HR Today Nr. 12/2020: Im Gespräch

«Die Welt besser machen»

Sie hinterfragt unser Verhältnis zur Arbeit und hofft, dass Arbeit und Bildung durch die Covid-19-Pandemie ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. Ein Gespräch mit Elly Oldenbourg, Managerin bei Google, Sidepreneur bei «I CHOOSE» und Speakerin am HR FESTIVAL europe.

Erfolgreiche Mutter, Teilzeit-Managerin bei Google im Jobsharing, Coach und Speakerin zu Themen wie New Work: Was ist Ihr Geheimrezept?

Elly Oldenbourg: So geheim ist das nicht. Ich unterwerfe mich einfach nicht mehr der gängigen Norm eines Nine-to-five-Jobs, sondern kultiviere ein reichhaltiges Leben mit verschiedensten Facetten. Gleichzeitig habe ich gelernt, meine Bedürfnisse zu schärfen und zu spüren, was ich brauche. Das nimmt mir Druck und schenkt mir Leichtigkeit. Dadurch lasse ich trotz diverser Wirkungsfelder mehr Ruhephasen zu als noch vor ein paar Jahren.

Weshalb arbeiten Sie im Jobsharing?

Anfänglich war das keine bewusste Entscheidung. Vielmehr wollte ich meinem Angestelltendasein vor fast vier Jahren nur noch drei Tage die Woche einräumen und musste dafür eine Lösung finden. In diesem Prozess stiess ich auf eine Kollegin, die inhaltlich und menschlich zu mir passte und die ihr Arbeitspensum ebenfalls reduzieren wollte. So war mein erstes Jobsharing-Tandem geboren.

Häufig wird im Jobsharing zu wenig kommuniziert. Das schafft Probleme in der Zusammenarbeit. Wie umgeht man diese?

Dass im Jobsharing häufig zu wenig kommuniziert wird, nehme ich persönlich so nicht wahr. Erstmal würde ich raten, den Begriff nicht zu pedantisch zu sehen. Am Ende arbeiten wir alle irgendwie im Jobsharing und teilen innerhalb von Teams Aufgaben nach Talent und Qualifikation auf. Genau das passiert auch im «klassischen» Jobsharing, nur dass sich hier zwei Mitarbeitende dediziert eine Stelle sowie deren Aufgaben und Ziele teilen. Damit Jobsharing gelingt, sollte man sich einen Partner suchen, mit dem man auf Augenhöhe kommunizieren kann und der das gleiche Wertesystem verfolgt.

Wichtig sind auch klare und wenig komplexe Strukturen. Wie sind wir aufgestellt? Wann und über welche Kanäle sprechen wir uns ab? Das benötigt am Anfang Aktivierungsenergie, dafür funktioniert es nachher umso besser. Zu guter Letzt und für mich absolut essenziell: Wenn ich mich auf ein Jobsharing einlasse und wir uns auf gemeinsame Ziele einstellen, darf ich die Entscheidungen des anderen nie in Frage ­stellen. Selbst, wenn ich sie anders getroffen hätte.

Was sind für Sie die grössten Vorteile des Job­sharings?

Der wichtigste und grösste Unterschied zum ­reinen Teilzeitmodell ist, dass ich selbst, das Unternehmen, die Kunden sowie weitere Anspruchsgruppen immer auf ein Back-up zurückgreifen können und nie eine Lücke entsteht, auch nicht bei ­Ferien oder Krankheitsfällen. Das ist ein riesiger Mehrwert für alle Beteiligten. Zusätzlich kann ich auf einen ständigen Sparringpartner zurückgreifen. Wir können uns gegenseitig nicht nur stärken, sondern auch voneinander profitieren – und wenn wir das tun, tut das auch unser Umfeld.

In einem Interview sagten Sie: «Wir sollten unser Verhältnis zur Arbeit stärker hinterfragen.» ­Weshalb?

Weil Arbeit so viel mehr ist als Erwerbstätigkeit. Würde ich heute die Menschen in der ersten Welt fragen: Was bedeutet Arbeit für dich, würden 98 Prozent wohl mit «meine Erwerbstätigkeit» antworten. Ein paar Eltern würden vielleicht noch ergänzen, dass Familie auch Arbeit sei. Das war es dann aber schon. Vergessen geht, dass es auch Arbeit ist, eine Beziehung zu pflegen, sich gesellschaftlich zu engagieren, an sich selber zu arbeiten und emotional gesund zu bleiben. Pioniere wie New-Work-Begründer Frithjof Bergmann knüpfen den Begriff New Work deshalb nie alleine an bezahlte Arbeit, sondern geben ihm mehr Raum. Mit New Work sollten wir nicht nur unsere Selbstverwirklichung anstreben, sondern gleichzeitig die Welt besser machen. Wir alle wissen: Es gibt so viel, an dem wir arbeiten sollten. Jetzt müssen wir vom Wissen nur noch ins Handeln kommen. Ein wesentlicher Schritt dafür ist die Neubewertung von Arbeit.

Im Corona-Lockdown haben wir gespürt, dass neues Arbeiten vor allem dann zum Leben erwacht, wenn sich das System und man sich selbst in Bewegung setzt. Was hat sich seit dem Lockdown konkret verändert?

Unsere Perspektive. Wir haben in unserer Mikrowelt zu Hause auf einmal festgestellt, dass es ­neben der Erwerbsarbeit ziemlich viel zu tun gibt. Der gleiche Reflexionsprozess zur Arbeit fand auch auf der Makroebene statt. Ganze Gesellschaften und Länder diskutieren auf einmal über systemrelevante Berufe und stellen die Frage, wer festgelegt hat, welche Wertigkeit welchem Beruf zugeschrieben wird. Die Antwort: Wir haben das getan und könnten das auch wieder ändern. Statt Ärztinnen und Ärzte oder Sozialarbeitende zu beklatschen, sollten wir bessere Arbeitsbedingungen und ­-bezahlungen für solche systemrelevanten Berufe etablieren.

Was wird langfristig vom Lockdown bleiben?

Meine Hoffnung ist, dass die Kombination von Arbeit und Bildung politisch und gesellschaftlich auf ein anderes Prioritätslevel gerutscht ist. Zumal es dringlich ist, darüber nachdenken, was mit all den Menschen passiert, deren Berufe es in zwanzig bis dreissig Jahren aufgrund zunehmender Automatisierung nicht mehr geben wird. Ausserdem wünsche ich mir, dass Arbeitnehmende künftig Forderungen aus ihrer Lockdown-Erfahrung heraus an Arbeitgebende stellen. Dass sie auf gewisse Dinge nicht mehr verzichten wollen, weil sie ihnen gut tun und sie dadurch leistungsfähiger sind. Beispielsweise, wenn sie tagsüber zwei Stunden an die frische Luft gehen oder sich um ihre Kinder oder Eltern kümmern.

Solche Forderungen würden helfen, am bisherigen System zu rütteln und eine Nachfrage nach anderen Arbeits- und Lebenszeitmodellen von unten nach oben zu kreieren. Wenn sich dann von oben nach unten auch noch etwas tut und beispielsweise künftige Vorstandsposten nur noch im Jobsharing vergeben würden, dann gäbe es nicht nur automatisch vielfältigere Perspektiven, sondern New Work würde langsam zum Leben erwachen.

… und dadurch würden vielleicht auch mehr Frauen Führungspositionen übernehmen.

Genau. Solange die Konditionen nicht stimmen, die Arbeitsbedingungen sich nicht strukturell ändern, werden nur wenig Frauen für Führungspositionen gefunden. Dabei ist nicht nur die Bezahlung ausschlaggebend, wenngleich Equal Pay eine Grundvoraussetzung ist, sondern vielmehr zeitliche Flexibilität. Damit ist nicht gemeint, dass eine Frau untertags zu ihrem Kind schaut und in der Nacht einen 80-Stunden-Job meistert. Die Arbeitsbedingungen müssen lebensgerecht sein. Ein einfacher Hebel wäre, wenn in jeder internen wie externen Neuausschreibung stehen würde, dass ein Job auch in Teilzeit oder im Jobsharing ausgeführt werden kann. Ich bin überzeugt, dass sich durch diese kleine Nuance bereits mehr Menschen bewerben würden.

Wie erleben Sie New Work bislang im Alltag?

Sehr diffus und elitär. Wenn jemand über New Work nachdenken kann, ist sie oder er per se privilegiert. Fakt ist: Geht es um New Work, picken sich die meisten Unternehmen einzelne Arbeitsmethoden wie Design Thinking, Scrum und Co. raus und denken: Jetzt sind wir dabei. Nein, sind sie nicht. Um New Work zu etablieren, genügt es nicht, sich in einzelnen Methoden zu verlieren, vielmehr müssen wir festgefahrene, oft tief patriarchalische Strukturen anerkennen und verändern.

Die Revolution muss also von unten kommen?

Es braucht eine von unten wie von oben. Neues Arbeiten muss irgendwann in der DNA eines Unternehmens festgeschrieben und für die Führungsspitze genauso wichtig sein wie der Shareholder Value. Bislang ist das nicht so, weil sich ein CEO mit kurzfristigen Zielen wie dem Wachstum seinen Job sichert. Wie es den Mitarbeitenden geht und ob diese sinnstiftend arbeiten, interessiert sie oder ihn erst viel später. Es sollte umgekehrt sein: Wir müssen von quantitativen auf qualitative Metriken wechseln, sonst wird es mit der Welt, mit der Nachhaltigkeit und der Gleichberechtigung nichts.

Sie sind Speakerin am kommenden HR FESTIVAL europe. Worauf darf sich das HR-Fachpublikum freuen?

Auf einen ermutigenden Appell, New Work als das zu verstehen, was es letztlich ist.

Zur Person

Elly Oldenbourg ist ein Kind der Generation Y mit multikulturellem Hintergrund. Sie ist Mutter und seit über 16 Jahren im Bereich Marketing und Vertrieb in internationalen Unternehmen tätig. Seit September 2011 arbeitet sie als Managerin bei Google, davon mehr als drei Jahre in Teilzeit und im Jobsharing. Im März 2017 gründete Oldenbourg ihr eigenes Unternehmen «I CHOOSE» und engagiert sich seither nebentätig selbstständig als Gastgeberin von Salons, Coach und Speakerin zu Themen wie New Work. ellyoldenbourg.de / i-choose.de

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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