Handicap

«Es beeindruckt mich immer wieder, wie sehr das Betriebsklima profitiert»

Das Familienunternehmen Keller Recycling AG in Hinwil integriert seit rund 50 Jahren Menschen mit Behinderung. Geschäftsführer Joel Keller schildert, wie er unternehmerisch und persönlich von der Verschiedenheit seiner Mitarbeitenden profitiert.

Herr Keller, wie lange arbeitet die Keller Recycling AG schon mit Menschen mit Behinderung?

Joel Keller: Das hat bei uns eine lange Tradition. In den Anfängen, vor rund 50 Jahren, sah mein Grossvater bei seinen Fahrten durch Hinwil regelmässig einen Jungen mit Down-Syndrom vor einem Haus sitzen. Er dachte sich, dass der Junge sicher Freude hätte, ihn auf seinen Fahrten zu begleiten. So war es denn auch.

Mein Vater hat die Tradition aufgenommen und immer wieder Menschen mit einer psychischen, körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigung beschäftigt. So war es für mich selbstverständlich, dieses soziale Engagement weiter zu führen. Heute beschäftigen wir 32 Mitarbeitende. Sechs sind kognitiv beeinträchtigt, die Leiterin der Buchhaltung ist körperlich beeinträchtigt.

Welche Tätigkeiten üben kognitiv beeinträchtigte Menschen bei Ihnen aus?

Wir beschäftigen einen Belader, der auf dem Kehrrichtwagen mitfährt. Er macht das seit rund 12 Jahren und betont regelmässig, dass dies sein Traumberuf sei. Drei Mitarbeitende sortieren unter Anleitung eines Job-Coaches monatlich rund 5000 Recycling-Säcke. Es handelt sich um einfache, repetitive Arbeiten, die von unseren Mitarbeitern sehr geschätzt werden. Weitere zwei Mitarbeiter arbeiten zu 100 Prozent auf der Sammelstelle, wo sie für das Nachsortieren von Sammelgut zuständig sind.

Wo sehen Sie den Nutzen für Ihr Unternehmen?

Sehen Sie, in unserer Branche herrscht ein ziemlich raues Klima, ähnlich wie auf dem Bau. Es beeindruckt mich deshalb immer wieder, wie sehr das Betriebsklima profitiert. Kognitiv beeinträchtigte Menschen sind sehr offen und geradeaus, aber auch sehr sensibel. Dies beeinflusst den Umgang aller Mitarbeitenden im Betrieb, die Kommunikation wird generell wertschätzender und das Verständnis füreinander grösser.

Gibt es einen messbaren wirtschaftlichen Nutzen?

Ich höre immer wieder von Kunden, dass sie unser soziales Engagement sehr schätzen und unterstützen. Konkret haben wir aus diesem Grund auch schon Aufträge erhalten. Der Marketingeffekt des Engagements ist nicht zu unterschätzen, auch wenn dieser meiner Meinung nach nicht im Vordergrund stehen sollte.

Veranstaltung: Symposium «Anders normal – normal anders» am 20. April 2018

Am Freitag, 20. April, findet im Park Hyatt Hotel in Zürich eine Fachtagung statt, die interessante Denkanstösse und zukunftsweisende Wege des Miteinanders von Menschen mit und ohne Behinderung aufzeigt. Die Veranstaltung richtet sich unter anderem an Führungskräfte und Personalverantwortliche aus der Privatwirtschaft. Das Symposium ist eine Kooperation der Martin Stiftung in Erlenbach und des Branchenverbandes Insos. Mehr Informationen und Anmeldung unter www.martin-stiftung.ch

Und wie haben Sie persönlich von der Zusammenarbeit profitiert?

Der Umgang mit Menschen mit einer kognitiven Behinderung hat mich in erster Linie gelernt, klar und verbindlich zu kommunizieren. Wenn ich etwa einem Menschen mit Autismus Anordnungen gebe, die er nicht versteht, bleibt er solange in meinem Büro stehen, bis er mich verstanden hat. So gesehen habe ich in Sachen Kommunikation einiges erfahren, das ich sonst nur über teure Weiterbildungen gelernt hätte.

Was raten Sie Unternehmen, die sich mit dem Gedanken tragen, Menschen mit einer kognitiven Behinderung zu beschäftigen?

Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass man sich als Unternehmen die richtigen Fragen stellt. Wem soll die kognitiv beeinträchtigte Person unterstellt sein? Verfügt der oder die Vorgesetzte über die notwendigen sozialen Kompetenzen?

Und: Will diese Person von sich aus diese Aufgabe übernehmen? Das ist eine entscheidende Frage. Im Austausch mit Mitarbeitenden von grösseren Unternehmen höre ich oft, dass sie in diese Rolle gedrängt werden und von der neuen Aufgabe überfordert sind. Meiner Meinung nach ist es entscheidend, dass jemand den Willen und die Freude mitbringt, Menschen mit einer kognitiven Behinderung mit der nötigen Geduld zu begleiten und anzuleiten.

Viele Unternehmen fürchten den administrativen Aufwand, etwa in Zusammenarbeit mit der IV. Ist diese Befürchtung aus Ihrer Sicht berechtigt?

Nein, ich habe da ganz andere Erfahrungen gemacht. Die Zusammenarbeit mit der IV oder mit Institutionen für Menschen mit Behinderung – in unserem Fall das Werkheim in Uster – war bisher immer sehr unkompliziert. Es gab auch in unserem Unternehmen Fälle, wo die Zusammenarbeit einfach nicht funktionierte und wieder aufgelöst werden musste. Die externen Stellen waren immer sehr offen und für pragmatische Lösungen zu haben.

Was ist Ihre Botschaft an das HR-Publikum?

Seien Sie mutig, gehen Sie neue Wege und probieren Sie etwas aus. Geeignete Arbeiten für kognitiv beeinträchtigte Menschen gibt es in jedem Unternehmen, da bin ich überzeugt. Im Gegenzug erhält das Unternehmen äusserst loyale und motivierte Mitarbeiter, die ihre Arbeit mit Freude und Beharrlichkeit erledigen.

Zur Person

Joel Keller ist Geschäftsführer der Keller Recycling AG. Das Familienunternehmen mit 32 Mitarbeitenden beschäftigt gegenwärtig sechs Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung und eine Person mit einer körperlichen Behinderung. Das Unternehmen aus Hinwil wurde im Jahr 2016 mit dem «This-Priis» für seine soziale Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

 

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Cinzia Sartorio ist Verantwortliche Marketing & Kommunikation der Martin Stiftung. Zentrales Ziel der Martin Stiftung ist es, erwachsenen Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung Geborgenheit und ein sinnerfülltes Leben in einem sicheren Umfeld zu ermöglichen.

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