Erfolgreiches Projektteam oder eine zusammengewürfelte Arbeitsgruppe?
Projektteams sind mehr als nur einzelne Individuen, die zusammenarbeiten und auf ihrem Gebiet Höchstleistung bringen. Was ein gutes Team ausmacht, wie es motiviert wird und welche Wünsche die Projektleiter an die Personalabteilungen haben, erklären die beiden Fachspezialisten Bruno Jenny und Stephan Walliser.
Bruno Jenny, Fachdozent und Buchautor: «Wer im Beruf in einem Projekt auf höchstem Niveau mitarbeiten will, muss nicht selten alles andere unterordnen.»
«Aus meiner Sicht sind die meisten Projektteams eher reine Arbeitsgruppen.» Diese provokative Aussage macht Bruno Jenny, der seit dreissig Jahren mit «Leib und Seele» im Projektmanagement ist. Bruno Jenny unterscheidet einen fünfstufigen Reifegrad eines Teams: zuunterst steht die Arbeitsgruppe. In der Gruppe suchen die Teilnehmer zwar neue Informationen und Anregungen und besprechen auch Entscheidungen, aber sie arbeiten eher individuell in ihrem Arbeitsbereich. Es gibt keine persönliche und gruppenbezogene Leistungsvereinbarung oder einen gemeinsamen Arbeitsansatz.
Über verschiedene Reifungsgrade und mit diversen Verfeinerungen geht es über das sogenannte Pseudoteam zum potenziellen Team und von dort zum echten bis zum Hochleistungsteam. «Es ist das Hochleistungsteam, das man sich normalerweise unter dem Wort ‹Team› vorstellt», erklärt Jenny. «Menschen, die mit Freude enorm viel leisten, Höchstleistung bringen, sich ergänzen, motivieren und sich individuell wie auch als Gruppe weiterentwickeln.» Ein solches Team zu bilden, sei möglich, wenn gewisse Faktoren berücksichtigt werden.
So sei ein Kick-off von mindestens einem Tag gut genutzte Zeit und gut investiertes Geld. «Er sollte auf dem Teamgedanken beruhen – jeder Mitarbeitende soll sich mit seinen Arbeitsqualitäten, Wünschen und Ängsten vorstellen – und nicht auf dem Projektgedanken, sprich dem reinen Leistungsgedanken.» Um Hochleistungsteams zu bilden, sind neben Zeit noch weitere Komponenten fundamental, die Jenny als die vier Eckpfeiler der Projektteamarchitektur bezeichnet.
Vier Komponenten, die ein erfolgreiches Team ausmachen
An erster Stelle der Projektteamarchitektur steht als Eckpfeiler «die Willigkeit, in einem Team einen Beitrag zu leisten, und diese höher zu stellen als die individuellen Bedürfnisse». Das habe Konsequenzen auf die drei anderen Zeitfelder eines Menschen, die Jenny neben Beruf als Familie, Hobby und Weiterbildung definiert. «Wer im Beruf in einem herausfordernden Projekt auf höchstem Niveau mitarbeiten will, muss für die Projektdauer nicht selten alles andere unterordnen,» sagt Jenny. Als zweiten und dritter Eckpfeiler der Projektteamarchitektur nennt Jenny die «soziale Kompetenz der Teammitglieder» und die «methodische Kompetenz». Letztere sollte divergierend sein. Das heisst, jedes Teammitglied hat die eigene Spezialmethodik, aber das Team als Ganzes muss nach einer gemeinsam definierten Methode arbeiten können. Als vierten Eckpfeiler definiert Jenny die «Diskrepanz zwischen Wissen und Fähigkeit». Dies veranschaulicht er anhand eines Fussballspiels: «Jeder Zuschauer wüsste oftmals besser, wie man spielen sollte. Aber selber auf dem Niveau spielen kann er trotz seines Wissens nicht. Das Wissen zu haben, reicht nicht, man muss seine Fähigkeit auch umsetzen können, um ein Ziel oder ein Ergebnis zu erreichen. Der Praxistransfer, also das konkrete Ergebnis, ist ausschlaggebend für den Erfolg eines Projekts.»
Über den vier Eckpfeilern, die ein Hochleistungsteam ausmachen, thront als Dach das Vertrauen. «Im Projektteam muss blindes Vertrauen herrschen, zum Beispiel darauf, dass jeder seine Aufgabe perfekt und zeitgerecht löst», erklärt Jenny. Genau dieser Punkt berge jedoch viel Konfliktpotenzial in sich.
Dies bestätigt auch Stephan Walliser, Leiter Projekt- & Projektportfolio-Management der Basler Versicherung AG. «Am häufigsten treten Spannungen auf, wenn einzelne Teammitglieder nicht fristgerecht liefern können, weil sie parallel noch in der Linie oder an anderen Projekten arbeiten.» Diesen Konflikt könne man entschärfen, indem man die Projektmitarbeitenden möglichst aus dem Tagesgeschäft herausnehme und sie so dediziert wie möglich im Projekt arbeiten lasse. «Das ist ein Erfolgsmodell. Projekte, die wir so durchführen konnten, waren erfolgreicher als andere», sagt Walliser. Aber leider sei dies eher selten und meist nur für Grossprojekte realisierbar.
Ein gut zusammengestelltes Team nimmt Rücksicht auf Charaktere
Für Bruno Jenny ist es ideal, wenn das Projektteam einerseits aus einigen permanenten Mitgliedern besteht, welche die Team-Ethik und Erfolgsfaktoren kennen und den projektspezifischen Know-how-Transfer sicherstellen. Andererseits aus temporären Mitgliedern, die für gewisse Arbeitsphasen geholt werden. «Mit einer solchen Zusammenstellung kann auch die Teamleistung hochgehalten und die effiziente Leistungsphase verlängert werden.»
Neben dem Zeitkonflikt nennt Jenny auch den Methodenkonflikt, der die Harmonie im Team stören kann. Dieser entsteht, weil die Leute je nach Ausbildungen andere Methoden erlernt und sich beim Projektstart nicht auf eine gemeinsame geeinigt haben.
Einen ganz fundamentalen Konfliktherd machen Jenny und Walliser auf der Persönlichkeitsebene aus. «Zwar haben wir deutlich weniger Konflikte im Team, wenn wir bei der Zusammenstellung auf die verschiedenen Charaktere Rücksicht nehmen», sagt Walliser. «Aber leider ist es ein weit verbreitetes Phänomen, dass heute immer noch mehr die Fachlichkeit und die Verfügbarkeit im Vordergrund stehen.» Dabei weiss Walliser aus Erfahrung, dass gut zusammengesetzte Teams nicht nur erfolgreicher zusammenarbeiten, sondern auch motivierter sind. Zudem sind gute Projektmitarbeitende oft Menschen, die sich auch Fehler zugestehen und daraus lernen können.
Grundlegende Motivationsfaktoren kommen aus dem Mitarbeiter selbst
«Etwas plakativ ausgedrückt herrscht in der betriebsbezogenen Arbeitswelt (repetitive Produktion) eine Null-Fehler-Kultur, während in der projektbezogenen Arbeitswelt (Innovation und Wandlung) Fehler automatisch dazugehören, weil alles zum ersten Mal gemacht wird», erläutert Jenny. Im Projektteam brauche es daher Menschen, die sich Fehler zugestehen, zu ihnen stehen und sie auch kommunizieren können.
Ist der Projektmitarbeitende jedoch jemand, der die Null-Fehler-Kultur lebe, werde er oft demotiviert, weil er die angestrebte Perfektion nicht in der vorgegebenen Zeit erreichen könne. «Die Grundlage für die Motivation, beispielsweise etwas Neues zu erstellen, kommt aus dem Mitarbeitenden selber.» Weitere Motivatoren sind gemäss Jenny und Walliser Lob und Anerkennung der Leistung und – ganz wichtig – die gezielte persönliche Weiterentwicklung und Karrieremöglichkeiten. Es sei die Aufgabe eines Projektleiters, seine Mitarbeitenden so einzusetzen, dass sie nicht nur ihre Qualitäten voll entfalten, sondern sich auch weiterentwickeln können. «Das Problem in Firmen ist oft, dass Projektleiter keinen Einfluss auf die Entwicklungsziele des Mitarbeitenden haben», sagt Jenny.
Gemäss seinen Beobachtungen gehe kaum eine HR-Fachperson auf den Projektleiter zu, um ihn zu fragen, wo er Entwicklungspotenziale bei seinen Projektmitarbeitenden sehe, bemängelt Jenny. Dies führe dazu, dass die Entwicklungsziele des Einzelnen nicht mit den Projektzielen übereinstimmen und der Mitarbeitende diese Spannung oft abbaue, indem er mehr der Linie zudiene als dem Projekt.
Ein guter Projektleiter darf nicht zu viel vom Fachlichen verstehen
Einen innovativen Weg bezüglich Weiterentwicklung und Karrieremöglichkeiten geht die «Basler». Sie hat einen dritten Karriereweg geschaffen: die Projektleiterkarriere. «Durch das Projektmanagement oder Funktionen innerhalb des Projektmanagements kann sich ein Mitarbeitender einen Stellenwert schaffen, der betreffend Entlöhnung und Funktionsstufen einer Linienkarriere entspricht», sagt Walliser. Dieses Angebot macht ein Umdenken sichtbar: «Noch vor fünf Jahren war die Philosophie, dass nur Fachspezialisten aus der Linie gute Projektleiter werden können. Heute gilt: Je grösser das Projekt, desto schlechter ist es, wenn der Gesamtprojektleiter zu viel von der Fachlichkeit versteht», sagt Walliser.
Denn die Gefahr bestehe, dass ein Fachspezialist zu wissen glaubt, was es braucht , und zu wenig nachfragt, auch aus Angst, sich im eigenen Fach zu blamieren. Die Basler Versicherungen AG hat dieses Problem gelöst, indem sie einen Pool von professionellen Projektleitern kreiert hat, die für grosse und mittelgrosse Projekte eingesetzt werden. «Mit ihnen können wir Projekte in kurzer Zeit erfolgreich durchziehen», sagt Walliser. Bei kleineren Projekten sind aber nach wie vor die Linienmanager und ihre Mitarbeiter Projektleiter, Fachspezialist und Protokollierer in einem. Dies nicht etwa, weil kleinere Projekte weniger wichtig wären, erklärt Walliser, sondern weil die Grenze zwischen Projekt und Alltagsarbeit oft fliessend sei.
Für Bruno Jenny ist das Modell der Basler Versicherungen zukunftsweisend: «Das Projektmanagement wird immer mehr Richtung Kompetenzzentrum Projektleiter gehen. Grössere Firmen werden einen Projektleiterpool inhouse aufbauen und kleinere Firmen auf spezialisierte Zulieferer im Sinne eines externen Kompetenzentrums mit partnerschaftlichen Leistungsverträgen zurückgreifen.»
Eine stärkere Zusammenarbeit mit dem HRM ist vielerorts gewünscht
Wie wichtig ein guter und professioneller Projektleiter ist, erläutert Jenny am Beispiel der Motivation der Mitarbeitenden. Ein positiv eingestellter Mitarbeiter sei zu Beginn des Projekts so motiviert, dass er 100 Prozent der geforderten Leistung erbringt. Könne der Leiter ihn motivieren, steige die Leistung auf 125 Prozent, demotiviert er ihn, sinkt sie auf 75 Prozent. «So gesehen hat die Führungsperson also Einfluss auf 50 Prozent der Leistung eines Mitarbeitenden. Das ist enorm viel für ein Projekt, bei dem die Ressourcen normalerweise knapp berechnet sind.»
Ein Projektleiter müsse neben Planen, Steuern und Kontrollieren auch die weiteren Führungsdisziplinen wie etwa Teammanagement oder Stakeholder Management, Scope Management sowie Change Management beherrschen. Bei diesen Themen machen sich – je länger, desto mehr – die wichtigen sozialen Kompetenzen des Projektleiters bemerkbar. Jenny veranschaulicht sein Anliegen am Beispiel Autofahrenlernen. Wer mit Bremsen, Gasgeben und Schalten absorbiert ist, achtet zu wenig auf den Verkehr. Werden diese Grundlagen so gut beherrscht, dass man sie automatisch ausführt, kann man besser auf das Umfeld eingehen, es sogar proaktiv beeinflussen. «Das grosse Problem in den Firmen ist jedoch, dass der Projektleiterstatus eher selten als Führungsjob definiert ist», weiss Jenny aus Erfahrung. «Daher haben Projektleiter, anders als Linienmanager, nicht den notwendigen Zugang zu Weiterbildungen im Führungsbereich.» Hier sollte das HRM aktiv werden, wünscht sich Jenny, mehr Projektverständnis entwickeln und die Projektleiter in adäquater Form betreuen. Denn: «Projekte führen ist etwas anderes als eine Abteilung führen, aber beide Führungsleute verwenden, oft in einer anderen Intensität, die gleichen Führungsinstrumente.»
Auch Stephan Walliser würde sich eine verstärkte und bessere Zusammenarbeit mit dem HRM wünschen. Zwar arbeite er eng mit dem Management Development zusammen, einer Abteilung des HRM, die Kurse und Weiterbildungen organisiere. «Aber generell kann das HRM – und das habe ich schon bei mehreren Firmen gesehen – nicht bei der Auswahl der richtigen Mitarbeitenden für ein Projekt helfen, weil es meist zu wenig über ihre Fähigkeiten, Soft Skills oder Entwicklungsperspektiven Bescheid weiss.»
Auch das Projektende will professionell durchgeführt sein
Irgendwann ist jedes Projekt zu Ende. Und auch der Projektstopp sollte professionell abgewickelt werden. «Moderierte Aussprachen helfen, aufgestauten Ärger oder Missverständnisse aus der Welt zu schaffen», sagt Jenny. «In solchen Gesprächen soll jeder sagen können, wer oder was ihn geärgert hat. So wird eine gute Grundlage für eine erneute Zusammenarbeit gelegt.»
Dass Unstimmigkeiten bereits während des Projekts angesprochen und gelöst werden, sei zwar wünschenswert. «Oft sind es aber nur die wirklichen Hochleistungsteams, die das können», erläutert Jenny. «Bei solchen Lessons-Learned-Workshops am Ende des Projekts könnte HR sehr gut die Moderation übernehmen», sagt Jenny. «So erhalten die Vertreter von HR in kurzer Zeit ein sehr gutes Gespür über die echten Bedürfnisse eines Projektmitarbeitenden.» Das sei nicht vordergründig Lohn, Arbeitssicherheit und eine 40-Stunden-Woche. «Mehrheitlich ist es die Möglichkeit, eine hervorragende Leistung in einem echten Team bringen zu können. Und ein Hochleistungsteam zu führen, das ist sicher ein Wunsch eines jeden Projektleiters. Dazu könnte das HR einen grossen Beitrag leisten, beispielsweise im Aufbauen einer guten Projektteamarchitektur.»