfeleistungen ihnen ausnahmsweise offen stehen. Eine Krankentagegeldversicherung hätte zu hohen Kosten vor der Krise abgeschlossen werden müssen. Das Risiko von Arbeitslosigkeit war gar nicht versicherbar. Um den administrativen Aufwand zu reduzieren und gleichzeitig eine günstige Absicherung von Krankheit und Arbeitslosigkeit zu erhalten, liess eine schnell wachsende Gruppe von Freelancern ihre Aufträge über Personaldienstleister abwickeln. Rechtlich wurden sie damit zu Temporärarbeitenden, die einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung und Krankentaggeld haben. Auf diese Weise lassen sich Flexibilität und soziale Absicherung kombinieren. Zu Beginn des Jahrtausends sprach man in diesem Zusammenhang von Flexicurity – ein Begriff, der nach der Krise neuen Aufwind bekommen dürfte.
Im Lockdown dürften sich viele Arbeitnehmende die Sinnfrage stellen. Berufe im Detailhandel, in der Logistik und in der Reinigung erfahren eine neue gesellschaftliche Wertschätzung und gelten als systemrelevant. Gleichzeitig machen andere Arbeitnehmende die gegenteilige Erfahrung und müssen zu Hause bleiben. Auf beiden Seiten könnte dies in Kombination mit den durch die Pandemie ausgelösten Existenzängsten Gedankenspiele auslösen, sich langfristig beruflich neu zu orientieren – die einen, weil sie die gesellschaftliche Erwartungshaltung auf ihren Schultern spüren, die anderen, weil ihnen diese gerade fehlt. Um solche beruflichen Ziele in die Tat umzusetzen, werden Weiterbildungen, Umschulungen und die Chance, erste Arbeitserfahrung in der neuen Tätigkeit zu sammeln, an Bedeutung gewinnen. Mit der Arbeitsform der Temporärarbeit können Personaldienstleister solche Transitionsprozesse begleiten und dank dem paritätischen Weiterbildungsfonds Temptraining sogar einen finanziellen Beitrag leisten.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Neuordnung
Die Krise wird tiefgehende Spuren in unserem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenleben hinterlassen. Wer dieser Tage durch die Strassen geht, mag spüren, dass das Wort soziale Distanz nicht den Kern trifft. Die physische Distanz im Alltag schafft eine neue soziale Nähe. Freundliche Distanz zeugt von einem auf den anderen Tag von Respekt und Wertschätzung. Kunden dürften daher in Zukunft einen neuen Mix aus Distanz und persönlicher Nähe erwarten. Besonders profitieren dürften von dieser Entwicklung Unternehmen, denen es gelingt, digitale Lösungen mit individualisierten Elementen zu verbinden. Mit Blick auf den Temporärmarkt könnte das heissen, dass Kunden zunehmend erwarten, zunächst auf einer Plattform zu recherchieren und computergestützte Vorschläge zu erhalten, welche Stellen oder Kandidaten zu ihnen passen könnten – gleichzeitig aber zumindest auch die Möglichkeit haben, ihren Entscheid mit einem erfahrenen Personalberater zu reflektieren oder per Chatfunktion auf der Website abgeholt zu werden.
Neue Überlegungen könnten in Anbetracht der Krise auch bei Unternehmenslenkern und Shareholdern eintreten. Seit den Ölkrisen stand in den Unternehmen wirtschaftliche Effizienz, Outsourcing und die Fokussierung auf das Kerngeschäft im Vordergrund. Im Zuge dessen spalteten sich zahlreiche Mischkonzerne auf. Jede Spezialisierung führt aber zu Klumpenrisiken im gewählten Geschäftsfeld und erhöht die Abhängigkeit von Zulieferern. Die Detailhändler Coop und Migros beweisen in der Corona-Krise, wie eine Tätigkeit in verschiedenen Geschäftsfeldern das Unternehmensrisiko reduzieren kann. Während ihre Restaurants und Baumärkte geschlossen sind, verbleiben die Einnahmen aus dem Lebensmittelverkauf. Sollten sich Unternehmen vermehrt breit aufstellen und Teile der Produktion zurück in die Schweiz holen, braucht es hierzulande entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte – Transitionsprozesse, bei denen Personaldienstleister ebenfalls eine wichtige Rolle einnehmen können.
Konflikte dank Krise überwinden
Ein Blick auf vergangene Konjunktureinbrüche und die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt: Trotz aller Schwarzmalerei dürfte die Corona-Pandemie langfristig neue Trends in Wirtschaft und Arbeitswelt setzen, die positive Veränderungen mit sich bringen. Letztlich könnte sie sogar ein gesellschaftlich versöhnendes Element in sich tragen. Populisten und Volksmund wussten vermeintlich schon immer, in Krisen wird nur den Grossen geholfen. Die Corona-Krise bringt eine neue Dialektik. Die aktuelle Situation beweist, in Krisen wird jenen geholfen, die in Not und systemrelevant sind – derzeit tausende KMU und ihre Arbeitnehmenden sowie ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen. Ein solch neuer Geist hätte das Potenzial, Vorkrisenkonflikte zu entschärfen und bietet die Chance, gemeinsam neue Wege zu finden.