Viele Beschäftigten wollen einer anspruchsvollen Tätigkeit nachgehen und jedoch nicht Vollzeit erwerbstätig sein – ist das überhaupt möglich?
Anne Jansen: Natürlich. Tatsächlich ist es ein Irrglauben, dass man nur mit einem Vollzeitpensum eine Führungsposition übernehmen kann. Gut umsetzbar ist dies zum Beispiel durch das Arbeitsmodell Jobsharing auf Kaderstufe: Beim Topsharing teilen sich zwei Personen die Verantwortung und Aufgaben einer Leitungsfunktion. Das bringt Vorteile: Führung lässt sich in Teilzeit realisieren und besser mit Betreuungsaufgaben oder Freiwilligenarbeit vereinbaren. Arbeitgeber profitieren, da sie Talente besser halten können. Die Duos profitieren unter anderem von sozialer Unterstützung und kollegialem Feedback und treffen fundiertere Entscheidungen.
Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Implementierungen von Topsharing?
Da gibt es einige in der Schweiz. Das Staatsekretariat für Migration beispielsweise hat bereits seit Jahren eine steigende Anzahl an Job- und Topsharing-Paaren. Auch die Post setzt auf das Teilen von Kaderstellen: rund 70 Paare teilen sich bei der Post eine Führungsfunktion. Auch kleine und grosse privatwirtschaftliche Organisationen wie Hug oder Swisscom, besetzen Vollzeitstellen erfolgreich mit zwei Teilzeitkräften.
Im letzten Jahr haben Sie im Auftrag des Vereins PTO (Part-time Optimisation) eine Studie zur Verbreitung von Job- und Topsharing in der Schweiz durchgeführt. Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie?
Die Ergebnisse zeigen, dass in mehr als einem Viertel aller Organisationen mit mehr als zehn Mitarbeitenden das Arbeitsmodell Job-/Topsharing umgesetzt wird. Insgesamt können wir sagen, dass Topsharing in den letzten 10 Jahren zugenommen hat – in mehr Organisationen arbeiten Personen in diesem Arbeitsmodell und die Anzahl der Topsharing-Paare in den Organisationen hat zugenommen. Die Vorteile von Topsharing wurden deutlich: Organisationen mit Topsharing-Paaren berichten von einer Reihe positiver Erfahrungen, wie einer höheren Arbeitszufriedenheit, einer höheren Motivation und Produktivität der Topsharing-Paare.
Überrascht hat uns, dass sich die Rahmenbedingungen in Organisationen mit Job-/Topsharing nicht bedeutsam von denen ohne dieses Arbeitsmodell unterscheiden. So scheint weder erhöhter Fachkräftebedarf noch besonderes Augenmerk auf Gleichstellung Grund für die Einführung von Job-/Topsharing zu sein. Allerdings scheinen Organisationen, die weniger auf örtlich flexibles Arbeiten setzen können oder wollen, vermehrt auf Job-/Topsharing zurückzugreifen, vermutlich, um ihren Mitarbeitenden auf diese Weise mehr Flexibilität zu ermöglichen. Dies zeigt, dass Topsharing insbesondere auch für Unternehmen, die kein oder nur wenig Homeoffice anbieten können, ein spannendes Modell ist.
Das klingt jetzt sehr positiv, aber dieses Arbeitsmodell birgt sicherlich auch Herausforderungen?
Auch wenn einige Organisationen keine negativen Erfahrungen berichten, so gehören höherer Führungsaufwand und höhere Kosten zu den Herausforderungen. Knapp ein Drittel berichtet von Kommunikations- und Koordinationsproblemen innerhalb der Topsharing-Paare, also Aufgabenverteilung und Vereinbarungen. Hier sollte, aus meiner Sicht, angesetzt werden.
Welche Rolle können HR-Fachkräfte bei der Förderung und Implementierung dieser Arbeitsmodelle spielen?
Viele Probleme lassen sich mildern oder vermeiden, wenn die Topsharing-Paare zu Beginn durch das HR oder extern begleitet werden, um Werteverständnis, Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit zu definieren. Eine professionelle Begleitung von Anfang an ist entscheidend für erfolgreiches Topsharing. Für HR-Fachkräfte haben wir daher einen eintägigen Kompaktkurs entwickelt, der das Grundrüstzeug vermittelt, um Topsharing in der eigenen Organisation einführen und begleiten zu können.