Das Peter-Prinzip oder die Hierarchie der Unfähigen
Immer wieder erleben wir den tiefen Fall von CEOs und weiteren Führungskräften, die zuerst in den Status von Halbgöttern erhoben wurden. Diese rasant aufgestiegenen Gipfelstürmer scheitern oft an ihrer Eitelkeit, Geltungssucht und Selbstüberschätzung – sie sind vom «Peter-Syndrom» infiziert.
Immer wieder kommt es zum tiefen Fall hoher Chefs – sie wurden bis zu ihrem «Level of Incompetence» befördert. (Bild: 123RF)
Vor über 40 Jahren analysierten und beschrieben der Psychologe Laurence J. Peter und der Schriftsteller Raymond Hull in ihrer berühmt gewordenen Studie den «Aufstieg zur Unfähigkeit». Darin geisseln sie das – vielfach auch heute noch geltende – ungeschriebene Gesetz der Hierarchie bzw. den Beförderungsgrundsatz, bis zum jeweiligen Niveau der Unfähigkeit aufzusteigen – eben bis zum «Level of Incompetence». Das mit beissender Ironie verfasste Werk wurde in 37 Sprachen übersetzt und ist längst zum Bestseller geworden.
So können bisher erfolgreiche Karrieren zum Bumerang werden; nachstehend zwei einfache Beispiele dazu:
- Aus der Welt des Sports: Ein Top-Fussballspieler muss noch lange nicht als Spitzentrainer reüssieren. Das Gegenteil ist eher der Fall. Der deutsche Bundestrainer, Joachim Löw, äussert sich dazu wie folgt: «Trainer oder Spieler zu sein sind zwei völlig verschiedene Tätigkeiten.» Einen Penalty in der linken Torecke zu versenken erfordert andere Qualitäten als eine Gemeinschaft von elf Individuen zu führen. Fazit: Am Peter-Prinzip ist schon mehr als ein berühmter Ball-Virtuose gescheitert.
- Ein eloquenter Regierungssprecher wird zum Chef der Exekutive gewählt, ist überfordert und wird zur tragischen Figur – ein weiterer Beweis für die Existenz des Peter-Prinzips: Der ehemalige Regierungssprecher ist auf seinem persönlichen «Level of Incompetence» angelangt.
Beiden Beispielen – stellvertretend für zahlreiche andere – ist gemeinsam, dass das jeweilige Niveau der persönlichen Unfähigkeit mit der neuen Funktion erreicht wurde, um im Sprachgebrauch des Peter-Prinzips zu bleiben. Wie dies in der Praxis auch heute noch «gang und gäbe» ist, handelt es sich dabei um so genannte «blinde» Beförderungen (im zweiten Fall um eine «blinde» Wahl). Dabei wird ausschliesslich die Bewährung/Qualifikation in der bisherigen Funktion, nicht aber die potenzielle Entwicklung der Kandidaten berücksichtigt.
Das Virus des Peter-Syndroms auf der Chefetage
Da weder aussagekräftige Studien noch exakte Zahlen über die Ausbreitung und die Folgen des Peter-Prinzips vorliegen, müssen wir uns in erster Linie auf den Erkenntnisstand der langjährigen Erfahrungen abstützen, um dieses Phänomen besser zu begreifen.
Eigentlich ist dieser «Level of Incompetence» wegen seiner Häufigkeit gar kein Phänomen. Vor allem auf der oberen Chefetage, wo die Spitze der Pyramide immer schmaler wird, ist die damit verbundene Absturzgefahr entsprechend gross. So berichtet die Tages- und Fachpresse regelmässig über Flops von «Top Shots», welche auf dem Niveau ihrer persönlichen Unfähigkeit angelangt sind. «Im gegenseitigen Einvernehmen» lautet dann die gängige Trennungsformel. Davon betroffen sind in erster Linie diejenigen Aufsteiger, welche sich durch Eitelkeit, überrissenen Ehrgeiz, krankhaften Geltungsdrang, rücksichtsloses Streben nach Macht und extremes Anerkennungsbedürfnis dazu verführen lassen, mehr Verantwortung zu übernehmen als sie tragen können – das Peter-Prinzip in Reinkultur!
Monique R. Siegel, renommierte Wirtschaftsberaterin, hat in einem früheren Presseinterview festgehalten, dass Frauen nach ihrer Meinung tendenziell weniger leicht dem Peter-Prinzip verfallen würden; sie seien vor allem flexibler; auch sei ihre lineare Karriereplanung noch weniger ausgeprägt als bei Männern. Schliesslich würden sich Frauen auf neue Situationen besser einstellen. Diese Aussage dürfte grundsätzlich heute noch gelten, auch wenn sich das – gesunde – Karrierebewusstsein des weiblichen Geschlechts in der Zwischenzeit weiter entwickelt hat.
Die eigenen Grenzen ausloten und erkennen
Der Laufbahnberater Stefan Müller aus Stuttgart bringt es auf den Punkt: «Wer seine Grenzen nicht kennt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie ihm gezeigt werden.» Nicht zuletzt deshalb sei eine sorgfältige und systematische berufliche und persönliche Standortbestimmung unerlässlich. Dadurch kann – besonders bei Karriereambitionen – eine durchaus mögliche Überforderung verhindert werden. Es ist eine alte Weisheit, dass es keinen wirksameren Karrierekiller gibt als einmal zu viel befördert worden zu sein.
Doch auch Vorgesetzte können etwas gegen das Peter-Syndrom unternehmen, indem sie – ohne die Förderung ihrer Mitarbeitenden zu vernachlässigen – die jeweils am besten geeigneten Leute für eine Beförderung vorsehen und nicht «um des lieben Friedens willen» fragwürdige Kompromisse schliessen. Hier liegt oft eine Fehleinschätzung zu Grunde, dass gute Leistungen in der bisherigen Funktion automatisch die besten Voraussetzungen für das Erklimmen der nächsten Sprosse auf der Erfolgsleiter seien. Dass auf der höheren Etage ein anderer, oft rauerer Wind weht, wird dabei vielfach übersehen, was fatale Folgen haben kann. Dieser andere Wind kann zum Beispiel darin bestehen, dass neben herausragenden fachlichen Qualifikationen auch Führungsqualitäten und Sozialkompetenz gefragt sind.
Was HR-Verantwortliche und Recruiter tun können
Personal- und Ausbildungsverantwortliche können die Welt nicht verbessern und auch nichts daran ändern, dass das Peter-Prinzip keine Grenzen kennt; sie können aber – gemeinsam mit den Linienvorgesetzten – durch eine sorgfältige Personalauswahl und eine professionelle Beförderungspraxis im Unternehmen einen substanziellen Beitrag leisten, damit die oder der Richtige am richtigen Platz und auf der richtigen Stufe wirken kann.
Und noch etwas: Wenn auch Karrieren heute vielfach rascher verlaufen als früher: «Nicht immer führt der Express-Lift nach oben. Man muss auch die Treppe benutzen!» (leicht abgeändertes Zitat von Emil Oesch). In der Bergsteigersprache ausgedrückt: Die Direttissima führt nicht immer zum Ziel!