«Diversität darf nicht einfach eine Werbebotschaft sein, sondern muss Teil der Strategie werden»
«Unternehmen, die Menschen in den Mittelpunkt stellen, sind erfolgreicher», sagt Carin van Vuuren. Die Chief Marketing Officer bei Greenhouse erklärt den Vorteil eines «People First»-Ansatz, wieso Diversität zukunftsfähig macht und mit welchen Mitteln das Onboarding gelingt.
Carin van Vuuren, Greenhouse (Bild: zVg)
Frau van Vuuren, wie definieren Sie ein «People First»-Unternehmen?
Carin van Vuuren: In der neuen Arbeitswelt denken Talente intensiver darüber nach, wo und wie sie arbeiten wollen. Erfolgreiche Unternehmen sind solche, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. People-First-Unternehmen folgen einer Philosophie, die den Menschen in seiner Gesamtheit sieht und ihn in den Vordergrund aller Entscheidungen stellt. Dazu setzen sie Praktiken ein, welche diesen Ansatz unterstützen und etablieren ein Zugehörigkeitsgefühl am Arbeitsplatz. Sie verstehen, dass Menschen ihr wertvollstes Gut sind, und betrachten daher all ihre Personalpraktiken als strategische und nicht als administrative Funktionen – insbesondere die Personalbeschaffung. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie erstklassige Talente anziehen und ein vielfältiges und integratives Umfeld schaffen, in dem sich diese entfalten können.
Ein «People First»-Ansatz ist zweifellos für das Arbeitsklima förderlich. Aber bringt er auch wirtschaftliche Vorteile?
In der Arbeitswelt der Zukunft werden People-First-Unternehmen einen noch grösseren Wettbewerbsvorteil haben, weil grossartige Talente es vorziehen, für sie zu arbeiten. Diesbezüglich wird die Fähigkeit der Unternehmen, hervorragende Mitarbeitende einzustellen und zu halten, immer wichtiger. Die zunehmende Mobilität von Talenten bedeutet, dass diese häufiger den Arbeitsplatz wechseln und die Unternehmen daher ständig neue Mitarbeitende einstellen müssen, um ihre Stellen zu besetzen und zu wachsen. Die wichtigsten Kriterien für die Einstellung sind die Deckung des Kapazitätsbedarfs, Produktivitätssteigerungen oder Kosteneinsparungen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bedeutet das, dass Unternehmen, die sich von Anfang an auf die «richtige Person» konzentrieren, einen Wertzuwachs erzielen, der sich positiv auf die damit verbundenen Investitionsausgaben auswirkt.
Carin van Vuuren
Carin van Vuuren ist Chief Marketing Officer bei Greenhouse Software. Sie verfügt über eine umfangreiche Expertise in der Entwicklung von Unternehmen durch den Aufbau herausragender Marken und die Leitung leistungsfähiger Revenue-Marketingteams. Bei Greenhouse ist sie Executive Sponsor von WomenGrow, der ERG, die sich für die Förderung und Weiterentwicklung von Frauen am Arbeitsplatz einsetzt. Ausserdem ist sie Marketingberaterin für Startup-Tech-Gründerinnen und Mitglied von Chief, einem privaten Mitgliedsnetzwerk, das sich auf weibliche Führungskräfte konzentriert.
Welche weiteren Hindernisse kann man bei der Umsetzung eines «People First»-Ansatzes erwarten?
Das grösste Hindernis stellt die Kultur des einzelnen Unternehmens selbst dar. Viele haben den Wandel von der Denkweise der «Human Ressourcen» und der Nutzung von HR-Technologie als Aufzeichnungs- und Compliance-System hin zu einem mitarbeiterorientierten Ansatz noch nicht vollzogen, der auf Zusammenarbeit und Kreativität ausgerichtet ist. Sie haben sich noch nicht auf eine Zukunft eingestellt, in der Talente geschäftsrelevant sind und in der Technologien auf die Bedürfnisse aller Mitarbeitenden abgestimmt sein müssen. Diese Unternehmen folgen immer noch dem vorherrschenden Personalverwaltungsmodell des 20. Jahrhunderts, bei dem die Einhaltung von Vorschriften im Vordergrund steht.
Was bedeutet ein «People First»-Ansatz im Kontext, dass der Arbeitsplatz zunehmend digitalisiert wird und die Remote-Arbeit zunimmt?
Da People-First-Unternehmen darauf abzielen, ihren Mitarbeitenden ein erstklassiges Erlebnis zu bieten, investieren sie in Arbeitstechnologien, die Zusammenarbeit, Integration, Produktivität und Gerechtigkeit fördern. Das heisst, Unternehmen mit einer People-First-Haltung stellen ihren Mitarbeitenden Work-Tech-Tools zur Verfügung, um ihnen den Arbeitsalltag zu erleichtern. Dabei denken sie sorgfältig über die Art der von ihnen verwendeten Tools nach und vermeiden Technologien, die sich allein auf Kontrolle und Compliance konzentrieren und das Benutzererlebnis einschränken. Im Kontext der Personalbeschaffung bedeutet das konkret, dass People-First-Unternehmen moderne Hiring-Work-Tech einsetzen, um ihren Einstellungsprozess zu optimieren.
Ihr Unternehmen, Greenhouse, spricht von der Förderung von Diversität in Bewerbungsprozessen. Was verstehen Sie genau darunter?
Greenhouse wurde in der Überzeugung gegründet, dass vielfältige Teams und eine integrative Kultur stärkere Unternehmen bilden. Deshalb ermutigen wir Unternehmen, einen strukturierten Einstellungsansatz zu verfolgen. Bei der Verpflichtung zu Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion geht es nicht um eine Werbebotschaft, sondern die ernsthafte Implementierung einer Strategie. Es beinhaltet eine ernsthafte Selbstreflexion, insbesondere, wenn es um die Methode zur Talentakquise geht. Das Einbringen von Daten hilft dabei, einen strukturierten Prozess für Einstellungsverfahren zu etablieren. Mit unseren DE&I-Lösungen (Anm. d. Red.: Diversity, Equity & Inclusion) verringern wir Voreingenommenheit während des gesamten Einstellungsprozesses, indem wir allen Bewerbenden gleiche Bedingungen und Chancen bieten. Wir bei Greenhouse sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Unternehmen dabei zu helfen, eine integrativere Einstellungskultur aufzubauen. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise Personalpronomen eingeführt, ein neues Funktionsset für Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion (DE&I), mit denen Bewerbende ihre korrekten Pronomen mit einem Einstellungsteam bestätigen und diese Facetten ihrer Identität in ihr Bewerberprofil und Interview-Kit einbringen können.
Wieso sollte HR, angesichts des bereits existierenden Fachkräftemangels, trotzdem darauf achten?
In Zeiten eines Arbeitnehmermarktes, auf dem eine Fachkraft die Möglichkeit hat, nach rechts oder links zu wischen, müssen Unternehmen bei Talenten wettbewerbsfähig sein. Die richtige Einstellungsstrategie hilft, Top-Talente zu gewinnen. Der Fokus liegt dabei auf dem Aufbau von Zugehörigkeit und Inklusion. Um diese aber auch dauerhaft zu halten, braucht es die richtige Kultur und das passende Team. Den meisten Mitarbeitenden ist es heutzutage wichtig, sich mit ihrem Unternehmen und dessen Werte und Mission identifizieren zu können. Das zeigt auch unsere jüngste Greenhouse-Umfrage. Für 80 Prozent, unter rund 1000 befragten Arbeitnehmenden aus der DACH-Region, ist es wichtig, dass die Mission und die Werte eines Unternehmens mit ihren eigenen übereinstimmen.
Die Software von Greenhouse verspricht eine «Reduktion von Vorurteilen». Wie kann eine Software unbewusste Vorurteile bekämpfen?
Unsere Software ermöglicht einen strukturierten Einstellungsprozess. Darunter verstehen wir die bewusste Planung eines Einstellungsprozesses. Im Voraus definiert das Hiring-Team, welche Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale, Zertifizierungen und andere Faktoren erforderlich sind, um die idealen Bewerbenden für eine offene Position einzustellen. Bei allen Vorstellungsgesprächen halten sich die Einstellungsteams an das Master-Interview-Kit. Die Fragen müssen sich auf die für die Stelle erforderlichen Kernkompetenzen beziehen und dürfen nicht voreingenommen sein. Das Ziel ist es, alle Kandidaten und Kandidatinnen fair zu bewerten und objektive Einstellungsentscheidungen zu treffen. Szenariobasierte Fragen wie «Was wird für die Rolle benötigt? Wie wird der Tagesablauf des neuen Teammitglieds aussehen? helfen zum einen dabei, einen Eindruck zu bekommen, wie eine Person in bestimmten Situationen handelt und oder ein Problem löst. Zum anderen erleichtern sie es, keine voreingenommenen Fragen zu stellen, sondern den Fokus klar auf die Kernqualifikationen des Jobs auszurichten.
Was sollten Unternehmen über den Einsatz von KI bei der Personalbeschaffung bedenken?
Es ist verlockend zu denken, dass Technologie neutral ist und sie uns helfen kann, Vorurteile zu überwinden. Aber die Wahrheit ist, KI ist genauso anfällig für Vorurteile wie die Menschen, die sie entwickeln. Sie stützt sich auf Modelle, die auf bereits vorhandenen Daten aufbauen, die aufgrund systembedingter gesellschaftlicher Vorurteile naturgemäss voreingenommen sind. Wenn diese Entscheidungen voreingenommen waren, wird ein darauf trainierter Algorithmus diese Vorurteile nachbilden und möglicherweise verstärken. Daher ist es umso wichtiger, sich immer zu vergegenwärtigen, auf welcher Datenbasis ein Algorithmus entwickelt wurde und entsprechende Gegenmassnahmen zu treffen.
Was raten Sie Unternehmen, die ihre Onboarding-Prozesse optimieren möchten?
Das Onboarding von neuen Mitarbeitenden, unabhängig davon ob es virtuell oder vor Ort im Büro stattfindet, bringt eine Reihe logistischer, technischer und kultureller Herausforderungen mit sich. Kluge Unternehmen schaffen Erfahrungen für neue Mitarbeitende, die vom ersten Tag an für ein Zugehörigkeitsgefühl sorgen. Ein Tipp für erfolgreiches Onboarding ist beispielsweise, alle relevanten Informationen an einem Ort zusammenzutragen, um den Bewerbenden, der Personalleitung und den Personalverantwortlichen Arbeitsaufwand zu sparen. Die Qualität des Erlebnisses bei der Überprüfung der Onboarding-Informationen ist entscheidend, denn in einer Welt, in der viele Mitarbeitende von zu Hause aus arbeiten, ist das Onboarding-Erlebnis ihre erste Interaktion mit dem Unternehmen und der Kultur.