HR Today Nr. 1/2022: Im Gespräch

«Frauen befähigen, nicht klein halten»

Mit Frauen über Geld und Investieren sprechen, damit die Gleichstellung kein Papiertiger bleibt: Das wollen die Gründerinnen der Finanzmedien-Plattform «elleXX» Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger.

Frauen können nicht mit Geld umgehen. Stimmt das?

Patrizia Laeri: Die Finanzbildungslücke bei Frauen ist real. Zurückzuführen ist diese vor allem auf ein mangelndes Selbstbewusstsein. Frauen trauen sich in Geldfragen weniger zu. Hinzu kommt ihre finanzielle Abhängigkeit: 56 Prozent der Frauen in der Schweiz können finanziell nicht für sich selbst sorgen – das hält sie klein. Dass  sie sich bisher weniger mit Geld auseinandersetzten, liegt auch daran, dass sie in der Schweiz erst seit 1988 ohne Unterschrift ihres Partners ein Konto eröffnen konnten. Wir echauffieren uns immer über die 50 Jahre Frauenstimmrecht. Der eigentliche Aufreger sind diese 34 Jahre.

Nadine Jürgensen: Leider investieren erst wenige Frauen ihr Geld. Tun sie es, machen sie es aber meist besser als Männer: Sie sind geduldiger und kennen die Risiken. Deshalb ermutigen wir insbesondere Mütter, sich mit ihren Finanzen auseinanderzusetzen. Als solche legen sie häufig eine Pause ein oder arbeiten nach der Geburt in Teilzeit. Beides führt zu einer grossen Lohnlücke und wirkt sich später auf die Pension aus.

Inwiefern sind sich Frauen des Mankos «weniger Rente» bewusst?

Jürgensen: Vielleicht wissen sie es, verdrängen das Thema aber oder schieben es auf die lange Bank. Die jüngste Bundesgerichtsrecht­sprechung setzt nun allerdings Druck auf: Frauen  erhalten nach einer Trennung oder Scheidung nicht mehr automatisch bis zur Pensionierung Unterhaltszahlungen – auch wenn sie verheiratet waren, Kinder hatten und eine traditionelle Rollenteilung lebten. Die Stossrichtung des Gesetzgebers ist klar: Frauen sollen erwerbstätig bleiben, um nebst einem Einkommen auch eine Rente zu erwirtschaften.

Die Altersarmut ist weiblich. Mitverantwortlich sind unter anderem auch die Pensionskassen mit hohem Koordinationsabzug...

Jürgensen: Stimmt, der ist mit rund 25'000 Franken im Jahr für viele Frauen mit Teilzeitpensen so hoch, dass sie kaum eine hohe zweite Säule bilden können. Es gibt dennoch Möglichkeiten: Unsere Mitarbeiterinnen sind beispielsweise bei unserer Pensionskasse ohne Koordinationsabzug versichert. Das ist  zwar teurer,  dennoch haben wir uns dafür entschieden. Zudem können mehrere Teilzeitjobs gebündelt werden. So wird eine Anmeldung bei der Pensionskasse möglich. Das ist vielen Frauen aber nicht bewusst. Beispielsweise jenen, die in der Raumpflege arbeiten. Unternehmen sollten deshalb Aufklärungsarbeit leisten. Ein weiteres Problem ist die steuerliche «Heiratsstrafe» in der Schweiz, wodurch der Staat das Altersarmutsproblem zusätzlich fördert. Ist man als Doppelverdienende verheiratet, wird man so stark besteuert, dass es sich für viele Frauen auch wegen der hohen Kinderkrippenkosten nicht lohnt, mehr als in einem tiefen Teilzeitpensum zu arbeiten. Dies genügt aber nicht, um ein solides Pensionsguthaben aufzubauen. Wir hoffen deshalb, dass diese ­«Heiratsstrafe» endlich abgeschafft und eine Individualbesteuerung eingeführt wird.

Muss HR Aufklärung betreiben?

Laeri: Für mich ist das eindeutig eine HR-Aufgabe. HR muss Frauen klar machen, dass sie mindestens 70 Prozent arbeiten müssen, um ihren Lebensstandard im ­Rentenalter zu halten. Dazu sollte HR aber Hand bieten. ­Beispielsweise mit Job- und Topsharings. Personaler sollten sich zudem dafür einsetzen, dass Mütter ihre Jobs nach der Geburt behalten und ­weiterhin interessante Aufgaben ausführen können.

Jürgensen: HR  sollte  werdende Mütter ­zudem darauf hinweisen,  bei unbezahltem Urlaub eine private Unfall­versicherung abzuschliessen und Pensionskassenbeiträge weiterzubezahlen, damit keine Lücken entstehen. Daneben sollten HR-Führungskräfte dafür sensibilisieren, Frauen und ­Männer in Teilzeit zu beschäftigen und flexible Arbeitsmöglichkeiten zu bieten.

Weshalb die Finanzmedien-Plattform «elleXX»?

Laeri: In meiner früheren Tätigkeit in der Börsen- und Finanzwelt frustrierte es mich, dass die Anlagen von Männern florierten, während Frauen nie richtig dabei waren. Zudem beelendete mich, dass Frauen während der Pandemie häufig aus der Berufswelt gedrängt wurden. Wir haben einen Rückschlag erlebt. Die Gleichstellung ist nach wie vor in weiter Ferne.

Jürgensen: Als Rechtsanwältin und spätere Journalistin habe ich Ähnliches erlebt. Mütter sind in der Schweiz nicht gleichberechtigt. Hinzu kommt, dass sie sich aus Liebe zu den Kindern nach wie vor häufiger aus dem Arbeitsleben zurückziehen und am Schluss mit abgesägten Hosen dastehen. Deshalb haben wir das «elleXX JUSTIS»-Rechtsschutzprodukt entwickelt. Eine Versicherung, die auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten ist. Das heisst: Bei Mobbing, Scheidung sowie ungleichen Löhnen und Karrierechancen  erhalten Frauen eine persönliche Rechtsberatung und Vertretung vor Gericht. Davon profitieren Alleinerziehenden bei rechtlichen Fragen ebenso.

Nebst einem Rechtsschutz lancierten Sie mit «elleXX» ein ­«frauenfreundliches» Aktien-Anlageprodukt. Was ist darunter zu verstehen?

Laeri: Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner Migros Bank identifizierten wir mit einem Big-Data-Ansatz «frauenfreundliche Unternehmen» aus einem Universum von über 1000 Aktien. Nebst klassischen Investment-Analysen, Forschungsstudien, Rankings, Medienberichten und Social-Media-Screenings liessen wir hierzu Bewertungen von Mitarbeiterinnen einfliessen. Uns war wichtig, dass die ausgewählten Unternehmen über vorbildliche Gender-Equality-Strukturen verfügen und es mit der Gleichstellung äusserst ernst nehmen.

Auch Ihre «Säule 3a» ist «gleichberechtigt». Wie kontrollieren Sie das?

Laeri: Die «Säule 3a» ist ein Online-Produkt, das wir mit der Vontobel Privatbank aufgebaut haben. Diese hat sich gegenüber «elleXX» vertraglich dazu verpflichtet, ab einem gewissen Anlagevolumen Aktien von Firmen hinzuzufügen, die Gleichstellung und Diversität berücksichtigen.

Langfristig ist Ihr Ziel eine «gleichberechtigte Gesellschaft.» Ein grosses Ziel.

Laeri: Es ist eine Lebensaufgabe, für die es sich aber zu kämpfen lohnt. Gemäss Gender-Report des World Economic Forum (WEF) würde es sonst  mehr als 100 Jahre dauern, bis Frauen weltweit finanzielle Gleichberechtigung erreichen.

Jürgensen: Wir sind nicht die ersten, die sich dafür einsetzen. Wir werden aber auch nicht die letzten sein.

Inwiefern beschäftigt Sie Ihr Wachstum?

Laeri: Die Herausforderungen, die wir sehen, stellen sich weltweit. Deshalb expandieren wir bald in die DACH-Region. Zuerst lancieren wir aber die englische Version unserer Plattform für die Schweiz, um auch Expats eine Anlaufstelle zu bieten.

«elleXX»

Die Finanzmedien-Plattform «elleXX» wurde von Patrizia Laeri, Nadine Jürgensen und Simone Züger aufgebaut. Sie bietet ein breites Spektrum an gesellschaftlichen und finanziellen Themen und fokussiert sich auf Gleichstellung und Nachhaltigkeit. Eine umfassende Wissenssammlung zeigt und erklärt die verschiedenen Gender Financial Gaps auf einen Blick und bietet Checklisten sowie Erklärvideos. Zusammen mit Partnern aus der Finanzwelt entwickelte «elleXX» zudem «frauenfreundliche» Finanzprodukte. Im Sommer 2021 lancierte «elleXX» mit der Migros Bank das erste frauengerechte Aktienprodukt. Im November 2021 folgten eine «elleXX»-3a-Lösung sowie  ein «elleXX»-Rechtsschutzprodukt. ellexx.com

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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