HR Today Nr. 4/2022: Im Gespräch

«Er weiss, was er will»

Bruce Springsteen wählt seine Mitarbeitenden bewusst aus, weiss diese zu motivieren und adressiert unangenehme Wahrheiten unverzüglich. Eigenschaften, die Trainer, Berater und Redner Peter Aschenbrenner an ihm bewundert. Mit seinem Buch «The Boss» zollt er Springsteen Tribut und veröffentlicht gleichzeitig einen Leitfaden für Vorgesetzte.

Sie haben über 130 Konzerte von Bruce Springsteen besucht und über 50 Bücher über ihn gelesen. Was fasziniert Sie an «The Boss»?

Peter Aschenbrenner: Zum einen seine Musik und wie er in bis zu über vierstündigen Konzerten Tausende Menschen bis «zum Umfallen» begeistert. Zum anderen, wie er sein Unternehmen, seine Mit­arbeitenden und seine Band führt. Besonders interessant finde ich, dass er es geschafft hat, seine Mitarbeitenden über Jahrzehnte an sein ­Unternehmen zu binden.

Kennen Sie Springsteen persönlich?

Es wäre übertrieben, das zu behaupten. Bisher konnte ich drei Mal kurz mit ihm reden. Mehr Kontakte hatte ich zu seinen Musikern während der Tournee, aber auch darüber hinaus per E-Mail.

Bruce Springsteen verkaufte bis heute weltweit über 150 Millionen Alben und gehört damit zu den erfolgreichsten Musikern aller Zeiten. Was macht ihn so erfolgreich?

Er schuf mit seiner Musik ein schwer kopierbares Produkt und besitzt einen hohen Bekanntheitsgrad, an dem er und sein Managementteam über Jahre hinweg gearbeitet haben. Zudem hat die Qualität seiner Performance nie nachgelassen. Oft denke ich «Irgendwann muss er doch mal eine schlechte Show liefern». Das passiert aber nie. Im Vergleich zu anderen Künstlern ist er live unantastbar. Dabei weiss seine Band bei den meisten Konzerten nicht, welche Songs sie spielen werden, sondern erfahren das erst im Verlauf der Show.

Welchen Anteil hat sein Team am Erfolg?

Einen grossen. Springsteens Kernteam arbeitet mittlerweile über vierzig Jahre zusammen. Nur wenige Positionen wurden ergänzt, beziehungsweise aufgrund von Todesfällen neu besetzt. Die Loyalität und die Begeisterung seiner Mitarbeitenden sind erstaunlich. Das ist in «normalen» Unternehmen kaum zu finden. Auch nicht auf oberster Firmenebene. Meist arbeiten Manager nicht im Team, sondern laufen als lose Gruppe nebeneinander her.

Wer gehört überhaupt zu Springsteens Team?

Wie in jedem Unternehmen gibt es auch bei «The Boss» ein Managementteam, das alle strategischen Entscheide über die Positionierung, den Markenaufbau und den Vertrieb fällt. Es besteht aus ungefähr sechs Personen, inklusive Springsteen. Vergleichbar wäre das mit der Geschäftsleitung eines Unternehmens. Darüber hinaus existiert ein Team, das sich um die Tourneen, den Ticketverkauf, die Bühnenstruktur, die Orts- und Locationwahl sowie das Merchandising und die Technik kümmert. Auf der Bühne ist ein weiteres Team zu finden: die Band, deren Mitglieder alle unterschiedliche Rollen einnehmen. Nils Lofgren ist beispielsweise für das harmonische Zusammenspiel verantwortlich.

Sie beobachten Springsteens Verhalten gegenüber seinen Musikern. Was ist Ihnen aufgefallen?

Das wichtigste ist die Häufigkeit des Feedbacks. Springsteen gibt jedem Musiker während des Konzerts Rückmeldung. Entweder, indem er es ihm direkt sagt oder es ihm durch ein Grinsen, Nicken, Kopfschütteln oder einen grimmigen Blick zu verstehen gibt. Er fordert seine Bandmitglieder auch, indem er während eines Konzerts plötzlich einen anderen Musiker ein Solo spielen lässt als jener, der vorgesehen war. Durch diese Spontaneität müssen die Musiker ihre Komfortzone immer wieder verlassen. Das stärkt deren Selbstwertgefühl. Springsteen stellt aber nicht nur Forderungen an seine Bandmitglieder, sondern holt sich bei ihnen auch immer wieder Unterstützung. Beispielsweise bei Nils Lofgren, als er sich in Mailand während eines Konzerts nicht mehr an den Anfang eines Lieds erinnern konnte und es zwei Mal falsch anspielte.

Vieles läuft über einen Schreibtisch von Springsteen. Er regelt vieles selber. Das kann auch zu Erstarrung führen.

Nein. Leitlinien, Regeln und Vorgaben sind wichtig. Betrachtet man den Zustand in den Unternehmen, sind es oftmals keine Leitlinien, sondern Geisselungen der Mitarbeitenden oder Egotrips von Managern. Es stimmt, dass zu viele Vorgaben Organisationen erstarren lassen. Genau deshalb müssten diese schnellstmöglich eliminiert werden. Dagegen dienen alle Leitlinien, welche die Zusammenarbeit erleichtern, klarer machen und motivieren, dem Unternehmen. Genau solche nutzt auch Springsteen und nicht jene, die Mitarbeitende ausbremsen und nerven.

Wieso ist Springsteen für Sie eine gute Führungskraft?

Springsteen legt hohen Wert auf die Auswahl seiner Mitarbeitenden. Das erspart ihm später Diskussionen und Streitigkeiten. Er hat eine klare Vision, eindeutige Ziele und klare Anforderungen. Jeder weiss, woran er ist.

Was hat er anderen voraus?

Springsteen nimmt sich bei Neueinstellungen sehr viel Zeit. Er schreckt auch nicht davor zurück, Musiker aus dem Team zu nehmen, die nicht zu ihm passen. Einige «überlebten» nur wenige Tage. Springsteen brennt für seine Arbeit und er motiviert. Diese Hartnäckigkeit und Genauigkeit bei der Stellenbesetzung wünsche ich mir auch von Führungskräften in Unternehmen. Dort arbeiten aber meist viele Manager und keine Leader.

Springsteen scheut sich nicht, sich von Mitarbeitenden zu trennen...

Absolut. Seinen langjährigen Freund und damaligen Schlagzeuger Vini «Mad Dog» Lopez entliess er, weil dieser zu spät zur Probe erschien und nicht ausreichend übte. Springsteen entliess auch den erfolgreichen Pianisten David Sancious, der später für Eric Clapton oder Bryan Ferry spielte, weil er sich nicht zu hundert Prozent mit Springsteens Musik identifizieren konnte. Will jemand nicht mehr, sollte er die Organisation verlassen.

Gibt es Ausnahmen?

Ja. Wenn jemand kurz vor der Rente steht und davor jahrelang motiviert und loyal arbeitete, sollte man diesen Menschen während der letzten drei bis vier Jahre bis zu seinem Austritt wertschätzend begleiten. In allen anderen Fällen müssen Firmen schneller reagieren. Am besten schon in der Probezeit und nicht erst fünf Jahre nach Arbeitsantritt. Tragen Führungskräfte unangenehme Entscheide zu lange vor sich her, entstehen Demotivation, Frust und Ärger. Klare Richtlinien könnten in diesem Zusammenhang dafür sorgen, dass Führungskräfte rasch erkennen, ob jemand kulturell passt und seine Leistung erbringen kann und will.

Was, wenn es sich um eine «seltene» Fachkraft handelt?

Das ist die klassische Ausrede für «Wir können diese Person nicht entlassen». Die Frage ist doch: Weshalb findet das Unternehmen so wenig Fachkräfte und was tut es intern, um Mitarbeitende auszubilden? In den allermeisten Betrieben fehlt es an Fachausbildungen und -karrieren. Zudem verdienen Führungskräfte immer noch mehr als Top-Fachspezialisten, finden Führungskräfte-Tagungen unter Ausschluss der Fachkräfte statt und wird die Ausrichtung des Unternehmens ohne sie bestimmt. Das muss sich endlich ändern.

Peter Aschenbrenner ist Klarheitsexperte für Strategie, Management und Vertrieb. Als Trainer, Berater und Redner spricht er Schieflagen in Unternehmen an, die ihm auffallen. Gemeinsam mit seinen Kunden setzt er die Hebel für Veränderungen. Als einer der grössten Fans von Bruce Springsteen hat er seit seiner Jugend mittlerweile 137 Konzerte besucht.

Buchtipp

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Viele Führungskräfte sind ihrer Führungsrolle nicht gewachsen. Unternehmen kostet das ­Milliarden. Das Buch «The Boss» ist ein Leitfaden für Führungskräfte und alle, die es werden wollen oder sollen. Es ist Ratgeber und zugleich Hilfestellung. Dabei kommt Bruce Springsteen als Führungskraft ins Spiel. Für den leidenschaftlichen Fan Peter Aschenbrenner ist «The Boss» ein Vorbild hinsichtlich Führungsstärke. Wie er mit seinen Bandmitgliedern auf der Bühne agiert, davon können sich Führungskräfte in Unternehmen einiges abschauen.

The Boss: Von Bruce Springsteen Führungsstärke lernen, Peter Aschenbrenner, Wiley, 2020, 196 Seiten.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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