«Der Mensch ist ein unvernünftiges Wesen»
Faire Lohnstrukturen bergen kein Risiko für Lohntransparenz, sagt Sabine Biland-Weckherlin, Partnerin bei da professionals. Mauscheleien und Willkür indes schon. Ein Gespräch über Lohntransparenz, Offenlegungsängste, faire Löhne und das Gleichstellungsgesetz.
Es gibt genug Gründe, die dafür sprechen, dass wir über Lohn reden. (Bild: iStock)
Lohntransparenz ist ein heisses Eisen. Wie sehen Sie das?
Sabine Biland-Weckherlin: Brisant ist das Thema in verschiedener Hinsicht: Es ist in der Schweiz immer noch ein Tabu, über Geld zu sprechen. Gleichzeitig öffnet sich die Lohnschere zwischen oberen und unteren Gehältern immer weiter. Das birgt in Zeiten der Pandemie mit ihren dramatischen wirtschaftlichen Folgen sozialen Sprengstoff. Sind die Salärstrukturen im Mittelband einer Firma fair ausgelegt, spricht nicht viel gegen eine Offenlegung. Wenn dagegen beim Griff in den Lohntopf gemauschelt wird, ist eine Lohntransparenz problematisch, weil sie Ungerechtigkeiten sichtbar macht.
Wie bringen wir unsere Gesellschaft dazu, sich ernsthaft Gedanken über Löhne zu machen?
Indem wir dieses Thema konsequent enttabuisieren und den Wert von Arbeit offen diskutieren. Einer meiner ehemaligen Lernenden aus dem Bankenumfeld äusserte mir gegenüber einmal, dass er sein stattliches Salär gar nicht «verdiene», da er seine Arbeit ja nicht im Schweisse seines Angesichts ausübe. Gemäss dieser Auslegung von «Verdienst» hätte eine Pflegefachfrau, die am Krankenbett ihren Rücken strapaziert, mindestens denselben Entschädigungsanspruch wie ein Banker mit exzessivem Lohn. Vielleicht wäre ein interner Seitenwechsel eine wirksame Schulung, bei dem sich ein Baukonzern-Manager für eine gewisse Zeit neben einen Strassenbauarbeiter in die sengende Hitze stellt und einige Monate lang versucht, mit dessen Salär über die Runden zu kommen...
Wohin geht der Trend bei Löhnen?
Löhne stagnieren weitgehend, mancherorts geraten sie sogar unter Druck. Die Bemerkung «hatte früher mehr» fliesst oft in unsere Kandidatenlisten ein. Gelegentlich beobachten wir unter Bewerbenden auch eine unsympathische Gier in Salärfragen. Da stellt sich die Frage, ob diese Personen überhaupt etwas von den massiven Umwälzungen in der Wirtschaft mitbekommen haben. Gleichzeitig garantieren interne Seilschaften noch immer Sonderbehandlungen, auch bei Lohnrunden. Was Boni betrifft, wird heute mehr darüber diskutiert. Gigantische Boni sind vor allem in jenen Branchen ein Problem, die sich aufgrund ihrer Margen astronomische Löhne und Boni leisten können und damit eine ungesunde Sogwirkung im Markt erzielen. KMU wollen oder können das meist nicht. Sie müssen deshalb mit anderem punkten. Etwa mit Freiraum, Schnelligkeit der Entscheidungsfindung und Unternehmenskultur. Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit sprechen gute Leute erfreulicherweise zusehends mehr an als ein hohes Salär.
Am 1. Juli 2020 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden zu einer Lohngleichheitsanalyse zwang. Diese sollte bis im Juni 2021 durchgeführt werden. Was bringt das?
Auch wenn die Massnahme von manchen als staatliche Einmischung in die «Privatsphäre» der Firmen betrachtet wird, kann niemand ernsthaft bestreiten, dass wir Jahrzehnte nach Einführung des Frauenstimmrechts immer noch ein Problem haben. Vielleicht hilft dieser Zwang der schweizerischen Gemächlichkeit, unliebsame Entwicklungen auszubremsen. Die verordnete Analyse kann, sofern sie ehrlich erstellt wird, ein erster Schritt in der Transparenzdiskussion sein, um ein längst fälliges Umdenken zu beschleunigen.
Transparente Löhne könnten zu Neid führen. Sind solche Ängste berechtigt?
Diese Frage ist durchaus berechtigt, denn der Mensch vergleicht sich in aller Regel mit Besser- und nicht mit Schlechtergestellten. Das löst unweigerlich Frust aus. Einen absolut fairen Lohn gibt es jedoch nicht. Wichtig bei der Lohntransparenz ist vor allem, dass die zugrunde liegenden Kriterien weitgehend nachvollziehbar sind. Eine hohe Lohnschere in Kombination mit Willkür bei den Salären und ungünstigem Führungsverhalten heizt die Diskussion hingegen zusätzlich an. Aus der Perspektive eines so agierenden Unternehmens ist es wohl nachvollziehbar, dass eine Reinigungsperson nicht wissen soll, was der CEO verdient.
Gleichzeitig feiern wir die Transparenz auf Social Media, wo wir preisgeben, was uns heute gerade so durch den Kopf geht. Ein Widerspruch?
Nein! Der Mensch ist schlicht und einfach ein unvernünftiges Wesen. Das wird sich künftig nicht ändern. Wie könnte es sonst sein, dass er nach Umweltschutz schreit und gleichzeitig immer grössere Müllberge schafft und protzige SUVs fährt?
Social Media ist meiner Ansicht nach, ein Ventil für unser unsägliches Mitteilungsbedürfnis: ein Klick und die ganze Welt weiss es, auch wenn es niemanden interessiert. Glücklicherweise ist eine Gegenbewegung festzustellen: Digital Detox. Irgendwann wird sich das Ganze hoffentlich ausbalancieren.
Über Löhne sprechen auch Frauen nicht gern und bekunden Mühe, Ansprüche zu stellen. Wie lässt sich das ändern?
Frauen waren über Jahrhunderte hinweg Anhängsel der Männer und sind es in vielen Kulturen heute noch. Starre Muster halten sich in unseren Köpfen. Der Prozess der Veränderung braucht enorm viel Zeit. Hinzu kommt, dass Frauen trotz Emanzipation und Ausbildungsstand tatsächlich selten gleichberechtigt sind. Sei es, weil sie ihre Rechte nicht für sich einfordern oder weil es ihnen von aussen nicht zugestanden wird. Frauen dürfen und müssen diese aber einfordern. Damit sie gehört werden, müssen sich aber auch unsere Gesellschaft und unsere immer noch männlich geprägte Arbeitswelt verändern.
Sabine Biland-Weckherlin