«Die Auswirkungen von KI scheinen insgesamt positiv zu sein»

Yannick Coulange, Managing Director bei PageGroup Schweiz, gibt Auskunft zum Bericht «Talent Trends 2024», der aufzeigt, welche Rolle künstliche Intelligenz in der Rekrutierung und am Arbeitsplatz spielt. 

Gemäss dem jüngsten Bericht «Talent Trends 2024» von Michael Page gaben 32 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz an, dass sie künstliche Intelligenz (KI) in ihrer Funktion einsetzen – dies im Vergleich zum europäischen Durchschnitt von 23 Prozent. Der Einsatz von KI ist in den Bereichen Technologie, Wirtschaft und Finanzdienstleistungen am höchsten.

Diese Ergebnisse untermauern die Resultate der laufenden Candidate-Pulse-Umfrage, die zeigt, dass fast 7 von 10 Arbeitnehmenden (69 Prozent) der Ansicht sind, dass KI ihre Karriere positiv beeinflussen wird: weil sie ihnen hilft, sich an neue, zukünftige Rollen anzupassen, und die Produktivität verbessert. Zudem wollen 80 Prozent der Arbeitnehmenden mehr über KI erfahren, um ihre Effizienz zu steigern und sich für künftige Herausforderungen vorzubereiten.

Yannick Coulange
Yannick Coulange ist Managing Director bei PageGroup Schweiz.

HR Today: Herr Coulange, wie sehen Sie das Risiko der Voreingenommenheit bei der Auswahl der besten Be­wer­benden? Und unterstützt KI die Personalabteilung bei Einstellungsentscheidungen?
Yannick Coulange: Während einige unserer Kundinnen und Kunden KI nutzen, um den Rekrutierungsprozess zu optimieren – zum Beispiel beim Onboarding von Mitarbeitenden –, sind sie sehr zurückhaltend, sie für die Auswahl einzusetzen – weil die Gefahr besteht, dass Kandidatinnen und Kandidaten übersehen werden könnten, die nicht in ein «vorgefertigtes» Profil passen. KI ist nämlich nur so unvoreingenommen wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Manche historische Daten können zu einer Verzerrung führen. Ausserdem sind die besten Kandidatinnen und ­Kan­didaten manchmal gerade diejenigen, die nicht perfekt in ein vordefiniertes Profil passen. Aus diesen Gründen ist es wichtig, dass die KI Teil eines umfassenderen, von Menschen ge­­führten Rekrutierungs- und Per­so­nalmanagementvorgangs ist.

Wie wirkt sich KI Ihrer Meinung nach allgemein auf die Schweizer Arbeitsstellen und Arbeitnehmenden aus? 
Die Auswirkungen von KI scheinen insgesamt positiv zu sein. In einem hochentwickelten Arbeitsmarkt wie der Schweiz sehen wir eine steigende Nachfrage nach IT-Fachkräften mit Fähigkeiten speziell im Bereich KI, so zum Beispiel Data Scientists und Big-Data-Spezialistinnen und -Spezialisten. Solche Fähigkeiten werden in Schlüsselsektoren wie Finanzdienstleistungen, Gesundheit und Biowissenschaften sowie professionellen Dienstleistungen benötigt.

Ist KI im Personalwesen und in der Mitarbeiteranalyse bereits Realität?
KI erweitert die HR-Prozesse. Der persönliche Touch ist jedoch weiterhin erforderlich. Chatbots können zum Beispiel Routineanfragen von Mitarbeitenden bearbeiten, während KI-gesteuerte Systeme zur Automatisierung und Planung von Onboarding- und Schulungsprozessen eingesetzt werden. Unsere jüngste Umfrage zum Thema Arbeitsstress zeigt jedoch, dass grundlegende Aspekte wie die persönliche Anerkennung für eine gute Arbeit nach wie vor der Schlüssel zur Mitarbeiterzufriedenheit sind. Im Bereich der Analytik nutzen Personalverantwortliche in grösseren Unternehmen KI, um Trends zu erkennen, die Demografie der Belegschaft zu bewerten und den künftigen Personalbedarf vorherzusagen. Seit einiger Zeit sehen wir eine Nachfrage nach HR-Fachleuten mit einem starken IT-Hintergrund, um maximale Effizienz und Reaktionsfähigkeit in Organisationen zu gewährleisten.

Welche Risiken sehen Sie? Und welche Chancen?
Aus Sicht von HR und der Personalbeschaffung überwiegen die Chancen. Am bedeutendsten ist es, dass durch die KI-Entwicklungen in den meisten Schlüsselsektoren der Schweizer Wirtschaft neue Arbeitsplätze geschaffen werden – von der Forschung und Entwicklung bis zu Produktions- und Exporttätigkeiten. Produktivitätssteigerungen, wie die Automatisierung von Routineaufgaben oder Big-Data-Analysen, bieten ebenfalls Chancen. Es ist jedoch wichtig, nicht blindlings der KI zu vertrauen.

Warum glauben Sie, dass in der Schweiz mehr Arbeitnehmende KI nutzen als in anderen Ländern?
Es gibt mehrere potenzielle Gründe. Die Schweiz ist eine exportorientierte Wirtschaft mit hochqualifizierten Arbeitskräften und einem hohen Digitalisierungsgrad in verschiedenen Sektoren, von Finanzdienstleistungen bis hin zur Produktion. Je besser die Arbeitskräfte ausgebildet sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie von der KI profitieren, wie der WEF-Bericht «Future of Jobs» zeigt. Die Schweiz ist auch für ihre hochentwickelte Exportinfrastruktur bekannt: Von Zollprozessen bis zum Lieferkettenmanagement profitieren alle vom Einsatz der KI, indem sich wiederholende Aufgaben automatisiert werden.

Was bedeutet es genau, dass Arbeitnehmende KI «in ihrer Rolle» einsetzen? Wofür verwenden sie KI konkret?
Das reicht von der Nutzung alltäglicher Tools wie ChatGPT zur Inspiration und Ideenfindung über die Automatisierung sich wiederholender Aufgaben (zum Beispiel Rechnungsstellung) und der Durchführung personalisierter Schulungsprogramme bis hin zur Datenanalyse und Berichterstattung.

In Ihrem Kommentar zum Bericht «Talent Trends 2024» schrieben Sie: «Unsere Studien zeigen, dass Bewerbende von Arbeitgebenden Transparenz über die im Unternehmen zur Verfügung stehenden KI-gesteuerten Tools erwarten. Viele Arbeitgebende gehen jedoch nicht proaktiv auf ihre KI-Integrationsstrategien ein, was zu einer Erwartungslücke führt.» Können Sie das bitte näher erläutern? 
Arbeitnehmende wollen heute mehr denn je wissen, wie Arbeitgebende sie bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten unterstützen. Jede Branche ist anders. Genau darum müssen Arbeitgebende erörtern, welche KI-Tools sie einsetzen, um die Produktivität und Karriereentwicklung der Mitarbeitenden zu fördern. Arbeitgebende, die kommunizieren, wie sie die berufliche Entwicklung unterstützen, werden immer einen Wettbewerbsvorteil haben.

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Daniel Thüler

Daniel Thüler, Chefredaktor HR Today, daniel.thueler@hrtoday.ch

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