HR Today Nr. 6/2020: Im Gespräch

«Ausländische Diplome sind in der Schweiz oft nicht anerkannt»

Flüchtlinge im Betrieb zu beschäftigen, bringt einige Herausforderungen mit sich. Die Vermittlungsplattform Jobs4refugees.ch bietet Unternehmen dabei Hilfestellung. Ein Gespräch mit Projektleiterin Lisa Schädel.

Warum sollen Arbeitgebende Flüchtlinge beschäftigen?

Lisa Schädel: Betriebe gewinnen motivierte Arbeitskräfte, die mit der entsprechenden Ausbildung dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Nachfolge in den Betrieben zu sichern. Eine höhere Diversität am Arbeitsplatz ermöglicht zudem, neue Perspektiven einzunehmen und fördert die Soft Skills sowie die Kreativität des ganzen Teams.

Worauf lässt sich ein Betrieb ein, wenn er ­Flüchtlinge beschäftigt?

Häufige Stolpersteine sind mangelnde Sprachkenntnisse oder fehlende Kenntnisse der hiesigen Arbeitswelt. So ist vielerorts die Technologisierung in den Arbeitsabläufen nicht so weit fortgeschritten wie bei uns in der Schweiz. Eine weitere Herausforderung ist die Akzeptanz der Flüchtlinge im Betrieb. Die Belegschaft muss mit von der Partie sein. Je besser die Einbettung des Geflüchteten im Team, desto mehr profitiert das gesamte Unternehmen.

Dafür braucht es auf beiden Seiten die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Eine professionelle Begleitung durch einen Jobcoach kann dabei unterstützen. Gezielte Weiterbildungen und Qualifikationsmöglichkeiten helfen den Geflüchteten, nachhaltig und langfristig im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Auf praktischer Ebene braucht es Sprachförderungsangebote. Dabei haben wir gute Erfahrungen mit berufsbegleitenden, fachspezifischen Sprachkursen gemacht.

Bislang werden die Betriebe vom Bund und den Kantonen noch zu wenig finanziell unterstützt. Ab 2021 will der Bund jedoch ein Pilotprogramm lancieren, das Einarbeitungszuschüsse für anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene bereitstellt.

Was bedeutet die Beschäftigung eines Flüchtlings für die HR-Abteilungen?

Eine Schwierigkeit besteht darin, die Kompetenzen von Flüchtlingen korrekt zu beurteilen. Ausländische Diplome sind in der Schweiz oft nicht anerkannt, was es für die Betroffenen schwierig macht, ihre teilweise hohen Qualifikationen nachzuweisen. Hier wünsche ich mir, dass HR-Verantwortliche den Mut haben, Bewerbende nicht nur aufgrund ihrer Diplome und Zeugnisse zu beurteilen.

… und was noch?

Offenheit und dass HR-Verantwortliche keine unbegründete Angst vor administrativem Aufwand haben. Und zu guter Letzt, dass sich Betriebe und HR-Verantwortliche bei Fragen und Unklarheiten bei uns melden.

Anfangs Januar haben Sie auf Jobs4refugees.ch eine Personalplattform integriert, auf der sich Flüchtlinge interessierten Arbeitgebenden mit einem persönlichen Profil vorstellen können. Weshalb existiert dieses Angebot bislang nur im Kanton Bern?

Jobs4refugees.ch wird zu einem grossen Teil durch einen Leistungsvertrag des Kantons Bern finanziert und richtet sich deshalb momentan nur an Berner Arbeitgebende. Viele Informationen auf der Website sind jedoch für die ganze Schweiz gültig und deshalb auch ausserkantonal von Interesse. Die geografische Ausweitung der Personalplattform ist bereits in Arbeit und die Profile von Stellensuchenden aus verschiedenen Nordwestschweizer Kantonen sind demnächst darauf verfügbar. Eine Ausdehnung auf weitere Regionen und Kantone ist in unserem Sinne.

Wie viele Flüchtlinge haben Sie bereits vermittelt?

Seit dem Start von Jobs4refugees.ch haben über 50 Stellensuchende mit Fluchthintergrund eine Festanstellung oder befristete Kurzeinsätze ­gefunden. Wie viele Personen durch die neue Personalplattform vermittelt wurden, können wir indes nicht sagen, da wir lediglich ein Tool zur Verfügung stellen, mit dem Betriebe Kontakt zu Stellensuchenden oder zu Jobcoaches aufnehmen.

Zur Person

Lisa Schädel (37) ist gelernte Politikwissenschaftlerin. Nach Abschluss des Studiums folgte ein kurzer Abstecher in die akademische Welt als Doktorandin am I­nstitut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Auf der Suche nach einer praxisnahen Tätigkeit folgte eine Anstellung bei der SP Schweiz im Bereich Kommunikation und anschliessend als Projektleiterin beim Bundesamt für Sozialversicherungen. Seit 2017 ist Lisa Schädel bei der Kirchlichen Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen KKF tätig, zuerst als Kommunikationsverantwortliche und seit Anfang Jahr als Projektleiterin von Jobs4refugees.ch.

Jobs4refugees.ch wurde 2016 gegründet und dient als Anlaufstelle für Anliegen zur Einstellung von Flüchtlingen im Kanton Bern. Die Mitarbeitenden beantworten Fragen zur Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen, vermitteln passende Personen, organisieren eine jährliche Jobmesse, nehmen Stellenausschreibungen in die Jobdatenbank auf und stellen Betrieben Informationen zur Verfügung. Alle Dienstleistungen sind kostenlos. Um möglichst viele Stellensuchende in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, wurde Ende Januar auf Jobs4refugees.ch zusätzlich eine Personalplattform integriert, auf der sich Flüchtlinge mittels persönlicher Bewerbungsprofile bei interessierten Arbeitgebenden vorstellen können. Ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Sprachkenntnisse sind auf einen Blick erkenntlich. Daneben bietet Jobs4refugees weiterhin die direkte Vermittlung von geeigneten Mitarbeitenden.

«Beide Seiten können profitieren»

Die Integration eines Flüchtlings fördert bei der Nexplore AG eine ­respektvolle Kultur im Betriebsalltag.

«Flüchtlinge sind Menschen, die bei uns gelandet oder gestrandet und ein Teil unserer Gesellschaft sind», sagt Christoph Fankhauser, Personalentwicklungsverantwortlicher bei Nexplore AG. «Sie brauchen unsere Hilfe, haben aber auch individuelle Kompetenzen, die uns weiterbringen.» Die Idee, einen Flüchtling zu integrieren, stamme von einem Mitarbeitenden. Das Unternehmen habe diese lediglich umgesetzt. Einen geeigneten Vermittler zu finden, erwies sich dabei als Herausforderung. Erst, als das Unternehmen auf Jobs4refugees stösst, zeichnet sich eine Wende ab. «Wir haben dann sehr schnell einen passenden Kandidaten gefunden», sagt Fankhauser. Ohne Reibungsverluste verläuft eine Integration meist nicht. Etwa, weil Mitarbeitende Vorbehalte wegen der andersartigen Kultur des Flüchtlings haben oder befürchten, dass die Verständigung im Team nicht klappt. Befürchtungen, die sich bei Nexplore schnell in Luft auflösten: «Unser Kandidat konnte bei der Anstellung schon recht gut Deutsch sprechen. Er gab sich zudem bei der kulturellen Integration sehr viel Mühe.» Einen Flüchtling zu integrieren, fördere eine respektvolle Kultur und helfe, sich mit dem «Anderssein» auseinanderzusetzen. Insbesondere in einem hochtechnischen und spezialisierten Umfeld sei das sehr wertvoll. «So können wir unsere Kompetenzen und Soft Skills entwickeln und als Team agiler, effizienter und besser werden.» Aus diesen Gründen rät er anderen Unternehmen zur Nachahmung: «Wenn wir diesen Menschen ermöglichen, sich bei uns zu integrieren und einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, profitieren beide Seiten.» Hinzu komme, dass in etlichen Branchen ein Fachkräftemangel herrsche, den diese Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten teilweise abdecken könnten.

Nexplore AG
1999 gegründet, arbeitet Nexplore AG in selbstorganisierten Teams und entwickelt Software für mittlere und grössere Schweizer Firmen und Behörden. Das Unternehmen beschäftigt rund 70 Mitarbeitende und hat 2017 durch Jobs4refugees einen Flüchtling angestellt.

«Multikulturelle Teams sind bereichernd»

Für die Lantal AG ist die Integration von Flüchtlingen eine Win-win-­Situation.

«Flüchtlinge sind unglaublich motivierte Mitarbeitende und verspüren eine riesige Dankbarkeit gegenüber dem Betrieb», sagt Nicole Jaussi, Senior HR Fachspezialistin, die Flüchtlinge bei Lantal in der ersten Phase unterstützt. Das heisst, die Flüchtlinge bei Behördengängen zu begleiten, Sprachkurse für sie zu organisieren, den Kontakt zwischen den Sozialarbeitenden von Jobs4refugees und der Linie herzustellen, Schnuppertage zu organisieren und bei Vorstellungsgesprächen Präsenz zu zeigen. Dass sich ihr Unternehmen für Flüchtlinge engagiert, ist für Jaussi aufgrund der Lantal-Firmenkultur, die auf Werten wie Respekt, Vorsorge und Vertrauen basiert, selbstverständlich. «Ausserdem haben wir in der Produktion geeignete Jobs, die sich für einen Einstieg anbieten.» Gleichzeitig profitiere das Unternehmen vom Know-how der Flüchtlinge. «Aus Syrien und Afghanistan kommen beispielsweise viele Fachkräfte aus der Textilbranche, die Kenntnisse, Erfahrung oder ein Studium auf diesem Gebiet mitbringen.» Nebst fehlenden Sprachkenntnissen erweise sich die persönliche Mobilität oft als Integrationshindernis. «Mitarbeitende im Schichtbetrieb gelangen mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht an unseren Standort. Deshalb haben wir Flüchtlingen für den Kauf eines Occasionsautos auch schon ein zinsfreies Darlehen gewährt.» Die bei Lantal beschäftigten Flüchtlinge möchte Jaussi als Mitarbeitende nicht missen: «Multikulturelle Teams sind eine Bereicherung für unser Unternehmen.» Im Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel sei es eine grosse Chance, Flüchtlinge im Betrieb auszubilden und am Ende zu halten.

Lantal AG
Die eigentümergeführte Lantal Textile AG mit knapp 700 Mitarbeitenden produziert und vermarktet im oberaargauischen Langenthal Textilien und Dienstleistungen für den internationalen Luft-, Bus- und Bahnverkehr sowie für VIP-Jets und Superyachten. Seit gut fünf Jahren beschäftigt das Unternehmen Flüchtlinge aus Programmen wie Jobs4refugees.

 

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Christine Bachmann ist stellvertretende Chefredaktorin von HR Today. cb@hrtoday.ch

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