Rekrutierungsprozesse optimieren (1/2)

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich der Mensch zum Unternehmen findet – Recruiting-Risiken

Der erste Arbeitstag einer neuen Mitarbeiterin kann bereits über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Trotz sorgfältiger Vorbereitung drohen Fehler im Rekrutierungsprozess, die sich nur schwer korrigieren lassen. Was kostet eine falsche Entscheidung wirklich? Und wie kann man das Risiko von Fehlbesetzungen minimieren?

Laut einer Studie der Unternehmensberatung Kienbaum Consultants International und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung zur HR-Kostenstruktur, macht die Personalbeschaffung mit 40 Prozent den Löwenanteil der HR-Gesamtkosten aus. Das heisst, jede Fehlentscheidung in diesem Bereich belastet das Budget besonders stark. Es ist jedoch schwer, die Kosten für eine unbesetzte Stelle exakt zu beziffern. Verschiedene Formeln kursieren online, viele von fragwürdigem Ursprung und fragwürdiger Anwendbarkeit. Viel greifbarer sind da etwa die konkreten Kosten, die durch Stellenanzeigen oder externe Dienstleister entstehen. Auf der Hand liegen auch die verlorene Produktivität, damit verbunden auch die höhere Belastung für die bestehende Belegschaft und natürlich die ausbleibenden Einnahmen.

Die Konjunkturforschungsstelle (KOF) und Volkswirtschaftliche Beratung (BSS) untersuchten Anfang 2023 im Auftrag des Schweizerischen Arbeitgeberverbands (SAV) die Vakanzdauer von Stelleninseraten im Schweizer Online-Stellenmarkt. Das alarmierende Ergebnis: Der Wertschöpfungsverlust für die Gesamtwirtschaft durch unbesetzte Stellen beläuft sich auf bis zu 0,66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In absoluten Zahlen ausgedrückt, entspricht dies einem Verlust von fast fünf Milliarden Franken.

Die hohen Kosten einer Neueinstellung bedeuten dennoch nicht, dass diese überstürzt werden sollte. Interessant ist da eine Analyse Schweizer Daten, die zeigen, dass die Kosten zur Einstellung einer neuen Fachkraft 16 Wochen Lohnzahlungen entsprechen. Der Grossteil dieser Kosten – etwa 53 Prozent – entfällt auf «Anpassungskosten». Diese umfassen sowohl formale Einarbeitungsprogramme als auch die anfänglich verminderte Produktivität der neuen Mitarbeitenden. Ein weiterer signifikanter Kostenfaktor sind die sogenannten Unterbrechungskosten: Zeit, die bestehende Mitarbeitende aufwenden müssen, um neue Kolleginnen und Kollegen einzuweisen und zu unterstützen.

Intuition vs. Analytik im Recruiting – (k)ein Gegensatz?

In der Praxis verlaufen die Gräben oft zwischen denen, die auf Erfahrungswerte und Menschenkenntnis vertrauen, und den Zahlenmenschen, die nur für wahr halten, was sich quantifizieren lässt. Wie Prof. Jürgen Deters von der Leuphana Universität in seinem lesenswerten Buch «Analytics and Intuition in the Process of Selecting Talent: A Holistic Approach» jedoch ausführlich darlegt, ist es weder realistisch noch wünschenswert, Intuition vollständig aus dem Auswahlprozess zu eliminieren. Stattdessen plädiert er für einen bewussten und strukturierten Umgang mit ihr. Wie kann das gelingen?

Ein einfacher Ansatz zur Operationalisierung von Intuition, der sich sofort ausprobieren lässt, stammt von Winfried Berner, auf den sich Deters bezieht. Berner schlägt eine Unterscheidung zwischen «Intuition 1» und «Intuition 2» vor:

«Intuition 1» bezeichnet das spontane Gefühl oder die intuitive Reaktion, die ein Recruiter oder eine Recruiterin beim ersten Lesen eines Lebenslaufs oder zu Beginn eines Vorstellungsgesprächs hat. Diese initiale Intuition sollte bewusst registriert, aber nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage verwendet werden.

«Intuition 2» kommt hingegen am Ende des Auswahlprozesses zum Tragen. Nachdem alle rationalen und analytischen Verfahren durchgeführt wurden, trifft der Recruiter oder die Recruiterin eine finale intuitive Entscheidung. Diese basiert nun auf einer umfassenden Informationsgrundlage und kritischer Reflexion.

 

Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess ist der Vergleich der initialen intuitiven Reaktion (Intuition 1) mit den Ergebnissen der rationalen Analyse. Dabei werden mögliche Diskrepanzen identifiziert und kritisch hinterfragt.

Von starren Jobs hin zu flexiblen Skills: jetzt aber wirklich

Traditionell orientiert sich Personalplanung an lang etablierten Strukturen und fixen Kategorien wie bestehenden Stellenprofilen. Die üblichen mehrjährigen Planungszyklen werden der sogenannten VUKA-Welt im 21. Jahrhundert jedoch immer weniger gerecht. Damit Unternehmen personell schneller auf (unvorhersehbare) externe Einflüsse reagieren können, muss Personalplanung dringend agiler werden. Statt eines statischen Mindset, das personelle Ressourcen bloss verwaltet, braucht es mehr Flexibilität und aktive Gestaltung.

David Collings und seine Co-Autoren stellen in einem aktuellen Artikel im Human Resource Management Journal einen neuen und ganzheitlichen Ansatz für die Personalplanung vor, der auf einem «Skills-Matching»-Konzept basiert. Dieses Konzept sieht vor, die Fähigkeiten einer Person dynamisch mit den Anforderungen einer Organisation abzugleichen. Dabei wird zwischen dem initialen Matching beim Eintritt neuer Mitarbeitender vom externen Arbeitsmarkt und dynamischem Matching innerhalb des Unternehmens unterschieden.

Eine grosse Herausforderung, aber auch Voraussetzung für diesen Ansatz, liegt darin, Arbeit nicht mehr in starren Jobprofilen zu denken, sondern in notwendige Skills herunterzubrechen. Dies erfordert die Entwicklung einer eigenen «Taxonomie der Skills» in der Organisation.

Der Skills-Matching-Ansatz trägt zu einer flexibleren Allokation von Ressourcen bei, ermöglicht es Unternehmen, intern vernetzter zu sein und kosteneffektiver zu operieren. Ein verstärkter Fokus auf übertragbare Skills erlaubt es, Mitarbeitende von einem Bereich mit wenig Nachfrage in einen mit mehr Nachfrage zu verschieben. Wie oft betont, werden Up- und Reskilling immer wichtiger, statt klassische Bedarfe vorherzusagen. Die üblichen Vorhersagen stimmen meist ohnehin nicht, was dazu führt, dass entweder zu viele oder zu wenige Leute eingestellt werden. Zudem haben Skills eine immer kürzere Halbwertszeit.

Standardisierte Tests und strukturierte Interviews – (k)ein Vergleich

Gleichzeitig ist es wichtig, rational-analytische Verfahren auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Psychometrische Verfahren zur Erfassung von Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen sollten fundiert sein, wobei kognitive Tests oft unterschätzt und Persönlichkeitstests überschätzt werden. Das liegt unter anderem daran, dass viele weit verbreitete Persönlichkeitstests wie Myers-Briggs einer wissenschaftlich fundierten Grundlage entbehrt sind. Zudem erfordert die korrekte Implementierung und Interpretation solcher Tests oft eine entsprechende Ausbildung.

Trotz der Bedeutung standardisierter Verfahren zeigen Studien, dass diese in der Praxis oft nur teilweise umgesetzt werden. So kannten laut einer Studie von Nachtwei et al., die von Deters zitiert wird, 78,08 Prozent der befragten Personalmanager die DIN 33430, einen deutschen Standard für rationale Auswahlprozesse, nicht einmal. Nur 24 Prozent gaben an, dass ihre Auswahlinterviews durchgängig auf einem Interviewleitfaden basierten, und 47 Prozent sagten, dass sie ihre Fragen intuitiv stellten.

Strukturierte Interviews bleiben jedoch das A und O eines effektiven Auswahlprozesses. Zentrale Elemente sind unter anderem:

  • eine anforderungsbezogene Interviewgestaltung auf Basis einer systematischen Stellenanalyse,
  • die Verwendung konsistenter Kriterien und Skalen
  • sowie eine klare Trennung von Beobachtung und Entscheidungsfindung.

Deters analysiert, dass vor allem KMU eine verstärkte Abneigung gegen standardisierte Verfahren hegen, da sie ihre «Einzigartigkeit» als Stärke und Alleinstellungsmerkmal begreifen. Dieser Umstand zeigt, dass der alleinige Fokus auf möglichst objektive Verfahren an der Realität vorbeigeht und praktisch unmöglich zu implementieren ist. Eine Synthese aus operationalisierter Intuition und rational-analytischen Verfahren verspricht die besten Ergebnisse und eine grössere Akzeptanz bei den Anwendenden.

Recruiting-Prozess: Es kommt nicht auf die Länge an

Ein Trend, der aus dem Silicon Valley auch nach Europa überschwappt, sind übermässig lange und komplexe Bewerbungsverfahren, die Kandidatinnen und Kandidaten vor enorme Herausforderungen stellen. In den USA hat sich die Situation in den vergangenen ein bis zwei Jahren zusätzlich dramatisch verschärft, nachdem zahlreiche Unternehmen Massenentlassungen vorgenommen haben. Der Wunsch nach Sicherheit und die Angst davor, die Falschen einzustellen, vergrault jedoch die «Richtigen».

Paradoxerweise hat ausgerechnet Google, ein Pionier aufwändiger Auswahlverfahren, bereits vor Jahren die Grenzen dieses Ansatzes aufgezeigt. Eine interne Untersuchung des Unternehmens ergab, dass vier Interviewrunden ausreichen, um eine Einstellungsentscheidung mit 86-prozentiger Sicherheit zu treffen. Darüber hinaus zeigte sich ein abnehmender Grenznutzen zusätzlicher Gesprächsrunden

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Femke Huijbers

Femke Huijbers ist Vice President of People and Culture bei Tellent. Ihr Ziel ist es, erfolgreiche Umfelder zu schaffen, in denen Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten können. Mit einem Bachelor in International Business und einem Master in Sozialwissenschaften begann Femke ihre Karriere in der IT- Personalvermittlung. Von FinTech über eCommerce bis hin zu Biotech, von Start- ups bis zu etablierten Unternehmen ist Femke kaum ein wirtschaftliches Umfeld unbekannt.

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