HR Today Nr. 1&2/2017: Transformation

Dinge anders tun

Die stellvertretende HR-Leiterin der Raiffeisen Gruppe entwickelte im Rahmen ihres EMBA-Studiums an der HSG mit «Transformational HRM» ein neues HR-Geschäftsmodell für wachsende Gruppenunternehmungen. Gemeinsam mit ihrem Mentor Matthias Mölleney erläutert sie im Gastbeitrag das Modell und zeigt Trends und HR-Werttreiber der Zukunft auf.

Namhafte Studien zeigen, dass sich die Unternehmensführungen vom HRM mehr innovative Impulse und einen erkennbaren Beitrag zur Differenzierung des Unternehmens im Wettbewerb wünschen. Der wichtigste Wertbeitrag liegt dabei in der unverwechselbaren Passgenauigkeit der HR-Strategie auf die unternehmerischen Herausforderungen. Dazu benötigt HRM eine Perspektive und ein Bewusstsein für die Entwicklungsphase der Unternehmung, damit bereits heute Initiativen und Aktivitäten lanciert werden, mit denen die Leistungen für die nächste Entwicklungsphase sichergestellt werden können. Agile Unternehmen brauchen ein agiles HRM und erwarten von dort eine aktive Unterstützung bei der Transformation der Führung und der Arbeitsmodelle.

Agile Unternehmen brauchen ein agiles HRM

Am Beispiel von Raiffeisen sieht sich HRM durch die stark wachsende Gruppenstruktur zunehmend in der Verantwortung, Beratungs- und Shared-Service-Leistungen für Tochtergesellschaften zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug wird die Anzahl der Raiffeisenbanken sinken, die einzelne Bank grösser werden und eigenes HR-Know-how benötigen. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein zentrales Differenzierungsmerkmal von Raiffeisen und soll auch künftig die Gruppe prägen, darf aber nicht wichtige Initiativen zur Sicherstellung einer einheitlichen Qualität und zur konsequenten Kostensenkung behindern oder gar ausschliessen. Zu diesen Initiativen gehören Beratungs- und Shared-Service-Leistungen, aber auch eine generell stärkere Gruppenoptik bei Themen mit strategischer Bedeutung und bei der Vereinheitlichung von Prozessen.

Für das HRM werden ein herausragendes Talentmanagement und eine stärkere Rolle in der Führungs- und Unternehmensentwicklung sowie Automatisierungen und Standardisierungen besonders wichtig werden – und dies ohne die Möglichkeit eines Ressourcenausbaus. Die Devise lautet «Dinge anders tun». Neue Arbeitsformen und das intelligente Nutzen von Wissen über Markt- und Businessverhalten stehen dabei im Vordergrund. Der Fokus des HRM verlagert sich vom bewährten Problemlöser zum proaktiven Mitgestalter der Organisation und zum Unternehmensentwickler.

Daraus entstand der Grundgedanke des «Transformational HRM» als ein anpassungsfähiges HR-Geschäftsmodell, das die Ressourcen und Potenziale der Mitarbeitenden nutzt, neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung fördert, Strukturen für eine businessorientierte Weiterentwicklung von HRM legt und dennoch effektive, effiziente HR-Prozesse sicherstellt. Es lässt sich beliebig auf andere Unternehmen übertragen, da es ausreichend Spielraum lässt, die Inhalte nach der notwendigen Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmensstrategie spezifisch auf die Bedürfnisse der eigenen Organisation auszurichten.

Zukunftsfähige HR-Referenzmodelle

In der Untersuchung bestehender, zukunftsfähiger HR-Modelle haben wir drei grundsätzliche Strömungen feststellen können: Die Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells nach Dave Ulrich mit einer engeren Zusammenarbeit von HR-Businesspartnern und HR-Experten, der Aufbau von Netzwerkstrukturen und Verlagerung von HR-Expertise in die Linie oder eine fast vollständige Auflösung von HRM und der Übergang in fluide Unternehmensstrukturen mit HR-Verantwortung in der Linie. HR-Services können in allen Modellen intern oder extern erbracht werden. Die drei untersuchten HR-Referenzmodelle, welche die Trends der HR-Geschäftsmodelle abbilden, lassen sich wie folgt beschreiben: 

  • Das HR Solution Center als Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells. Der HR-Businesspartner als Account Manager zieht situativ Experten aus dem Center of Expertise bei, um als Team optimale Kundenlösungen zu unterbreiten.
  • Die HR-Netzwerk-Organisation, die Personalarbeit zur Verbundleistung macht und HR-Verantwortliche in die Linie transferiert, wo sie in einer Netzwerkstruktur eng mit einem HR-Profi zusammenarbeiten.
  • Resourceful Humans nach Heiko Fischer, der für eine völlige Neuordnung von HR oder sogar für dessen Auflösung plädiert. Die Merkmale sind demokratische Personalführungsstrategien, selbstbestimmte Teams, fluide Unternehmensstrukturen und Abschaffung von Bürokratie. HRM als Organisationseinheit löst sich schrittweise auf und HR-Kompetenz befindet sich in jeder Zelle der Organisation.

Bewährtes nutzen – die Zukunft antizipieren

Alle genannten Modelle haben ihre Stärken, je nach Unternehmensstrategie und Entwicklungsstand des Unternehmens. Die Grundprinzipien unseres neuen Ansatzes «Transformational HRM» kombinieren diese Aspekte und kommen in einer HR-Netzwerk-Organisation am besten zur Geltung. Zur Gewinnung von Promotoren für die Zukunft baut es auf den tragfähigen Beziehungen zwischen HR-Businesspartnern und Management auf und nutzt diese. Die HR Governance, wenn auch mit Linienvertretern im HR Governance Board, bleibt bestehen. Um innovativer zu werden, Agilität sicherzustellen und den notwendigen Skills-Shift zu gewährleisten, fliessen Komponenten des Modells «Resourceful Humans» in ein HR-Entwicklungscenter ein.

Mit der Verbindung der verschiedenen Vorzüge der untersuchten HR-Referenzmodelle passt sich der Ansatz des «Transformational HRM» der Heterogenität und den Mehrfach-Herausforderungen heutiger Unternehmen an. Er bündelt die strategische Personalarbeit, baut auf bewährte Beziehungen zwischen Linie und HRM und integriert das Business stärker in die Weiterentwicklung von HRM.

Der gezielte Transfer von HR-Know-how und der Aufbau von HR-Verantwortlichen in der Linie für funktionale HR-Aufgaben etabliert eine HR-Netzwerkstruktur über mehrere Stufen und stellt effektive HR-Kernprozesse sicher. Um den Bimodalen-Modus von «Run und Change» zu bewältigen, die Innovations- und Umsetzungsgeschwindigkeit von HRM und die Agilität zu erhöhen, ist der Betrieb eines «Entwicklungscenters» mit fluiden Projektstrukturen und interdisziplinären Arbeitsgruppen ein wichtiger Bestandteil des neuen Modells. Qualitativ einwandfreie, effiziente und unkomplizierte HR-Services bleiben eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Linie und gelten als Hygienefaktor, unabhängig davon, ob diese intern oder extern bezogen werden.

Dreh- und Angelpunkt

«Transformational HRM» unterteilt das HR-Business-Modell in drei Bereiche, die in Interaktion mit dem Business stehen und deshalb in einem sich drehenden Kreis dargestellt sind:

  • Das Relationship Management verkörpert den prägenden, strategischen Teil des HRM und stellt auch das Corporate HRM dar.
  • Das Solution Center unterhält zusätzlich eine Netzwerkstruktur mit HR-Verantwortlichen in der Linie, wobei diese bei Raiffeisen Schritt für Schritt in den Raiffeisenbanken aufgebaut werden können.
  • Das Entwicklungscenter sieht fluide Strukturen vor, in denen rasch und effektiv HR-Leistungen entwickelt oder weiterentwickelt werden.

In mehreren Teilen des HRM werden Schlüsselfunktionen-Inhaber oder Talents in die Personalarbeit einbezogen. Ein HR Self-Service Portal stellt einen hohen Selbstbedienungsgrad und eine effiziente Abwicklung der HR-Services sicher.

Nachhaltige Leistungsfähigkeit, Talentmanagement, Kultur- und Unternehmensentwicklung, Führungsqualität und Agilität sind wirkungsvolle Key-Performance-Indikatoren, die einen Wertzuwachs für das gesamte Unternehmen bedeuten. Diese HR-Messgrössen, im Sinne eines Wertzuwachses für das Unternehmen verstanden, sind vergleichbar mit Finanzkennzahlen wie EBIT, Umsatz, Cost-Income-Ratio oder Eigenkapitalquote. Demzufolge soll das Business zusammen mit HRM an HR-Indikatoren gemessen werden, die der Linie heute noch eher fremd sind, wie zum Beispiel bereinigte Fluktuationsrate, Talent Quote, Führungsqualität oder organisationale Energie.

Konsequente Nähe zum Business

Unternehmerische Leistung entsteht immer über das Business. Je besser es gelingt, die Linie in die HR-Strategie einzubinden, desto mehr Kraft entwickeln alle Massnahmen. «Transformational HRM» vernetzt das HRM konsequent mit dem Business, in Strukturen und Prozessen sowie in der strategischen Dimension. Das Modell baut auf die Wirksamkeit und Netzwerkfähigkeit der HR-Exponenten, unabhängig davon, wo HRM organisatorisch angesiedelt ist. Die Personalverantwortlichen bei den Raiffeisenbanken sind bereits identifiziert und erste kollektive Enabling-Massnahmen im gruppenweiten HR-Netzwerk wurden positiv aufgenommen. Auch im HRM selbst werden starre Muster aufgebrochen und die HR-Strategie sowie die neuen HR-Leistungen im «Change-Modus» erarbeitet. Der Skills-Shift im HRM selbst hat begonnen, wobei betriebswirtschaftliches Know-how sowie persönliche Kompetenzen die Schwerpunkte bilden.

Generell erkennen wir im HRM heutiger Unternehmen den grössten Nachholbedarf bei den «digitalen» Kompetenzen wie Netzwerkfähigkeiten, Innovation und rascher Anpassungsfähigkeit.

«Transformational HRM» legt den Grundstein für ein HRM als Vorreiter in unternehmerischen und strategischen Entscheiden, um so nicht nur die Akzeptanz, sondern auch das Vertrauen des Managements und der Mitarbeitenden zu gewinnen.

Das Modell

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Im «Transformational HRM» verantworten fünf Funktionen gemeinsam mit dem Business die künftigen HR-Aufgaben:

  1. Das HR Governance Board integriert auch ausgewählte Schlüsselfunktionen-Inhaber. Diese sollen stärker in die strategische und kulturelle Entwicklung der Gruppe eingebunden werden sowie eine aktive Rolle im Talentmanagement einnehmen.
  2. Im Business Relationship Management entwickeln Account Manager zusammen mit dem Management die Organisation und fokussieren auf die strategische HR-Arbeit. Sie unterhalten Beziehungen zu Schlüsselfunktionen-Inhaber, sind strategische Partner für Personalplanung, Performance-Dialog und Change; integriert sind auch Talentmanagement und Talent-Scouting.
  3. Das Solution Center umfasst die HR-Expertise für das funktionale HRM (Personalentwicklung, Rekrutierung, Compensation/Benefit, HR Analytics etc.), ist Netzwerkpartner für Personalverantwortliche in der Linie und entwickelt zusammen mit den Account Managern Lösungen für HR-Kernprozesse. Es stellt HR-Know-how zur kollektiven Nutzung zur Verfügung.
  4. Im Entwicklungscenter treiben Mitarbeitende des HRM gemeinsam mit Talents, Linienvertretern und/oder Externen Innovationen im Sinne von «Change the Business» voran. Das Entwicklungscenter unterliegt nicht hierarchischen Strukturen, sondern wird als Scrum- oder Projektorganisation organsiert, in der ein Team gemeinsam die Lieferergebnisse gewährleis­tet.
  5. Das HR Service Center stellt eine effiziente, kundenorientierte Abwicklung von administrativen, standardisierten HR-Transaktionen sicher, betreibt das HR-Portal und die HR-IT-Systeme.

(Quelle: Heidi Bösch, 2016)

 

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Matthias Mölleney ist Inhaber der HR-Strategieberatung peopleXpert GmbH, Leiter der Centers für HRM & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich und Präsident der Zürcher Gesellschaft für Personal-Management. Zudem ist er Autor zahlreicher Fachartikel sowie des Buches «Die Zukunft möglich machen».

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Heidi Bösch ist stellvertretende Leiterin HRM der Raiffeisen Gruppe und leitet die HR-Beratung sowie das Potenzialmanagement bei Raiffeisen Schweiz.

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