HR Today Nr. 7&8/2019: Debatte

Ist die aktuelle «Fehlerkultur» überbewertet?

«Aus Fehlern lernt man», heisst es so schön. Doch dieses gut gemeinte Sprichwort ist nicht immer hilfreich. Vor allem dann nicht, wenn Konsequenzen drohen. Gerade im Job ist die Angst oft gross, Fehler zu machen. Deshalb preisen viele Unternehmen ihre grosszügige «Fehlerkultur» als Employer Brand an. Alles heisse Luft oder der richtige Weg, um die Fehlerangst zu reduzieren? Ein Thema – zwei Meinungen.

Daniela Conrad: «Neues ausprobieren und aus Fehlern lernen, ist o. k. Dazu braucht es aber keine vordefinierte Fehlerkultur.»

Der Begriff «Fehlerkultur» beruht eigentlich auf einer falschen Übersetzung: Das englische «failure culture» meint nämlich nicht den alltäglichen und vermeidbaren Fehler («mistake»), sondern den konstruktiven Umgang mit dem eigenen Scheitern, also die deutlich steilere Lernkurve. Trotzdem versichern manche Unternehmen gern, «Fehler zu akzeptieren» oder sogar eine ganze «Kultur» daraus zu machen. Ich verstehe den Gedanken dahinter. Trotzdem gibt es keinen Grund, Fehler zu idealisieren, denn sie sind und bleiben ärgerlich. Vor allem dann, wenn niemand die Verantwortung dafür übernimmt, und das ist leider die Regel und nicht die Ausnahme.

New Work ist ein gutes Beispiel. Vor allem jüngere Mitarbeitende beschäftigen sich intensiv mit neuen Arbeitsmodellen, fordern kreativen Freiraum, wollen Neues ausprobieren und aus Fehlern lernen. Ich selbst habe meine Karriere in den Nullerjahren in der Industrie gestartet – in einer völlig anderen Kultur: Man tat, was einem gesagt wurde, und wollte ja keine Fehler machen. Leider fallen wir beim Thema New Work oft ins andere Extrem. Fehler sind irgendwie cool geworden, Sorgfalt wirkt spiessig, Organisation gilt als unkreativ, und Verlässlichkeit klingt nicht mehr nach Tugend, sondern nach Trostpreis.

Wer es sich besonders leichtmachen möchte, gibt der Generation Y die Schuld. Chronisch unorganisierte und pausenlos um sich selbst kreisende Wohlstandskinder, die lieber schnell einen Fehler machen, als langsam Erfahrungen zu sammeln. Es gibt diese Menschen tatsächlich, aber sie sind trotzdem nicht das Problem. Das Problem sind diejenigen, die sie nicht führen.

Wer von seinen Mitarbeitenden Verantwortungsbewusstsein verlangt, muss zuerst selbst Verantwortung übernehmen. Und wer gute Arbeit einfordert, sollte seine eigene schon gemacht haben. Im New-Work-Prozess heisst das: Menschen individuell beurteilen, keine 08/15-Lösungen überstülpen, Besonderheiten respektieren, Grenzen setzen und personelle Konsequenzen ziehen, wo es nötig ist. Dazu gehört übrigens auch der Respekt vor den vermeintlich «Unkreativen»: Wer auf klare Leitplanken, geregelte Arbeitszeiten und den gewohnten Büro-Schreibtisch besteht, kann für ein Unternehmen wertvoller sein als jeder Heissluft-Hipster.

Übrigens: Instagram sollte ursprünglich eine App werden, mit der man an Orten eincheckt, um seinen Freunden zu zeigen, wo man gerade ist. Und Slack ist ein «Abfall-Produkt» eines Game-Anbieters. Innovationen entstehen, wenn wir bewusst und verantwortungsvoll mit den uns gegebenen Freiheiten umgehen. Dazu braucht es aber keine vordefinierte «Fehlerkultur».

Ralf Metz: «Bei einer Fehlerkultur geht es darum, Experimente zuzulassen. Das gelingt aber nur, wenn ich scheitern darf.»

Das Wort Fehlerkultur taucht in den letzten Jahren immer häufiger auf. Die einen finden es komplett überbewertet, sehen darin eine Ausrede, um die eigene Inkompetenz zu kaschieren. Die anderen sehen darin die Lösung für mehr Innovation. Für mich trifft beides so nicht zu. Bei einer Fehlerkultur geht es darum, Experimente zuzulassen. Das gelingt aber nur, wenn ich scheitern darf und daraus Neues lernen kann. Grundsätzlich stecken im Wort Fehlerkultur zwei Herausforderungen:

1. «Fehler» ist negativ vorbelastet

Dies gilt insbesondere im deutschsprachigen Raum. Denn Fehler bedeutet, etwas falsch zu machen. Falsch bedeutet schlecht und setzt gleichzeitig einen Bezugswert voraus, was falsch oder richtig ist. Im Umkehrschluss bedeutet das: Habe ich keinen Bezugswert, kann es auch kein Fehler sein. Ich arbeite also mit Annahmen, Ideen und Thesen. Basierend auf Wissen und Erfahrungswerten definiere ich einen Weg und probiere diesen aus. Erreiche ich damit nicht mein Ziel, scheitere ich – ein Irrtum also.

Aus unternehmerischer Sicht macht es Sinn, Fehler zu minimieren. Es macht jedoch genauso Sinn, Irrtum zuzulassen, um Lernen zu ermöglichen. Die grösste Innovationsbremse ist die Überzeugung, Innovation genau planen zu können. Um Innovation zu ermöglichen, brauche ich keine Fehler- sondern eine Lernkultur.

2. Kultur gibt es nur als Gesamtpaket

Im vorherrschenden Managementparadigma sind Effizienzsteigerung, Kontrolle, Messen, Planen, Bestrafen und Belohnen nach wie vor sehr gängig. Es steckt in der DNA des Unternehmens. So wundert es nicht, dass nach Möglichkeit alles über Prozesse und Vorgaben abgedeckt werden soll. Aus diesem Paradigma heraus hört sich die Idee des Scheiterns nach Verschwendung an. Nur funktioniert eine Lernkultur nicht ohne die Möglichkeit, scheitern zu dürfen.

In diesem Spannungsfeld bewegen sich zum Beispiel Unternehmen, die agiles Arbeiten etablieren möchten: Menschen erhalten mehr Verantwortung und dürfen Dinge ausprobieren. Hält das Führungssystem jedoch an traditionellen Überzeugungen aus dem Baukasten von «Command and Control» fest, ist Agilität nur Mittel zum Zweck, um das existierende Managementsystem zu erhalten. Und das kann nur begrenzt gut gehen.

Fazit: Eine Lernkultur gibt es nicht als kleines «Plug & Play»-Paket zu kaufen. Statt kleine, abgeschottete Inseln zu schaffen, auf denen experimentiert werden darf, verspricht die nachhaltige Anpassung der Rahmenbedingungen deutlich mehr Erfolg. Geht das Management mit gutem Vorbild voran und macht eigene Irrtümer transparent, sind einige Hürden auf dem Weg zur lernenden Organisation genommen.

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Text: Ralf Metz

Ralf Metz ist Co-Gründer von me&me/coaching for organizations und begleitet Menschen und Organisationen in ihrer Transformation in ein neues Paradigma. Denn er ist fest davon überzeugt, dass die Zeit reif für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft ist.

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Daniela Conrad ist dreifache Mutter und Executive Partner bei der Hamburger Personalberatung five14. 20 Jahre Arbeit in verschiedenen Positionen verschafften ihr einen vertieften Einblick in unterschiedlichste Arbeitsweisen von Unternehmen.

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