Rekrutierungsprozesse optimieren (2/2)

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich der Mensch zum Unternehmen findet – HR Analytics

HR-Analytics eröffnen neue Möglichkeiten, den Erfolg von Rekrutierungen messbar zu machen – von der Fluktuation innerhalb des ersten Jahres bis hin zu den Kosten für die Produktivität neuer Mitarbeitender. Doch oft werden die verfügbaren Daten nicht ausreichend genutzt.

Lesen Sie den ersten Teil des Artikels über Mitarbeiterfluktuation und Rekrutierungsprozesse hier.

Laut dem vielfach empfohlenen Buch «Fundamentals of HR analytics: a manual on becoming HR analytical», ermöglichen HR Analytics, Muster in Daten zu erkennen und konkrete Fragestellungen zu beantworten – etwa warum neue Mitarbeitende innerhalb des ersten Jahres das Unternehmen wieder verlassen. Im Folgenden drei zentrale und zum Teil weniger bekannte Metriken, wenn es ums Recruiting und Onboarding geht. Da die englischen Begriffe etablierter und standardisierter sind, orientiert sich der Überblick an diesen.

«First Month/Year Resignation» und «Turnover Rate»

Die Analyse der Fluktuation von Neueinstellungen innerhalb des ersten Jahres ist ein wesentlicher Indikator für die Effektivität des Recruitingprozesses und des Onboardings. Drei zentrale Metriken helfen dabei, dieses Phänomen genauer zu untersuchen: Die «First-year resignation rate» setzt die Anzahl der freiwilligen Kündigungen innerhalb des ersten Jahres in Relation zur durchschnittlichen Gesamtbelegschaft. Diese Kennzahl gibt Aufschluss darüber, wie stark die Fluktuation neuer Mitarbeitende das gesamte Unternehmen beeinflusst.

Die «First-year turnover rate» hingegen fokussiert sich spezifisch auf die Neueinstellungen, indem sie die Anzahl der freiwilligen Kündigungen im ersten Jahr durch die Gesamtzahl der Neueinstellungen teilt. Noch detaillierter ist die «First-month turnover rate», die den kritischen ersten Monat nach der Einstellung betrachtet. Sie kann wertvolle Hinweise auf die Effektivität des Onboarding-Prozesses geben.

Die Berechnung ist denkbar einfach: Neueinstellungen pro Betrachtungszeitraum geteilt durch Kündigungen im selben Zeitraum multipliziert mit 100. Time und Cost to Productivity

Die Metriken «Time to productivity» und «Cost to productivity» zählen zu den entscheidendsten zur Beurteilung des Onboarding-Prozesses.

Die «Time to productivity» misst die Zeitspanne vom ersten Arbeitstag bis zum Erreichen eines definierten Leistungsniveaus. Diese Kennzahl gibt Aufschluss darüber, wie schnell neue Mitarbeitende effektiv zum Unternehmenserfolg beitragen können.

Die «Cost to productivity» erfasst die Gesamtkosten bis zum Erreichen dieses Leistungsniveaus. Sie setzt sich zusammen aus Onboarding-Kosten, Trainingskosten, Kosten für die Betreuung sowie Lohnkosten bis zum Erreichen des Referenzleistungsniveaus. Diese Metrik ermöglicht eine umfassende Bewertung der Investition in neue Mitarbeitende. Ein interessantes Beispiel aus «Fundamentals of HR Analytics» zeigt, wie diese Kennzahlen zur Bewertung verschiedener Recruitingkanäle genutzt werden können. So könnte sich beispielsweise zeigen, dass Mitarbeitendenempfehlungen zwar kostengünstig sind, aber möglicherweise eine geringere Qualität aufweisen. Andererseits könnten teurere Kanäle wie LinkedIn langfristig wertvoller sein, wenn die darüber rekrutierten Mitarbeitenden länger im Unternehmen bleiben und schneller produktiv werden.

Candidate NPS

Ursprünglich zur Messung der Kundenloyalität entwickelt, findet der NPS als Candidate Net Promoter Score nun auch im Recruiting Anwendung. Die Berechnung des NPS erfolgt durch eine einfache Frage nach der Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit auf einer Skala von 1 bis 10. «Promoters» (9-10) werden von «Passives» (7-8) und «Detractors» (0-6) unterschieden. Der finale Score reicht von -100 bis 100.

Der Candidate NPS wird berechnet, indem die Anzahl der «Detractors» von der Anzahl der «Promoters» subtrahiert wird. Er misst die Wahrscheinlichkeit, mit der Bewerbende das Unternehmen weiterempfehlen würden, unabhängig davon, ob sie eingestellt wurden oder nicht. Diese Kennzahl gibt Aufschluss über die allgemeine Wahrnehmung des Recruitingprozesses und des Unternehmens als potenzieller Arbeitgeber.

Besonders aufschlussreich ist der NPS among rejected candidates. Er fokussiert sich auf die Bewerbenden, die keine Stellenangebote erhalten haben, und berechnet sich analog zum allgemeinen Candidate NPS. Diese Metrik ist ein sensibler Indikator für die Fairness und Professionalität des Auswahlverfahrens, auch wenn es zu einer Ablehnung kommt. Nicholas Martin, Ph.D., Director of People Analytics bei Meta, das global mehr als 67.000, Mitarbeitende beschäftigt, nennt unter anderem diese Argumente für den Candidate NPS:

  1. Er misst die Wahrnehmung der Bewerbenden und die Wahrscheinlichkeit von Weiterempfehlungen, was in Zeiten von Social Media und schneller Informationsverbreitung von grosser Bedeutung ist.
     
  2. Er ermöglicht die Messung von Fortschritten im Recruitingprozess über die Zeit und liefert so wertvolle Daten für das Management.

Internes Recruiting: oft unterschätzt

Internes Recruiting mag auf den ersten Blick als alter Hut erscheinen, ist aber vielfach noch nicht sonderlich effektiv umgesetzt. Internes Recruiting bietet zahlreiche Vorteile:

  • Geringere Suchkosten und schnellere Besetzung vakanter Stellen
  • Nutzung betriebsspezifischer Qualifikationen
  • Vorhandene Kenntnisse der Unternehmenskultur
  • Motivationssteigerung durch interne Aufstiegsmöglichkeiten
  • Praxisnahe Weiterbildung durch neue Aufgaben

Eine aktuelle Forsa-Online-Umfrage im Auftrag von XING aus dem Januar 2024 zeigt eine interessante Dynamik auf dem Arbeitsmarkt: Während einerseits die Wechselbereitschaft der Beschäftigten in der deutschsprachigen Schweiz mit 57 Prozent auf einem hohen Niveau bleibt, machen sich gleichzeitig knapp ein Viertel der Befragten Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Diese Kombination aus Wechselwilligkeit und Jobangst schafft eine Situation, in der Mitarbeitende möglicherweise in ihren aktuellen Positionen verharren, obwohl sie sich nach Veränderung sehnen. Hier kann internes Recruiting als Motivator genutzt werden, um Langeweile zu vermeiden und Entwicklungschancen zu bieten.

Ein aktuelles Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung eines verstärkten internen Recruitings liefert das US-Versicherungsunternehmen Allstate. Das Unternehmen hat den Anteil der intern besetzten Stellen von 45 Prozent im Vorjahr auf 60 Prozent gesteigert. Dazu setzt Allstate auf proaktive interne Karrieregespräche und die Entwicklung eines Tools, das offene Projekte in anderen Teams sichtbar macht. Besonders interessant ist der Ansatz, Recruiter und Recruiterinnen als «Talent Agents» einzusetzen, die aktiv interne Karrieremöglichkeiten aufzeigen.

Onboarding: Ohne klaren Anfang und ohne klares Ende

Ein effektives Onboarding ist entscheidend, um Fehleinstellungen zu vermeiden und die Bindung neuer Mitarbeitender zu stärken. Dazu die jüngste Haufe-Onboarding-Umfrage von Januar 2024: 36 Prozent der befragten Unternehmen berichten von Kündigungen noch vor dem ersten Arbeitstag, und bei 56 Prozent führen falsche Erwartungen der neuen Mitarbeitenden zu früher Fluktuation. Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig ein durchdachter Onboarding-Prozess ist.

Unternehmen sollten mit Bewerbenden von Anfang an transparent kommunizieren. Dies beginnt bereits im Rekrutierungsprozess und setzt sich in der Preboarding-Phase fort. Realistische und ehrliche Einblicke in die Unternehmenskultur helfen, Erwartungen zu managen. Regelmäßige Feedbackgespräche schon während des Onboardings und nicht erst beim Probezeitendgespräch, helfen, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu finden.

Die Erkenntnis, dass neben der fachlichen Einarbeitung auch die soziale und kulturelle Einbindung ebenso wichtig sind, scheint bei 96 Prozent der Unternehmen noch nicht angekommen zu sein. Ein oft unterschätzter Aspekt ist die Einbindung der Mitarbeitenden in den Einstellungsprozess. Wenn Kolleg:innen aktiv an der Einstellung beteiligt sind, zum Beispiel in einem kollaborativen Prozess, der idealerweise vom Sourcing bis zum Onboarding reicht, erhöht dies die Chancen, dass es kulturell matcht und die Unternehmenskultur erfolgreich weitervermittelt wird.

Fazit: Anders gefragt

Die Frage danach, wie sich Fehleinstellungen vermeiden lassen, kann am Ende nur ganzheitlich beantwortet werden: Angefangen bei der Personalplanung und nicht endend beim Onboarding. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass die Frage falsch gestellt ist. Sollten wir uns vielleicht stattdessen fragen: Wie stellen wir die richtigen Leute ein?

Auch wenn der Unterschied trivial wirken mag, ist die erstere Frage von Ängsten motiviert und die letztere von einer Perspektive für die Chancen einer Neueinstellung. Ängste können uns vor Gefahren warnen und für Risiken sensibilisieren, als Leitprinzip für eine zukunftsorientierte Personalpraxis taugen sie jedoch wenig.

Die vertrauten gedanklichen Bahnen von Diskursen um Themen wie den Fachkräftemangel oder Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Ängste hemmen uns. Wie dieser Artikel hoffentlich aufgezeigt hat, gibt es viele Möglichkeiten, Personalarbeit zu reformieren und sogar neu zu denken – trauen wir uns!

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Femke Huijbers

Femke Huijbers ist Vice President of People and Culture bei Tellent. Ihr Ziel ist es, erfolgreiche Umfelder zu schaffen, in denen Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten können. Mit einem Bachelor in International Business und einem Master in Sozialwissenschaften begann Femke ihre Karriere in der IT- Personalvermittlung. Von FinTech über eCommerce bis hin zu Biotech, von Start- ups bis zu etablierten Unternehmen ist Femke kaum ein wirtschaftliches Umfeld unbekannt.

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