Mitlenken statt Ausführen
Firmen verlangen von Beschäftigten zunehmend unternehmerisches Denken und beteiligen sie deshalb mit Aktien am Unternehmen. Ein Zukunftsmodell? Wir haben uns umgehört.
Aktienbeteiligungsprogramme: Wie Mitarbeitende zu Mit-Inhabern werden. (Bild: iStock)
Der Trend ist eindeutig: Immer mehr Beschäftigte beteiligen sich am Unternehmen ihres Arbeitgebers. Das zeigt der aktuelle Report der European Federation of Employee Share Ownership. Demnach besassen 2020 in 2750 europäischen Firmen rund 8,1 Millionen Beschäftigte Aktien im Wert von 420 Milliarden Euro. Eine Summe, die nie zuvor erreicht wurde, und ein Trend, der sich trotz Wirtschaftskrisen und Börsencrashs fortsetzen wird.
Aktienbeteiligungsprogramme gehören für Marlies Serra, Senior Tax Manager bei BDO, in Grosskonzernen längst zum Fringe-Benefits-Standardprogramm. Nachgefragt werden diese immer häufiger, vor allem in grösseren und mittleren Betrieben. Fritz Nobs von Klingler Consultants stellt dagegen einen leicht gegenläufigen Trend fest. Allerdings unterscheidet er im Gegensatz zum «Economic Survey of Employee Sharing Ownership»-Report zwischen verschiedenen Aktienkategorien: etwa Aktiensparplänen, die allen Mitarbeitenden offenstehen, aber eine Investition ihrerseits erfordern, sowie Aktien, die Mitarbeitende zwar kostenlos erhalten, die bei ihrem Austritt aber verfallen. Berücksichtige man alle Unterschiede, böten in der Schweiz nur knapp die Hälfte der Grosskonzerne Aktienbeteiligungsprogramme für alle Mitarbeitenden.
Teil des Vergütungspakets
Start-up-Consultant und Fintech Advisor Miklos Vidak sagt Aktienbeteiligungsprogrammen eine glänzende Zukunft voraus. Besonders bei Start-ups seien sie als Instrument der Mitarbeiterbindung nicht mehr wegzudenken: «Ohne attraktive Aktienbeteiligungsprogramme können neugegründete Firmen Kaderfachleute häufig nicht gewinnen.» Die Mitarbeiterbindung ist aber nicht das einzige Motiv für Aktienbeteiligungsprogramme. Sie sind auch Teil eines Vergütungspakets oder Partnerprogramms mit Mitspracherecht in der Unternehmensführung. Zum Schutz gegen unfreundliche Übernahmen einer Firma durch Mitbewerber eignen sie sich hingegen weniger: «Mitarbeitende halten meist weniger als 15 Prozent des Aktienkapitals», sagen Vidak und Nobs. «Das ist im Normalfall nicht matchentscheidend.»
Aktienbeteiligungsprogramme haben Vor- und Nachteile. Fragwürdig findet Miklos Vidak besonders «Zwangsbeteiligungen», die als gesperrte Aktien einen Teil der variablen Vergütung darstellen und erst nach einer Frist von mehreren Jahren verkauft werden dürfen. «Mitarbeitende haben bei solchen Programmen wenig Mitspracherechte und sind möglicherweise einer enttäuschenden Aktienkursentwicklung ausgeliefert.» Weniger gravierend sind für Vidak Unternehmensbeteiligungen, bei denen Mitarbeitende selbst entscheiden, ob sie ihren Bonus in Aktien oder in Cash beziehen wollen.
Bestehen Unternehmen dennoch auf Sperrfristen, sollten sie diese an die heutigen Gegebenheiten anpassen, fordern die Auskunftgebenden. «Zehn Jahre sind gerade für jüngere Mitarbeitende eine sehr lange Zeit», sagt Serra. Bei Start-ups komme deshalb häufig das sogenannte «Bullet Vestings-Modell» zum Zug, ergänzt Vidak. Diese Vereinbarung beinhalte eine Mindestverweildauer von 12, 18 oder 24 Monaten. Verlasse ein Mitarbeitender die Firma vor Ablauf dieser Frist, fielen die Aktien entschädigungslos an das Unternehmen zurück. Danach würden die Aktien anteilsmässig meist über zwei Jahre hinweg entsperrt. Eine Zeitdauer, die Nobs als angemessen empfindet.
«Aktienbeteiligungsprogramme sind ein besonders gutes Instrument, wenn die Kursentwicklung vorteilhaft ist und Mitarbeitende Aktien vergünstigt erwerben können», sagen Serra und Nobs. Das, weil Mitarbeitende vom Wertzuwachs profitieren und die Aktien bestenfalls nach einigen Jahren gewinnbringend verkaufen können. Um allfällige Enttäuschungen zu vermeiden, müssten Firmen diese Anlageinstrumente jedoch erklären, fordert Nobs. «Kurzfristig können Mitarbeitende mit Aktieninvestitionen auch Geld verlieren. Deshalb müssen sie über dieses Risiko aufgeklärt werden.» Übermässige Verluste liessen sich verhindern, wenn Mitarbeitende nicht allzu hohe Beträge investieren können. Praktisch geschehe das in der Praxis mit Vorgaben zur Maximalbeteiligung der Mitarbeitenden, ergänzen Nobs und Vidak. Letzterer empfindet solche Massnahmen aber als Bevormundung: «Mitarbeitende sollen selbst entscheiden, wie sie ihr Geld anlegen und welche Risiken sie dabei eingehen.» Von einer Kreditvergabe zum Erwerb von Aktien rät Nobs dagegen ab. «Mitarbeitende sollen sich nur im Umfang ihrer finanziellen Möglichkeiten beteiligen.»
Je internationaler, desto komplexer
Bei der Einführung eines Aktienprogramms lauern viele steuerrechtliche, arbeitsrechtliche, vertragliche, bewertungstechnische und buchhalterische Fallstricke, sagen Serra, Vidak und Nobs. Wie kompliziert sich die Mitarbeiterbeteiligung gestalte, hänge vor allem davon ab, welches Aktienbeteiligungsprogramm ein Unternehmen wähle: die physische Abgabe von Aktien oder Aktienoptionen, bei denen Mitarbeitende das Recht erhalten, eine Aktie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwerben. Der grösste Aufwand entsteht gemäss Vidak vor allem in der Abklärung rechtlicher und steuerlicher Aspekte wie der Kapitalerhöhung, der Mitarbeitendenschulung sowie der Vertragsabschlüsse. Hinzu kämen wiederkehrende Aufwände wie die korrekte Aktienverbuchung, die Aktienbuchführung, die Administration von Aktienverkäufen und -rückkäufen, die Ausstellung von Mitarbeitendenbescheinigungen, die Aktienbestandsbewirtschaftung bei Mitarbeiterfluktuationen und allenfalls rechtliche Auseinandersetzungen bei Konflikten mit den Angestellten.
Wolle ein Unternehmen ein Beteiligungsprogramm international ausrollen, werde es noch komplizierter: «Das kann aufgrund lokaler rechtlicher Vorgaben und steuerlicher Gegebenheiten sehr schnell aufwendig oder sogar unmöglich werden», warnt Vidak. Um Komplikationen zu vermeiden, solle ein Unternehmen bei der Lancierung eines Aktienbeteiligungsprogramms ausländische Standorte deshalb aussen vor lassen.
Den Überblick bei Aktienkäufen und -verkäufen zu behalten, erweist sich ebenfalls als komplex. «Namenaktien sind im Aktienbuch der Gesellschaft einzutragen», sagt Serra. «Virtuelle Aktien kann man dagegen mit einer Software verwalten.» Benötige ein Unternehmen mehr Unterstützung, könne es eine dafür spezialisierte Firma beiziehen, die detaillierte Statistiken erstellt, ergänzt Fritz Nobs. «Für einfachere Fälle genügt eine Excel-Tabelle», meint Vidak. Ein komplettes Outsourcing der Aktienverwaltung käme meist nur bei börsenkotierten Konzernen zum Zug. Grössere Unternehmen profitieren bei der Aktienverwaltung zudem von administrativen Dienstleistungen der Grossbanken im Firmenkundenbereich.
Beteiligte gestalten mit
Als Aktionäre sind Arbeitnehmende auch Miteigentümer und haben ein Mitspracherecht. Das ist nicht immer unproblematisch. Trotzdem befürworten Serra, Nobs und Vidak deren Mitbestimmung. «Mitarbeitende gehören zu den wichtigsten Stakeholdern», sagt Vidak. «Sie kennen die Unternehmensstrukturen am besten. Deshalb sollte ihre Stimme an einer Generalversammlung Gehör finden.» Das gelte gemäss Nobs auch dann, «wenn die Interessen der Grossaktionäre jenen der Mitarbeitenden entgegenstehen». Wolle sich ein Unternehmen dennoch vor der Einflussnahme seiner Mitarbeitenden schützen, könne es Beteiligungspapiere ohne Stimmrecht herausgeben, sagt Serra.
Ob Mitarbeitende ihre Aktien beim Firmenaustritt zurückgeben müssen, wird je nach Unternehmen anders gehandhabt. Befürwortet Serra eine generelle Aktienrückgabe, sieht Vidak bei börsenkotierten Unternehmen dafür keine Notwendigkeit. Bei nichtbörsenkotierten Firmen gelten indes die Vereinbarungen im Beteiligungsvertrag, was nach dem Austritt eines Mitarbeitenden mit den Aktien geschieht. Rückgaben seien bei ausserbörslich gehandelten Aktien beim Austritt von Mitarbeitenden besonders empfehlenswert, damit diese anstehende Unternehmensentscheide nicht blockieren können.
Fehlendes Fachwissen
Obschon Aktienprogramme eine immer breitere Verwendung finden, ist es um das Know-how dazu in den Betrieben nicht allzu gut bestellt, meinen die Experten. «Das Fachwissen fehlt bei Personalern besonders dann, wenn das Beteiligungsprogramm von einer ausländischen Muttergesellschaft lanciert wurde», lautet Serras Diagnose zum aktuellen Wissensstand in den HR-Abteilungen. Wegen dieser Wissenslücke könne das HR oft nicht einschätzen, welche Aufwände ein Aktienbeteiligungsprogramm mit sich bringe. «Nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln genügt hier nicht. Solche Transaktionen sind sorgfältig abzuklären.»
Unternehmerisches Denken fördern
Image Start-ups nutzen Aktienbeteiligungsprogramme besonders häufig. So auch Managed-Service-Anbieter Nine. Ein Gespräch mit Gründer und Hauptaktionär Thomas Hug.
Sie sind Gründer und Hauptaktionär von Nine. Weshalb lancierten Sie ein Aktienbeteiligungsprogramm für Mitarbeitende?
Thomas Hug: Als Unternehmer wollte ich, dass möglichst alle unsere Mitarbeitenden unternehmerisch denken und handeln. Durch eine hohe Informationstransparenz im Unternehmen und diesem Programm ermögliche ich ihnen genau das.
Inwiefern ist die Aktie handelbar?
Um möglichst alle Mitarbeitenden am Unternehmen zu beteiligen, gibt es pro Person eine Obergrenze bezüglich Aktienerwerb. Zudem sind diese nur innerhalb der Holding handelbar. Will ein Mitarbeitender seine Aktie veräussern, muss die Holding die Aktien zurückkaufen. Der Aktienwert basiert auf dem aktuellsten Jahresergebnis und ändert sich entsprechend nur einmal pro Jahr. Um den administrativen Aufwand gering zu halten, existiert nur ein Handelstag pro Jahr.
Ihre ersten Erfahrungen mit dem Aktienprogramm?
Seit wir dieses Programm haben, setzen sich unsere Mitarbeitenden vertiefter mit Finanzzahlen auseinander, die wir an unseren Quartals-Meetings präsentieren, und stellen entsprechende Fragen. Das finde ich sehr positiv. Seit Ende März 2021 beteiligten sich 20 Prozent der Mitarbeitenden an Nine.
Führen Sie dieses Programm auch bei einem starken Unternehmenswachstum weiter?
Unser Programm ist unabhängig davon, wie stark wir wachsen, und beruht auf der Nachfrage der Mitarbeitenden. Aktien sind ein limitiertes Gut. Zudem ist die Grösse des Aktienpools beschränkt. Wenn es keine Verkäuferinnen und Verkäufer gibt, können neue Mitarbeitende dereinst vielleicht gar keine Aktien mehr kaufen.
Wie verwalten Sie Ihre Aktien?
Noch genügt eine Exceltabelle als Aktienbuch. Da wir jährlich nur einen Handelstag haben, ist der Aufwand überschaubar.
Müssen austretende Mitarbeitende ihre Aktien zurückgeben?
Ja, wir haben nebst der Rückgabepflicht aber auch ein Rückgaberecht. Demnach muss die Holding die Aktien zurückkaufen.
Nine ist ein Anbieter von Managed-Service-Lösungen in der Schweiz und bietet in der Public und Privat Cloud ein vollumfängliches Plattformmanagement. Das Unternehmen betreibt an drei Datacenter-Standorten Websites wie mobiliar.ch, jungfraubahnen.ch oder geschenkidee.ch. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit 40 Mitarbeitende.
COMPUTERSHARE
Computershare bietet für die Aktienverwaltung eine End-to-End-Lösung, die nicht nur eine Software umfasst, sondern auch weiterführende administrative und beraterische Dienstleistungen. Die Computershare-Software kann in der IT-Infrastruktur des Kunden integriert werden. Alternativ können Aktienverwaltungsprozesse an Computershare ausgelagert werden. Einfache Aktienpläne können damit ebenso verwaltet werden wie Aktienkauf oder Executive-Programme. Über ein Portal erhalten Mitarbeitende Einsicht in ihre Portfolios, während Firmen ein weiteres zur Verbuchung und Zuteilung sowie Administration nutzen. Die Kosten für die Administration der Bankdienstleistungen und der Software-Nutzung sind von der Komplexität und dem Umfang des Beteiligungsprogramms abhängig.
DAURA
Die Aktienverwaltungsplattform Daura eignet sich ungeachtet der Unternehmensgrösse dafür, alle Arten von Aktienbeteiligungsprogrammen digital abzubilden. Die Plattform beinhaltet beispielsweise ein automatisiertes Aktienbuch, das die Aktualität der Daten garantiert. Aktionäre können zudem über ein Dashboard jederzeit auf ihre Anteile zugreifen und sie verwalten. Durch die Automatisierung vereinfacht sich auch der Ausgabe- und Zuteilungsprozess. Um Aktien zu digitalisieren, bezahlen Firmen einen einmaligen Betrag zwischen 1500 und 5000 Franken und danach monatlich ab 85 Franken für das Aktienbuch sowie das Investoren-Dashboard.