20 Jahre HR Today

«Es fehlt der Mut, neue innovative Wege zu gehen»

Yvonne Müller war von 2003 bis 2017 Personalleiterin des Medizintechnikunternehmens Ypsomed. 2006 sprach HR Today mit ihr über innovative Arbeitsformen. Was hat sich seither getan?

Frau Müller, was ist im Bereich «neue Arbeitsformen» seit 2006 passiert?

Yvonne Müller: Damals waren innovative und kreative Arbeitsformen nur am Rande ein Thema. Bei Ypsomed hatten wir keine Probleme, gute Fachkräfte zu finden, der Rücklauf von passenden Bewerberinnen und Bewerbern war gross. Heute sind innovative und kreative Arbeitsformen ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Gewinnung und beim Halten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – nicht zuletzt durch Faktoren wie Fachkräftemangel, demografische Entwicklung sowie die Generation Y.

Wie reagieren die Unternehmen darauf?

Innovative Unternehmen haben seit 2006 in den Aufbau von neuen Arbeitsformen investiert. Einiges ist heute in modernen Unternehmen etabliert: Homeoffice, mobiles Arbeiten, Förderung von Teilzeitarbeit, freie Gestaltung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes, Sabbaticals. Das Thema flexible Pensionierung und insbesondere Lebensarbeitszeit steckt vielerorts noch in den Kinderschuhen. Auch projektbezogenes Arbeiten mit Freelancern wird mit der Digitalisierung und der Arbeitswelt 4.0 an Wichtigkeit gewinnen und ist weiterzuentwickeln.

«Anfang 2005 führte Ypsomed als ‹Spätzünder› die Jahresarbeitszeit ein», schrieb HR Today 2006. «Spätzünder» im 2005 – wirklich? Es gibt ja auch heute noch viele Unternehmen ohne Jahresarbeitszeit.

Für mich war damals die Einführung der Jahresarbeitszeit sehr spät. Ich bin der Überzeugung, dass man zukunftsorientiert und aus der Offensive heraus handeln soll.

Grundsätzlich sei bei Ypsomed alles möglich, etwa auch Topsharing, sagten Sie 2006. Wie sieht es heute bei Ypsomed mit Top- und Jobsharing aus?

Bei Ypsomed gab es seit vielen Jahren einige gute Beispiele von Jobsharing. Beispiele von Topsharing sind mir keine bekannt. Die Nachfrage nach Topsharing war zu gering.

Und wie sieht es bei Ypsomed heute mit neuen Arbeitsformen aus?

Im Januar 2017 gewann Ypsomed den Solothurner Unternehmerpreis zum Thema «Umsetzung von zukunftsweisenden Arbeitsmodellen». Dies war die Belohnung für unser Engagement für kreative und neue Arbeitsformen und -modelle.

Serie: 20 Jahre HR Today

HR Today wird 20 Jahre alt. Am 5. Juni 2018 feiern wir unser Jubiläum. Bis dahin blicken wir jede zweite Woche zurück auf den HR-Diskurs der vergangenen 20 Jahre. Dafür haben wir im Archiv gekramt, alte Artikel ausgegraben und uns auf die Suche gemacht nach den damaligen Protagonistinnen und Protagonisten sowie ehemaligen Chefredaktorinnen, um mit ihnen über die Entwicklungen im HR zu sprechen. Zur Übersicht

Es gibt nur wenige Firmen, die Top- oder Jobsharing in der Praxis anwenden. Auch wenn es in der Theorie gut klingt. Warum?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unternehmen bieten diese Möglichkeiten selten proaktiv an. Die Nachfrage seitens Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist gering. Der Druck nach neuen Arbeitsformen und insbesondere nach Topsharing ist (noch) nicht da. Es bestehen Unsicherheiten und Ängste betreffend eine erfolgreichen Abwicklung in der Praxis. Oder es fehlt der Mut, neue innovative Wege zu gehen, und Unternehmungen nachhaltig und zukunftsorientiert zu organisieren.

Sind diese Vorbehalte in Ihren Augen berechtigt?

Vorbehalte sind okay, aber ohne Pilotversuch nicht valide. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, als Unternehmen proaktiv und innovativ unterwegs zu sein. Und zwar eben auch bei der Personalpolitik, bei Arbeitsformen und Anstellungsbedingungen.

Was sind die Vorteile von Top- und Jobsharing für Arbeitgeber?

Vorteile gibt es viele: Durchgängige Anwesenheit, höhere Produktivität, mehr Wissen und Erfahrung, Gewährleistung einer Stellvertreterregelung, Motivation und Zufriedenheit des Personals steigt, positiv für das Image eines Arbeitgebers.

Welches sind die Schweizer Firmen, die heute im Bereich Top- und Jobsharing weit sind? Können Sie «Vorbilder» nennen? 

Ich denke es gibt mehr Vorbilder, als öffentlich bekannt sind. Bei den Schweizer Konzerne sind AXA Versicherungen und Swisscom Vorbilder. Doch auch Kantons- und Bundesbetriebe bieten Co-Leitungen an.

Zur Person

Yvonne Müller ist seit 2017 Beraterin für ganzheitliches Personalmanagement. Zudem engagiert sie sich als Verwaltungsrätin für die Vebego Gruppe Schweiz, einem Facility Dienstleister mit rund 6000 Mitarbeitenden. Von 2003 bis 2017 war sie als HR-Leiterin und Mitglied der Geschäftsleitung bei Ypsomed tätig, einem börsennotierten Unternehmen der Medizintechnik. Weitere HR Erfahrung bringt sie von Ikea, Scout24 und der Berner Kantonalbank mit.

 

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