Das HRM als digitaler Agent
Die Digitalisierung schreitet ungebremst voran und verändert die Arbeitswelt fundamental. Digitalisierungs-Experte Joël Luc Cachelin identifiziert vier Entwicklungstrends, welche die Management-Realität künftig prägen und nimmt im Interview Stellung zu seinen Thesen.
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Unser Alltag verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum. Die nächsten Jahre werden entscheiden, welche Unternehmen diesen Epochenwandel überstehen. Aus Unternehmenssicht sind folgende Entwicklungen besonders wichtig:
Die Wahrscheinlichkeit von disruptiver Veränderung steigt. Augmented Reality, Big Data und künstliche Intelligenz bringen nicht nur neue Produkte hervor, sie revolutionieren auch sämtliche Prozesse. Aus der Marktsicht bedeutet Disruption das Eintreten völlig neuer Konkurrenten in einen vermeintlich geschützten Markt. Disruption entsteht, wenn Wertschöpfung durch das Internet dezentralisiert wird, Crowds an die Stelle von Experten treten, Intermediäre eliminiert werden oder die Digitalisierung neue Mittel zur Verfügung stellt, um ein Bedürfnis zu befriedigen.
Ein steigender Teil der Belegschaft besteht aus Maschinen. Zur Belegschaft der Zukunft gehören neben den Mitarbeitenden auch Automaten, Roboter, Drohnen und Algorithmen. Weil Maschinen mehr Informationen verarbeiten, billiger, schneller und fehlerfreier arbeiten, gerät die menschliche Arbeitskraft unter Druck. Der Mensch hat aber bei kreativen, gefühlsvollen und handwerklichen Tätigkeiten auch Vorteile gegenüber der Maschine.
Zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten prägen den Unternehmensalltag. Je mehr ein Unternehmen von der Digitalisierung geprägt ist, desto mehr etablieren sich zwei unterschiedliche Tempi im Unternehmen: Es gibt Abteilungen und Unternehmen, die sich mit den Folgen der Disruption beschäftigen oder diese sogar aktiv auslösen wollen. Andere Abteilungen und Mitarbeitende sind von der Geschwindigkeit überfordert und versuchen, die Organisation bewusst zu entschleunigen.
Das Unternehmen ist ein Netzwerk. Die Digitalisierung macht das Unternehmen in mehrerer Hinsicht zum Netzwerk, denn der Unternehmensalltag findet gleichzeitig in der analogen und der digitalen Welt statt: Kunden und Mitarbeitende erwarten, dass Prozesse nahtlos vom Analogen ins Digitale und umgekehrt funktionieren. Zentral sind dabei die mobilen Applikationen und Informationen. Hierarchien und Grenzen zu externen Know-how-Lieferanten werden relativ.
Neue Management-Realitäten
Die Digitalisierung verstärkt über reduzierte Margen, neue Wettbewerber sowie erhöhte Geschwindigkeit den Kosten- und Innovationsdruck. Unternehmen sind aufgefordert, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Um langfristig zu überleben, braucht es die Fähigkeit, bestehendes Wissen und die im Unternehmen existierenden Fähigkeiten neu zu kombinieren. Im Kontext des steigenden Rohstoff- und Energieverbrauchs wird die Fähigkeit des Re- und Upcyclings zu einem zentralen Erfolgsfaktor.
Mit zunehmender Verlagerung von Geschäftsprozessen in die Onlinewelt werden die Unternehmen dabei auf zwei zentrale Ressourcen reduziert: die Mitarbeitenden und die Informatik. Für ein integriertes Management dieser beiden Ressourcen ist eine Annäherung von HR und IT deshalb unausweichlich. Das widerspiegelt sich insbesondere im Risiko- und Investitionsmanagement. Fehlt hier eine Integration, kommt es zu Doppelspurigkeiten und die Unternehmen verpassen es, die Synergien von Mensch und Maschinen zu nutzen.
Wenn Veränderung Alltag ist und radikale Veränderungen jederzeit eintreten können, verliert das Unternehmen seine feste Form. Erforderlich ist ein Unternehmensdesign, das sich einer veränderten Welt rasch anpassen kann. Zum Design gehören Aufbau- und Ablauforganisation, Unternehmenskultur, Räumlichkeiten sowie die gesamte Hard- und Software. Letztlich hängt es an den Mitarbeitenden, ob eine Organisation zur schnellen Veränderung fähig ist.
Um Veränderungen rasch umzusetzen, braucht es aber auch eine neue Form des Leaderships: Ein zeitgemässes Führungsverständnis zeichnet sich durch die coachende und moderierende Rolle der Führungskraft aus. Wissen, Ideen und Prozesse werden nicht mehr in die Köpfe der Mitarbeitenden gedrückt, sondern gemeinsam entwickelt. Dazu braucht es Führungskräfte, die ihren Anspruchsgruppen zuhören, Informationen und Gefühle verdichten und Unternehmertum fördern.