«Die wenigsten schauen nicht auf Geld»
Ein sicheres Lohnmodell oder variable Vergütung? Oder ein indivduelles Vergütungssystem für jeden Mitarbeiter? Dritter Teil des Gesprächs mit Vergütungsexperte Stephan Hostettler, Praxiskenner Matthias Mölleney und Theologe und Unternehmensberater Johannes Czwalina.
Der HR Today Roundtable zu Gast bei der hkp: Matthias Mölleney, Stephan Hostettler, Johannes Czwalina. (Foto: Simon Bühler)
HR Today: Was ist der Stand der Minder-Initiative?
Stephan Hostettler: Wir haben 236 Firmen analysiert, 61 Prozent davon haben die Statuten frühzeitig angepasst. Die Vergütungsverordnung erlaubt ja eine Übergangsfrist bis 2016. Etwa ein Fünftel hat schon eine Abstimmung abgehalten über die Höhe der Gehälter, zum Beispiel Roche. Ein paar Firmen haben sich noch nicht entschieden, die Statuten anzupassen, zum Beispiel Novartis. Die meisten Verwaltungsräte haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Es wird sich in der nächsten Saison 2015 zeigen, wie die Umsetzung tatsächlich mit Zahlen funktioniert. Jetzt wird jede börsenkotierte Firma über Schweizer-Franken-Zahlung abstimmen lassen müssen. Dann werden wir sehen, wie das Ganze von der Schweizer Bevölkerung aufgenommen wird. Gleichzeitig passierte Folgendes: Diese Vergütungsverordnung wird in ein Bundesgesetz eingegossen. Was wir noch nicht wissen und zu Verunsicherung führt: Wo gibt es Abstriche, wo gibt es Verschärfungen, und wie sieht das Gesetz am Ende aus.
HR Today: Besteht Konsens, dass die Minder-Initiative etwas ausgelöst hat? Kommen wir jetzt in vernünftige Gewässer?
Johannes Czwalina: Da stellt sich die Frage: Was hat die Initiative ausgelöst und was hat die Initiative zum Auslösen gebracht. Die Tatsache, dass die variable Vergütung nach oben nicht gebremst ist, zumindest in der Wahrnehmung des Menschen auf der Strasse, das hat nach meiner Ansicht diese Initiative zum Erfolg gebracht und der Erfolg dieser Initiative tut letztlich in der Zusammenfassung aller Faktoren unserem wirtschaftlichen Leben nicht gut, weil wiederum eine neue Phase an Reglementierung auf uns zukommt.
Stephan Hostettler: Was passiert ist: Die meisten Firmen, und das sieht man in den Statuten, haben Begrenzungen drin. Sie sehen seltenst noch Bonuspläne, die über das Doppelte oder Zweieinhalbfache vom Basisgehalt sind und seltenst langfristige Aktienpläne, die in der Stückzahl nicht begrenzt sind. Das kriegen Sie sonst in den Statuten gar nicht mehr durch. Das muss man jetzt in den Statuten schreiben, und in den Statuten werden Grenzen gezogen. Die Welt hat sich geändert, nicht zuletzt wegen der Initiative, sondern vor allem auch wegen der Regulatorik in Folge der Finanzkrise.
Matthias Mölleney: Was mich beschäftigt, ist eine Untersuchung, die vermutlich stimmt oder zumindest stimmen könnte, und die sagt, dass diejenigen, die hier in Europa solche Aktienpakete bekommen, zu 80 Prozent diese Aktien zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Cash umtauschen. Das heisst mit anderen Worten: Das Management, das diese Aktien bekommt, ist eigentlich gar nicht daran interessiert, Aktionär zu sein, sonst würden sie diese länger halten, um noch mehr Benefits erzielen zu können. Offensichtlich sie sind primär am Geld interessiert. Und wenn Sie sagen, sie dürfen es nicht in Geld auszahlen, dann warten sie eben so lange, bis sie dürfen, und dann wird umgetauscht. Da stellt sich dann schon die Frage: Sind Aktien langfristig das richtige Mittel? Es nützt ja nichts, wenn ich eine sehr aufwendige Administration für Aktienprogramme habe, gleichzeitig aber weiss, dass 80 Prozent das gar nicht wollen. Ausserdem muss man fragen, ob sie sich mit ihren Bonus-Aktien überhaupt wie Aktionäre fühlen, wenn sie wissen, dass ihnen mit ihren 100 Aktien 0,0001 Prozent der Firma gehören. Fühlen sie sich dann wirklich wie Unternehmer und verhalten sich entsprechend?
Stephan Hostettler: Für sehr viele Manager, Partner, Mitarbeiter macht der Umstand, Eigentum zu haben, eine Differenz. Der Grund, warum sehr viele Manager verkaufen, sobald die Aktien frei sind, ist eigentlich ein anderer, und zwar geht es nur um die Diversifikation. Wenn ein Manager in einer Firma arbeitet, hat er seinen Job dort, seine Reputation dort, sein Basisgehalt dort und noch sein Vermögen dort. Doch das Halten von Aktien der eigenen Firmen ist aus Diversifikationsgründen nicht sehr sinnvoll.
Matthias Mölleney: Etwas anders sind KMU. Wenn Familienbetriebe jemanden stärker in die Verantwortung bringen wollen, zahlen sie ihn auch unternehmerisch und beteiligen ihn an der Firma. Das sind zwar auch Aktien, aber die haben eine völlig andere Wirkung, als wenn ich Mitarbeiter oder Manager in einem riesengrossen Weltkonzern bin, wo ich nachher keinen unternehmerischen Einfluss habe.
Stephan Hostettler: Es gibt einzelne Firmen in den USA, die sogenannte Lifetime-Shares haben. Das geht in die Richtung, die Matthias Mölleney erwähnt hat: Wenn jemand im KMU mitarbeitet, bleibt er eben nicht nur zwei Jahre. Lifetime-Shares, also lebenslange Aktien, sind einfach blockiert. Da sitzt man drin und hat eine Beteiligung an der Firma. Das ist bei uns aber selten bei börsennotierten Firmen, sondern eher bei privaten Firmen.
Johannes Czwalina: Wir machen immer Tests bei uns im Unternehmen: 70 bis 80 Prozent der Topmanager sind sicherheitsorientiert. Wenn dieses obere Segment am Schluss die Frage gestellt bekommt: Wollen Sie mehr Sicherheit und dafür einen Verlust an Freiheit oder wollen Sie mehr Freiheit, dann entscheiden sich 70 bis 75 Prozent für die Sicherheitsvariante. Deshalb habe ich bei uns seit eineinhalb Jahren zwei Modelle nebeneinander. Einmal ein sicheres Lohnmodell, fast 100 prozentig. Aber dann wissen sie auch, dass sie keine Topverantwortung haben. Das ist gedeckelt bei 120’000. Und dann ein Anreizmodell für einige wenige, die sagen, wenn ich nichts verdiene, bringe ich auch nichts in die Kasse rein, aber ich kann auch oben durchstechen. Seitdem ich radikal dieses Anreizmodell eingeführt habe, sind wir auf einem aufwärtssteigendem Ast. Die Leute brauchen Anreizmodelle. Deshalb sind meiner Ansicht nach die variablen Vergütungsmodelle auch unumgänglich. Unsere Wirtschaft ist so geprägt, dass wir sie haben müssen.
Stephan Hostettler: Ich bin froh, dass Sie das sagen. Es ist nämlich ein Dilemma mit diesen finanziellen Anreizen. Die wirken wirklich. Beide Wege können schlecht oder gut sein. Es gibt leider noch zu viele Stimmen, die sagen, dass Geld keine Rolle spielt, doch das ist eben nicht so. Die wenigsten schauen nicht auf Geld. Ich sage gleichzeitig nicht, dass Geld das einzig Wahre ist, es braucht Wertschätzung und Führung, aber die Wertschätzung vom Geld darf nicht fehlen. Wenn Sie in der Beratung ein erfolgreiches Jahr haben, dann muss man teilen. Wir haben zum Beispiel eine Gewinnbeteiligung, das war für mich von Anfang an klar, dass ich alle Mitarbeiter am Erfolg beteiligen muss, sonst ist das nicht nachhaltig, sonst stimmt die Schwingung nicht. Man akzeptiert auch, wenn es weniger ist. Geld per se ist wichtig und ist auch nicht unmoralisch oder unethisch.
Johannes Czwalina: Bei Einstellungsgesprächen frage ich immer ganz bewusst: Was ist für Sie Wert, was ist für Sie Erfolg, was braucht es für Sie? Und dann merkt man, wenn man sich lange Zeit nimmt, was die Einzelnen sich wünschen und unter welchen Rahmenbedingungen sie gut laufen, und so entwickeln sich daraus im eigenen Unternehmen verschiedene Lohnmodelle, und das klappt. Und um jetzt nochmals auf die Rolle des HR zu sprechen zu kommen: Immer das Traurige: Der HR-Leiter kriegt einen Auftrag, muss etwas umsetzen oder administrativ moderieren. Er ist zu 80 Prozent in einem reaktiven Muster drin, er kann zu wenig prägen. In welchem Unternehmen bei der Einstellung kriegen die Leute eine klare Einführung über den Sinn und den Inhalt der Lohnmodelle und den Hintergrund, und wer erzieht sie und prägt sie, damit sie sich damit identifizieren können? Und diese Zeit einer proaktiven Möglichkeit, auf den Charakter Einfluss zu nehmen: Was heisst es, Verantwortung zu haben, was heisst es, in einer Spitzenposition mit so einem hohen Benefitanteil, usw. umgehen zu können. Wie ist Ihre Einstellung zu den Mitarbeitern, zu Leadership-Fragen, usw. Das wird zu wenig gemacht.
HR Today: Ein Plädoyer zur Individualisierung?
Stephan Hostettler: Ich habe 2004 eine Checkliste veröffentlicht, die ist immer noch gültig: 10 Punkte, die es bei Bonusplänen zu beachten gilt. Einer davon ist Kommunikation. Es geht nicht, dass man irgendwo einen Plan serviert und sich nicht dafür Zeit nimmt, das ist eh etwas, was hier in Europa total unterschätzt wird. Ich war fünf Jahre in den USA, und dort weiss der CEO: wenn ich was dreh am Bonusplan, egal ob es Industrie oder Finanzindustrie ist, dann muss das Ganze sauber kommuniziert werden und zwar mit Workshops und mit Freischaufeln von Zeit, damit sich die Leute mit dem HR-Chef und mit Comp-Benefit unterhalten können, was der neue Plan bedeutet. Das wird hier oft unterschätzt.
HR Today: Darf ich noch ganz rasch nachhaken: Ihre Meinung, Herr Czwalina, ist, dass man pro Mitarbeiter ein anderes Modell fährt?
Johannes Czwalina: Wäre ideal. Die Charaktere sind sehr unterschiedlich, und wenn Sie einen Controller-Typ haben und den in eine Situation setzen, wo er nur in variablem Sinne seinen Lohn reinkriegt, dann machen Sie diesen Menschen einfach kaputt.
Stephan Hostettler: Aber es gibt die Differenzierung nach Funktionen. Ich glaube, da muss man ein bisschen aufpassen. Ich würde sogar so weit gehen, dass wenn Sie sich entscheiden, eine gewisse Kultur in der Firma zu haben, dann ist es eben so, dass die, die kommen, wissen, was sie kriegen, sonst kommen sie ja eben nicht. Der Typ Mensch, der in eine Firma kommt, weiss, wohin er kommt, weiss, was gilt. Ich glaube nicht, dass man jetzt hingehen muss und sagen muss: Wir haben so unterschiedliche Menschen innerhalb des Unternehmens, wir vergüten die 1:1 unterschiedlich. Das ist oft nicht machbar.
HR Today: Wenn man sich für eine Firma interessiert, weiss man dann wirklich bereits, was sie für ein Lohnmodell fahren?
Stephan Hostettler: Das sollte man fragen als Arbeitnehmer. Bei Bewerbungsgesprächen kommt irgendwann der Punkt.
Matthias Mölleney: Das Problem mit den Löhnen ist, glaube ich, ein philosophisches. Ich bin ja bei einem Philosophen ausgebildet worden, von dem ich gelernt habe: Es gibt in der Philosophie einen Begriff, den man nicht eindeutig definieren kann. Das ist die Gerechtigkeit. Eine mögliche und richtige Definition von Gerechtigkeit ist: Jedem das Gleiche. Das ist gerecht. Das ist auch richtig so. Genauso gut kann man aber definieren: Gerechtigkeit ist: Jedem das Seine. Auch richtig. Ein interessantes Phänomen. Ein zentraler Begriff, den man auf zwei komplett unterschiedliche Arten definieren kann, die aber beide richtig sind. Doch das macht gutes HR aus. Es gibt keine Firma, keine Organisation, die einen dieser beiden Gerechtigkeitsbegriffe konsequent durchhalten kann. An diesem Versuch sind schon ganze Staatssysteme gescheitert. Das geht nicht. Das schaffen Staaten nicht, das schaffen Firmen nicht, das schafft niemand, weil eben beide Definitionen gelten, und beide sind richtig. Gutes HR schafft es, sich situativ jeweils für die angemessene Definition von Gerechtigkeit zu entscheiden in der entsprechenden Frage, das aber so zu tun, dass es nicht wie ein Schlingerkurs aussieht, sondern das Gefühl gibt: Das hat Sinn und Verstand, da ist ein roter Faden erkennbar. Es ist berechenbar, wann der Personalchef sich für Gerechtigkeitsmodell A oder B entscheidet. Dann haben wir gute Personalpolitik.
Stephan Hostettler: Aus meiner Sicht ist es schon so: Es gibt Firmen, oder vor allem staatliche Betriebe, die stark in der einen Gerechtigkeitsform sind, also jedem das Gleiche, und da sieht man auch, dass es nicht unbedingt nachhaltig ist. Und dann gibts das andere, wo jedem das Seine ist, sprich eher Hedgefund-orientiert: Jedem auf seine Mühle. Und irgendwo dazwischen ist es Geschäftsmodell-abhängig, es ist politisch abhängig, es ist auch regionsabhängig, seien wir mal ehrlich, von der Kultur des Landes abhängig. In China und Indien gibt es ganz andere Einstellungen zu variablem Gehalt als bei uns, und in Schweden ist es nochmals anders. Aber ich finde diese Unterteilung, diese Polarisierung sehr gut, doch die Entscheidung wird nie so explizit getroffen.
Matthias Mölleney: Nicht explizit, aber mir hat es immer sehr geholfen, wenn ich Menschen, die zu mir gekommen sind, an diesem Gerechtigkeitsbegriff erklärt habe, wieso wir ein Dilemma haben und wieso sie nicht ungerecht behandelt werden, wenn sie mehr oder wenn die anderen gleich viel wie sie bekommen. Gut, es gibt Uneinsichtige, aber da nützt auch eine andere Erklärung nichts. Dem Gros der Leute hilft es, wenn man auf diese Art und Weise transparent macht, was eigentlich die Kriterien sind.