Die Macht guter Geschichten
Organisationales Storytelling ist ein vielversprechendes Instrument, um potenzielle Kandidaten auf das eigene Unternehmen aufmerksam zu machen. Was einfach klingt, erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Organisation, eine sorgfältige Aufbereitung und eine durchdachte Verbreitung.
Formell gesehen besteht eine Geschichte, aus drei Elementen: Ausgangsituation (z.B. Prinzessin in den Klauen des Drachen), Ereignis (z.B. plötzlich auftauchender Ritter erlegt den Drachen) und Endsituation (z.B. Ritter heiratet die Prinzessin). (Bild: 123RF)
Schon seit einigen Jahren geistert das Modewort «organisationales Storytelling» durch die Flure von Unternehmen und Organisationen. Es scheint, als ob viele Manager, Personaler und Berater das Geschichtenerzählen neu für sich entdeckt haben. Dabei ist das Erzählen von Geschichten eine der ältesten Methoden überhaupt, wenn es darum geht, bei Menschen Aufmerksamkeit zu erzielen, sie emotional zu erreichen und zu überzeugen. Ausserdem ist das Hören und Weitergeben von Geschichten die natürlichste Art und Weise, wie wir von Kindesbeinen an Wissen aufnehmen und speichern und wie wir die Welt erschliessen.
Im Laufe von Schule, Studium und Arbeitsleben rücken Geschichten in den Hintergrund und wir beschäftigen uns vermehrt mit Zahlen, Daten, Fakten. Aber die Sehnsucht nach Geschichten bleibt – sie ist sozusagen in unserer DNA verankert. Auch die moderne Gehirnforschung kann mittlerweile belegen, dass wir nur dann etwas verstehen und uns gut merken können, wenn es uns berührt und Emotionen in uns weckt. Das ist das grosse Plus von Geschichten. Auch im Recruiting sind Geschichten von grossem Interesse, denn Geschichten sind ein bestechendes Instrument, um auf Vakanzen aufmerksam zu machen, das eigene Unternehmen vorzustellen und zielgruppengerecht die Markenbekanntheit zu stärken.
Mehr als nur Geschichten erzählen
Was sich genau hinter dem Begriff «organisationales Storytelling» verbirgt, lässt sich nicht eindeutig definieren. Für die einen ist es schlicht das Erzählen von Geschichten – zum Beispiel auf Unternehmensfeiern oder in der Kaffeeküche. Andere sehen im Einsatz von Geschichten ein persönliches Element der Rhetorik, beispielsweise für Präsentationen. Manche wiederum verorten das Thema Storytelling als Trendthema des Marketings und der Unternehmenskommunikation.
Neuerdings wird Storytelling beziehungsweise das «narrative Management» als Teil der Unternehmensphilosophie propagiert, wonach das gesamte Unternehmen aus einer narrativen Brille betrachtet werden soll. Storytelling kann alle diese Facetten aufweisen. Übergreifend lässt sich aber festhalten, dass beim organisationalen Storytelling immer eine strategische Dimension mitschwingt. Es geht also um das Erzählen von Geschichten mit einem bestimmten Ziel. Zum Beispiel dem Ziel, geeignete Mitarbeiter für das Unternehmen anzusprechen.
Was sich einfach anhört, ist in der Umsetzung ein äusserst schwieriges Unterfangen. Gutes Storytelling soll authentisch, überraschend und spannend sein sowie einen hohen Identifikationsfaktor haben. Die Geschichten müssen auf der einen Seite das Unternehmen und seine spezifische Kultur repräsentieren, andererseits die Zielgruppe, also potenzielle Arbeitnehmer, ansprechen. Wer leichtfertig für teures Geld Storys von Marketingagenturen anfertigen lässt, erleidet leicht Schiffbruch – oder erzählt möglicherweise eine gute Geschichte und erregt hohe Aufmerksamkeit, stellt aber am Ende vielleicht fest, dass er bei potenziellen Bewerbern falsche Erwartungen geweckt oder verkehrte Botschaften ausgesendet hat.
Gutes Storytelling beschäftigt sich zunächst einmal mit der eigenen Organisation und der Unternehmenskultur. Dabei sind folgende zwei Fragen zentral: Wer bin ich? Und: Was für Geschichten werden bei uns und über uns erzählt? Die anschliessenden Fragen lauten: Wer will ich sein? Was soll man sich über das Unternehmen in zehn Jahren erzählen? Und schliesslich: Wen brauche ich dafür? Wer ist der richtige Typ Mitarbeiter für diese Zukunft? Diese Fragen bilden den Unterbau einer guten Storytelling-Strategie im Recruiting. Wer seine Storytelling-Kampagne auf diesen Fragen aufbaut und damit abgleicht, marschiert in die richtige Richtung und stellt sicher, dass er authentische Geschichten erzählt.
Die richtigen Geschichten finden
Wie können wir nun konkret vorgehen, um an die richtigen Bausteine für Geschichten zu gelangen? Hierfür können sogenannten Storytelling-Workshops eine gute Grundlage bilden. Beispielsweise hat ein im deutschsprachigen Raum führender Full-Service-Anbieter für Performance-Support, Talentmanagement und Corporate Learning Storytelling im Recruiting so eingesetzt, dass er für seine recht unterschiedlichen Bereiche «Mitarbeiter-Archetypen» erstellen liess, die für Bewerber eine Identifikationsfläche darstellen und auf einfache, nachvollziehbare Weise erzählen, welchen «Mitarbeitertyp» das Unternehmen sucht.
Um diese Mitarbeiter-Archetypen und das Setting für typische Situationen, in denen sie agieren, zu erstellen, war es notwendig, zunächst tief in das Unternehmen einzutauchen. Bei einem ersten Storytelling-Workshop mit der Geschäftsleitung und Mitarbeitern aus allen Bereichen wurden für das Unternehmen typische Geschichten und Metaphern gesucht und Slogans entwickelt, die auf folgende zwei Fragen eine Antwort gaben: Wer sind wir und wohin wollen wir? Anschliessend fanden in allen Unternehmensbereichen weitere Storytelling-Workshops und (Gruppen-)Interviews statt, in denen Mitarbeiter über sich, ihre Arbeit und typische Situationen im Unternehmen erzählten und gemeinsam Antworten suchten auf die Frage: Welcher Typ Mensch sind wir, wer passt zu uns?
In diesen Workshops wurde nicht nur das «Material» gesammelt, welches als Basis für das Storyboard diente. Durch die Einbeziehung der Mitarbeiter erhöhte es auch die interne Akzeptanz dieser Recruitingmassnahme.
Geschichten aufbereiten
Der nächste Schritt ist das Gestalten der eigentlichen Geschichten. Zunächst stellen sich die nicht ganz unbegründeten Fragen: Was ist überhaupt eine Geschichte? Welche Bausteine muss sie haben? Formell gesehen spricht man dann von einer Geschichte, wenn folgende Elemente gegeben sind: Eine Ausgangsituation (Prinzessin in den Klauen des Drachen), eine Transformation beziehungsweise ein Ereignis (plötzlich auftauchender Ritter erlegt den Drachen) und eine Endsituation, die ungleich der Ausgangssituation ist (Ritter heiratet die Prinzessin). Das Ganze passiert einem oder mehreren Protagonisten. Dieser «Dreiakter» bildet in der Regel auch die Grundlage für ein Storyboard.
Daneben lassen sich gerade auch in den neuen Medien wie Twitter und Facebook immer wieder Geschichtssplitter finden, die auch als Storytelling bezeichnet werden. Diese Geschichtssplitter sind im eigentlichen Sinne keine vollständigen Geschichten, lösen aber im Gehirn des Nutzers eine ganze Geschichte aus. – Ein Praxisbeispiel dafür liefert Siemens: «It takes #Ingenuity to create greatness in #life». So betitelt Siemens eine seiner «Moments»-Geschichten auf Twitter. Die Story dahinter: Siemens-Technologien verhelfen Sportlern zu aussergewöhnlichen Leistungen und deshalb ist Siemens ein attraktiver Arbeitgeber.
Heldenreise
Das weiter oben erwähnte Unternehmen hat sich bei der Aufbereitung seiner Recruiting-Storys für ein Storyboard entlang des Spannungsbogens der Heldenreise entschieden. Die Heldenreise ist eines der bekanntesten Geschichtsformate und geht auf den amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell zurück, welcher Mitte des letzten Jahrhunderts auf der ganzen Welt abertausende von Mythen untersuche und in allen eine ähnliche universelle Struktur erkannte, die er Heldenreise nannte. Im Original besteht die Heldenreise aus 17 Stationen, welche für die Arbeit in Organisationen oft auf fünf Stationen runtergebrochen werden: Ruf des Abenteuers; Aufbruch ins Unbekannte; Weg der Prüfungen; Der Schatz; Die Rückkehr.
Auf die Firma übersetzt bedingte dies für jeden Bereich ein Storyboard nach folgendem Muster:
- Warum habe ich mich hier beworben? Was hat mich davon überzeugt, den Job anzunehmen?
- Wie gestaltete sich meine Einarbeitungsphase und wie haben mich das Unternehmen und meine Kollegen unterstützt?
- Welche besonderen Herausforderungen bringt mein Job mit sich und wie kann ich sie meistern?
- Was ist das Besondere gerade in diesem Unter nehmen mit diesen Kollegen?
- Wie sieht eine mögliche Langzeitperspektive aus?
Das Storyboard wurde gefüllt mit authentischen Originalzitaten, Geschichten und Erlebnissen der Mitarbeiter und gibt Antworten auf die brennendsten Fragen der Bewerber. Verschiedene Ausschnitte aus den Heldenreisen wurden für die Recruitingseiten der neu gestalteten Website eingesetzt. Daneben finden sie auch an Veranstaltungen, Messen und Vorträgen Verwendung sowie in den Social-Media-Kanälen oder für ein zu gestaltendes Recruiting-Game.
Geschichten richtig verbreiten
Geschichten lassen sich je nach Intention, Länge und Stil in ganz unterschiedlichen Verbreitungskanälen einsetzen. Neben der eigenen Website und klassischen Medien wie Anzeigen sind dies vor allem die sozialen Medien. Zum Beispiel können die Unternehmensprofile auf Xing oder Linkedin dafür verwendet werden, Recruiting-Storys zu posten. Auch die Einrichtung eines eigenen Kanals auf Youtube kann sinnvoll sein, denn Employer-Branding-Videos oder Videos über bestimmte Positionen sind eine gute Möglichkeit, sich als Arbeitgeber vorzustellen und einen positiven Eindruck zu vermitteln.
Ein erfolgreiches Beispiel ist Google. Der Kanal «Live at Google», auf dem Mitarbeiter unter anderem über ihre Arbeit bei Google erzählen und den Recruitingprozess erläutern, hat über 89 000 Abonnenten. Auch Instagram und Pinterest bieten Möglichkeiten, die Arbeitgeberstory in Form von Bildern, Videos und digitalen Pinnwänden zu inszenieren. Die Krönung besteht in der Erzeugung eines viralen Effekts, wenn eine Story gleichzeitig auf verschiedenen sozialen Kanälen erzählt und weiterverbreitet wird.
Geschichtenerzählen ist eine attraktive Methode, um potenzielle Kandidaten auf das Unternehmen aufmerksam zu machen. Erfolgreiches Storytelling sollte aber durchdacht sein. Es kann nur dann gelingen, wenn ein tieferliegendes Bewusstsein für die Marke, die eigene Geschichte und die Unternehmenskultur vorhanden ist.