Wer bleiben darf
Personalabbau hat einen bitteren Nachgeschmack – für die Ehemaligen wie die Verbleibenden. Ausnahmen bestätigen die Regel. So zeigt ein Fallbeispiel, wie trotz Abbau der Teamgeist gestärkt werden kann, wenn Mitarbeitende mitentscheiden.
Stellenabbau ist immer die letzter Ausweg: Mit einer gemeinsamen Lösungsfindung können die Folgen gemildert oder der Abbau sogar ganz vermieden werden. (Bild: iStock)
Die Corona-Pandemie zwang viele Unternehmen in die Knie. Für einige führte die wirtschaftliche Lage deshalb nicht daran vorbei, Personal zu entlassen. Ist es möglich, diesen Prozess so zu gestalten, dass die Moral des verbleibenden Personals keinen Tiefschlag erlebt und die Mitarbeitenden den Prozess als einen gemeinsamen und in Würde erfolgenden erleben? Diesen Fragen nahmen sich eine Arbeitsgruppe der Universität Bern mit Ursula Meyerhofer Fahlbusch an. Anhand eines Fallbeispiels zeigen sie auf, wie mit einem soziokratischen Entscheidungsmodell ein neues Licht auf das Thema Kündigungen aus betrieblichen Gründen geworfen werden kann.
Im Fallbeispiel zwang eine negative Prognose ein Unternehmen, die Mitarbeitendenzahl zu verringern. Der Wunsch stand jedoch im Zentrum, das Thema zu einer gemeinsamen Entscheidung von Führung und Mitarbeitenden zu machen. Die Studie basiert auf einer Umfrage der Mitarbeiten den sechs Monate nach dem Personalabbau.
Wieso ein soziokratisches Entscheidungsmodell?
Die Herangehensweise, Mitarbeitende in diesem Entscheidungsprozess miteinzubeziehen, geht aus dem soziokratischen Entscheidungsmodell hervor. Im Wesentlichen steht dabei der niederländische Unternehmer Gerard Endenburg Pate, der Soziokratie als die Selbstorganisation auf Basis von Konsens definierte. In anderen Worten, eine Entscheidung wird nur dann getroffen, wenn keine Vorbehalte mehr bestehen.
Die Herbeiführung eines soziokratischen Entscheides fusst wesentlich auf der Moderation. Diese Rolle setzt auf eine klare Unterscheidung von einer Informationsebene und der Meinung, die jemand hat. Ebenso klar wird im Prozess von den Beteiligten verlangt, Vorbehalte nur vorzubringen, wenn sie definitiv schwerwiegend sind und begründet werden können. Im Prozess dürfen laufend variierende Lösungsvorschläge eingebracht werden. Damit wird sichtbar: die Methodik setzt auf Vorwärtskommen in der Sache. Somit geht es nicht um das Finden einer konsensualen Übereinkunft oder eines demokratischen Mehrheitsentscheides.
Umsetzung in der Praxis
Im vorliegenden Beispiel eines mittelständischen Dienstleistungsunternehmens zeigen sich die Vorteile einer derart gemeinschaftlich verlaufenden Vorgehensweise im Fall eines Personalabbaus.
1. Die Vorbereitung
Der Unterschied zu einer herkömmlichen Trennung besteht aus mehreren Elementen:
- Alle Mitarbeitenden sind transparent über die betriebswirtschaftliche Situation orientiert, in der sich das Unternehmen befindet.
- Alle Mitarbeitenden sind eingeladen, sich mit einer eigenen Laufbahnreflexion mit ihren beruflichen Entwicklungswünschen zu befassen. Dieser Prozess dauert mehrere Wochen und bezieht auch das familiäre Umfeld mit ein.
- Alle Mitarbeitenden, egal ob mit oder ohne Führungsfunktion, suchen aktiv nach Alternativen zu Kündigungen.
- Die Geschäftsleitungsebene unterzieht sich demselben Prozedere und verkleinert sich ebenso.
2. Der Prozess
Nach der Vorbereitungsphase folgen die moderierten Teamsitzungen. In jedem Team stellen sich diejenigen zur Wahl, die im Unternehmen bleiben wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatten einige schon für sich entscheiden, den Berufsweg zu ändern und das Unternehmen zu verlassen. Mit dem regelgeleiteten Moderationsprozess wurden nun Teammitglieder gewählt oder auch nicht. Wechsel zwischen den Teams waren erlaubt.
3. Der Effekt
Der besondere Effekt stellte sich in der Reflexionsphase ein, die einzeln sowie in den Teams gemeinsam gestaltet wurde. So fanden Teams Mittel und Wege, sich von weniger Kollegen und Kolleginnen trennen zu müssen. Zum Beispiel über unbefristeten Ferienbezug oder andere Massnahmen zur Kostenreduktion (etwa via Mietreduktionen), oder es wurden intern verrechenbare Leistungen generiert. Letztlich wurden mittels dieser Vorgehensweise insgesamt wesentlich weniger Stellen gestrichen als ursprünglich vorgesehen.
Ein weiterer Effekt war, dass die auf Zeit gesprochenen unbefristeten Ferienbezüge oder auch Pensenreduktionen bewirkten, dass nach dem Wiederaufschwung das Personal noch vorhanden war. Es musste wesentlich weniger Neues gesucht und gefunden werden. Und letztlich kamen auch ehemalige Mitarbeitende, die zuvor freiwillig gegangen waren, ohne schlechte Gefühle und gerne zurück.
Der menschlich allerwichtigste Aspekt war: Selbst das Unternehmen verlassende Mitarbeitende behalten mit diesem Verfahren ihre Würde, denn sie haben sich – ohne erst gekündigt zu werden – selbst mit ihrer Laufbahn auseinandergesetzt und unter Umständen bereits Wechsel vollzogen, die sie sowieso früher oder später gemacht hätten. Die Mitarbeitenden erleben Wertschätzung, weil sie in der Krisensituation einbezogen sind in die Gesamtbetrachtung.
Die Bedingungen
An diesem Beispiel wurde demonstriert, wie ein andersartiger Personalabbau einen relativen Erfolg in einer bedauernswerten Situation brachte. Es wurde auch eine den Umständen entsprechend hohe Loyalität festgestellt – selbst bei Teammitgliedern, die gehen mussten.
Als relativer Gelingensfaktor für ein solches Verfahren ist die gute Unternehmenskultur zu nennen, sowie das unbedingte Dahinterstehen des obersten Managements einschliesslich des erfolgten Personalabbaus auch in der Top-Etage. Die Glaubwürdigkeit war so gegeben und die Empathie der Führenden war spürbar. Diese wiederum waren in den Prozess als aktive Glieder einbezogen.
Kennzeichnend für diese Art von Unternehmenskultur ist die radikale Transparenz und Ehrlichkeit, die zum Motto des Prozesses auserkoren worden waren. Schon davor war die Hierarchie niederschwellig ausgebaut und es gab höchst flexible und attraktive Arbeitszeitmodelle.
Die Schlussfolgerungen
Sechs Monate nach dem Personalabbau mit Hilfe des soziokratischen Entscheidungsmodells wurde eine Umfrage durchgeführt. Gemäss dieser wurde eine hohe Belastung durch die Stresssituation aufgrund des drohenden Stellenverlustes zurückgemeldet. Diese stand aber einer relativ hohen Wertschätzung des Arbeitgebers gegenüber – trotz der angespannten Situation. Auch war eine grundsätzliche Begeisterung für das «Produkt» spürbar. Grundsätzlich liebten die Angestellten ihren Job, ihre Branche und gerade auch ihren Arbeitgeber.
Das Personal wurde mit diesem Prozess aber auch in den eigenen Kompetenzen gefordert. Es fiel nicht jedem und jeder leicht, aufzustehen und für sich zu sprechen. Seine Eignung hervorzuheben und für sich und seine Fähigkeiten zu sprechen, wurde teilweise als belastend empfunden. Auch gab es Ängste, so über Kollegen und Kolleginnen zu urteilen. Die Teamleitungen wiederum wurden je mehr geschätzt, desto intensiver sie die Gemeinsamkeit des Problems und der Lösungsfindung betonten.
Die Sichtweise der Teamleitenden und der Führung nahm umgekehrt den Prozess teilweise als aktive Teambildung wahr. Im Rückblick auf die damalige Situation wird nun erlebt, dass mit der soziokratisch inspirierten Unternehmensführung die Teams über eine längere Dauer stabil positiv unterwegs sind und sich als zusammengeschweisster als zuvor erleben. Die Gesprächskultur insgesamt wird als gereifter wahrgenommen.
Was heisst das für das HR?
Für die Personalentwicklung heisst es: Mut von Mitarbeitenden wie Vorgesetzten muss thematisiert werden. Selbstkompetenzen, Selbstfürsorge und Selbstmanagement sind Zukunftskompetenzen und als solche anzugehen.
Für die Führung heisst es: Authentizität und Empathie sind unverzichtbare Zusatzeigenschaften zu den Führungseigenschaften wie Entscheidungsfreude und Belastbarkeit. Mut zu Augenhöhe statt einseitige Motivationsschinde bewähren sich. Auch dürften Mitarbeitenden-Anforderungen und solche an Führungskräfte sich mittelfristig angleichen; das gilt besonders für das Thema der Selbstfürsorge.
Weiterführende Literatur:
- Eine Kurzfassung der Evaluation findet sich hier: Barbara Strauch. Soziokratie. Organisationsstrukturen zur Stärkung von Beteiligung und Mitverantwortung des Einzelnen in Unternehmen, Politik und Gesellschaft
- Ende 2022 erscheinen zwei Artikel zum Thema in den Zeitschriften «changemanagement» (mit Nicole Bischof, Fachhochschule Ost) und in der Zeitschrift für Führung (mit Adrian Ritz und Kristina Weissmüller, Universität Bern)