HR Today Nr. 1&2/2020: swissstaffing-News

Flexibilität und Sozial­partnerschaft: Kern des liberalen Arbeitsmarkts

Der liberale Arbeitsmarkt Schweiz ist ein Erfolgsmodell: Er gilt als Kern der Schweizer Wettbewerbsfähigkeit und Garant für eine tiefe Arbeits­losigkeit. Doch er gerät unter Druck.

Aus internationaler Optik bilden der liberale Arbeitsmarkt und das ausgebaute Sozialsystem Errungenschaften, die die Vorteile des amerikanischen und europäischen Wirtschaftssystems kombinieren. In jüngerer Zeit gerät der liberale Arbeitsmarkt in Politik und Medien jedoch zunehmend unter Druck. Tiefere Erwerbslosenquoten in Deutschland und den USA nagen am Vertrauen in das hiesige System. Diese Verunsicherung nutzen zahlreiche Akteure, um Forderungen wie kantonale Mindestlöhne, eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes oder eine Beschränkung der Temporärarbeit durchzusetzen – Forderungen, die bis vor Kurzem chancenlos gewesen wären.

Die Umsetzung solcher Massnahmen birgt mehr Risiken als Chancen. Mit einer Arbeitsmarktpartizipation von 84,2 Prozent liegt die Schweiz unter den OECD-Ländern auf Platz 2 und schöpft das Inländerpotenzial besser aus als kaum ein anderes Land. Die Gefahr ist hoch, mit gut gemeinter Regulierung die Leis­tungsfähigkeit des Arbeitsmarkts zu mindern und das Prinzip eines liberalen Arbeitsmarkts Schritt für Schritt aufzugeben. (S. Abb. unten)

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In der Wahrnehmung der Personalverantwortlichen ist der Schweizer Arbeitsmarkt weit weniger liberal, als die internationale Optik vermuten lässt. Dies zeigt eine im Auftrag von swissstaffing durchgeführte Befragung von knapp 700 Personalern durch das Meinungs- und Sozialforschungsinstituts gfs-zürich. Zwar zählen flexible Arbeitsformen, flexible Arbeitszeiten und die Sozialpartnerschaft für 82 Prozent der Antwortenden zu den wichtigsten Merkmalen eines liberalen Arbeitsmarkts, doch sind nur etwa die Hälfte der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden, wie diese in der Praxis umgesetzt werden.

Warum Flexibilität einen so hohen Stellenwert in der Wirtschaft geniesst, zeigt ein Blick auf den Beschäftigungsmix. So wird nach Angaben der Personalverantwortlichen im Durchschnitt ein Viertel der anfallenden Tätigkeiten nicht von Festangestellten, sondern von Freelancern, Temporärarbeitenden und Arbeitnehmenden mit befristetem Arbeitsvertrag erledigt. Diese Flexworker helfen Unternehmen, auf Auftragsschwankungen rasch zu reagieren, Überstunden zu minimieren oder Experten beizuziehen. Flexibilität wird aber auch durch flexible, interne Arbeitszeitregelungen erreicht. Beispielsweise nutzen 74 Prozent der Unternehmen Arbeitszeitkonten.

Flexibilität und Sozialpartnerschaft geniessen unter Personalern den gleichen Stellenwert und zeigen die breite Verankerung des sozialpartnerschaftlichen Dialogs. Mit der aktuell gelebten Sozialpartnerschaft sind jedoch nur 52 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden. Ein Grund für dieses Ergebnis dürfte eine konfliktive Sozialpartnerschaft sein, die seit Mitte der 90er-Jahre die programmatische Grundlage gewerkschaftlichen Handelns ist: die Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen einerseits und parallele gesetzliche Regulierungsversuche andererseits.

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Diese Strategie hat der Akzeptanz der Sozialpartnerschaft noch nicht geschadet. Das Unterlaufen ausgehandelter Tarife mit kantonalen Mindestlöhnen oder – im Fall des GAV Personalverleihs die Einschränkung der Temporärarbeit – bringen jedoch eine neue Qualität in die Sozialpartnerschaft und könnte diese langfristig gefährden. «Wir stehen hinter dem GAV Personalverleih», bekräftigt Robin Gordon, CEO der Interiman Group und Verhandlungsführer bei swissstaffing. «Die parallelen Einschränkungsbemühungen der Arbeitnehmerseite besorgen mich jedoch zutiefst. Viele Mitglieder treten an mich heran und fragen, inwiefern der GAV noch eine echte Partnerschaft ist und warum dieser Weg im Fall einer gesetzlichen Branchenregulierung weiter beschritten werden sollte.» (Siehe Abb. oben)

Der Erhalt liberaler Arbeitsmärkte ist für Arbeitnehmende, Stellensuchende, Wirtschaft und Staat gleichermassen zentral. Für Arbeitnehmende und Stellensuchende ist Flexibilität der Garant, nachhaltig im Erwerbsprozess integriert zu bleiben. Zahlen von swissstaffing belegen: Speziell «schwache» Arbeitsmarktteilnehmende wie Hilfskräfte und über 50-Jährige profitieren von der Flexibilität der Temporärarbeit – besonders, wenn sie kurz nach einem Stellenverlust über einen Personaldienstleister vermittelt werden.

Für die Wirtschaft ist Flexibilität ein zentraler Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. Dies lässt sich am Beispiel der Temporärarbeit illustrieren: Je höher der Anteil der Temporärarbeit an der Gesamtbeschäftigung in einem Land ist, umso besser schneidet dieses Land im Durchschnitt beim Global Competitiveness Index des World Economic Forum ab. Nicht zuletzt profitiert der Staat – durch eine hohe Arbeitsmarktintegration, die daraus resultierenden Einnahmen bei Steuern und Sozialversicherungen sowie die Vermeidung einer Schattenwirtschaft.

Der liberale Arbeitsmarkt Schweiz ist nicht zu verwechseln mit einem Arbeitsmarkt, der frei von Verantwortung ist. Mit einer schlanken Gesetzgebung, ergänzt durch eine starke Sozialpartnerschaft, besteht hierzulande eine Tradition, die schwierig miteinander zu vereinbarenden Standortfaktoren Stabilität, Flexibilität und schlanke Regulierung in Einklang zu bringen. Die derzeitige Politik der Arbeitnehmerorganisationen gefährdet dieses ausgeglichene System jedoch, indem nicht erreichte Verhandlungsziele gesetzlich durchgesetzt werden sollen.

Die grösste Herausforderung: Arbeitnehmerorganisationen organisieren zunehmend die Verlierer der aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Das Bedürfnis neu entstehender Arbeitnehmermilieus nach mehr Flexibilität wird nicht vertreten. Für die Zukunft gilt es daher, gemeinsam nach Wegen zu suchen, um auf Arbeitnehmerseite zu einer repräsentativen Sozialpartnerschaft zurückzufinden.

White Paper

«Flexibilität und Sozialpartnerschaft, Zentrale Merkmale eines liberalen Arbeitsmarktes»

Am Beispiel der Temporärarbeit zeigt das dritte White Paper von swissstaffing auf, wie Flexibilität zu guten Arbeitsmarktergebnissen führt und wie konkrete Einschränkungsbemühungen den liberalen Arbeitsmarkt gefährden: swissstaffing.ch/whitepaper

 

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Marius Osterfeld ist Ökonom bei ­swissstaffing.

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