Methoden

«Der interne Stellenwechsel wird durch Mentoringprogramme gefördert»

Agnes Joester, Geschäftsführerin der vivo consulting GmbH, Diplompsychologin, Verhaltenstherapeutin, Coach und Supervisorin sowie Dozentin an der Universität St. Gallen sowie der ZHAW, über die Vorteile von Mentoring bei der internen Rekrutierung.

Aus welchem Grund sollten sich Unternehmen für ein Mentoringprogramm entscheiden?

Agnes Joester: Ganz besonders lohnt sich ein Mentoringprogramm, wenn ein Unternehmen seinen Nachwuchs fördern möchte. Oder wenn in einer Mitarbeiterbefragung die internen Aufstiegschancen als schlecht eingeschätzt werden und das Unternehmen etwas daran ändern will. Mit Mentoring erhält man die Möglichkeit, langfristig das Potenzial der qualifizierten Personen im Betrieb zu nutzen, zu denen man bisher keinen Zugang hatte. Es sind oft Personen, die auf dem herkömmlichen Weg der klassischen Potenzialeinschätzung gar nicht aufgefallen sind.

Wo liegen die Benefits der Teilnehmenden der Mentoringprogramme, also der Mentoren und der Mentees?

Mentees erhalten durch den Kontakt und die Auseinandersetzung mit erfahrenen Mentoren die Möglichkeit, die Vorstellung ihres beruflichen Weges bei Bedarf zu reflektieren. Dies wirkt sich auch positiv auf die Motivation und die Zufriedenheit aus. Die Mentoren, die oft einer anderen Hierarchie- und Altersstufe angehören als die Mentees, schätzen es, wenn sie ihr Wissen weitergeben können. Der Austausch mit den Mentees und den anderen Mentoren erweitert ihren Blickwinkel.

Wo liegt die wichtigste Chance für das 
Unternehmen?

Auf Talente und Potenziale aufmerksam zu werden. Diese müssen nicht immer jung sein. Mentoring eignet sich für alle Personen, die den nächsten Karriereschritt machen wollen. Ich habe in meinen Programmen auch Frauen, die Mitte vierzig sind und nach einer Familienphase einen Sprung nach vorne machen wollen. Das Netzwerk und das soziale 
Kapital der Teilnehmenden werden vergrössert. Das ist absolut entscheidend, wenn es darum geht, intern die Stelle zu wechseln.

Gibt es Gründe, die gegen ein Mentoringprogramm sprechen?

Wenn die Geschäftsleitung nicht dahintersteht oder in Unternehmen, wo eine Kultur der Kontrolle und Angst vorherrscht, ist ein Mentoringprogramm weniger angebracht. Denn es braucht ein Stück Vertrauen, weil man Gelegenheit erhält, in unterschiedliche Bereiche des Betriebs zu schauen. Mentoren und Mentees erfahren voneinander, wie in den jeweiligen Arbeitsbereichen gearbeitet wird und wie Projekte jeweils angegangen werden.

Besteht die Gefahr, dass Mentees nach einem Programm von einer anderen Abteilung abgeworben werden?

Der interne Stellenwechsel wird durch Mentoringprogramme sicher gefördert, aber dies sehe ich eher als Vorteil für das Unternehmen. Eine grössere 
Gefahr sind unzufriedene Talente ohne Perspektiven. Man muss in Personalentwicklungsprogrammen damit rechnen, dass ungefähr ein Drittel der Menschen weiterzieht, wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, über ihre Entwicklung nachzudenken. Wenn die Mitarbeitenden aber einen guten Abgang haben, halten sie die innere Verbundenheit mit dem Unternehmen und empfehlen es als Arbeitgeber vielleicht weiter.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Susanne Wagner ist freie Journalistin.

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