«Inzwischen bin ich für die Quote»
Fränzi Kühne ist Unternehmerin, Mitbegründerin der ersten Social-Media-Agentur in Deutschland, wurde 2017 jüngste Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens, ist Keynote-Speakerin, Autorin und Familienfrau. Was sie antreibt, was sie an der digitalen Transformation reizt und warum ihr Diversität am Herzen liegt.
«Wenn immer dieselben Menschen am Tisch sitzen, entstehen keine Innovationen», sagt Autorin Fränzi Kühne. (Bild: zVg)
In Ihrem neuen Buch «Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal» setzen Sie sich mit Reaktionen von Männern auf Fragen auseinander, die im wirtschaftlichen und politischen Leben üblicherweise nur Frauen gestellt werden, wie: «Mussten Sie sich zwischen Kindern und Ihrem Start-up entscheiden?» Wie haben die angefragten Männer reagiert?
Fränzi Kühne: Von rund 50 angeschriebenen Männern machten nur 22 mit. Die Absagen deute ich unter anderem damit, dass wohl viele Männer noch immer ein sehr veraltetes Rollenbild leben und deshalb gar nicht auf Fragen wie jene nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf antworten können.
Welches war für Sie die absurdeste Frage, die Ihnen je als Frau gestellt wurde?
Die Absurdität vieler Fragen wurde mir erst in den Interviews bewusst. Beispielsweise die Frage: «Hat man Sie als Aufsichtsrätin sofort ernst genommen?» Als ich diese Frage meinen Interviewpartnern stellte, ist mir aufgefallen, wie anmassend es ist, jemanden so etwas zu fragen.
Sie gründeten 2008 mit zwei Freunden die Digitalagentur «Torben, Lucie und die gelbe Gefahr GmbH» (TLGG), die digitale Markenstrategien für Unternehmen entwickelte, und verkauften diese 2014 an den amerikanischen Medienkonzern Omnicom. Dort waren Sie unter anderem für die Personalführung zuständig...
Das war meine Lieblingsaufgabe. Sich zu überlegen, wie funktioniert Führung? Wie ist eine Personalstrategie aufgebaut? Mit welchen Werten und nach welcher Philosophie wollen wir zusammenarbeiten? Das sind essenzielle Fragen, gerade in einem Agenturbetrieb. Dieser lebt nicht von Produkten, die hergestellt werden, sondern auch von Menschen, die dort arbeiten.
In Agenturen herrscht normalerweise ein reger Mitarbeiterwechsel. Wie sind Sie diesem begegnet?
Unsere Intention war es immer, Mitarbeitende so lange wie möglich zu halten. Das funktioniert aber nur, wenn diese wissen, warum sie im Unternehmen arbeiten. Deshalb beschäftigten wir uns schon sehr früh mit einer Unternehmensvision und -strategie: Was wollen wir gemeinsam erreichen und was trägt jeder und jede zum Erfolg bei? Wichtig sind klare Werte, die nicht nur auf dem Papier existieren, sondern auch gelebt werden. Aber auch individuelle Kommunikationswege, damit diese Werte von allen gesehen und gehört werden. Das haben wir damals bei TLGG geschafft. So sind viele Freundschaften und Beziehungen entstanden.
Sie haben Ihr Unternehmen sechs Jahre nach der Gründung 2015 verkauft, sind aber bis vor kurzem in der Geschäftsführung verblieben. Weshalb?
Für uns war 2015 der richtige Moment für einen Verkauf, weil wir international schneller wachsen wollten. Das ging mit einem grossen Partner wie Omnicom besser als allein. Durch die Zusammenarbeit konnten wir in New York zudem eine Zweigstelle aufbauen und damit international Fuss fassen, internationale Kunden bedienen und unserem Ziel näherkommen, eine weltweit führende Agentur im digitalen Business zu werden.
Was reizte Sie so früh an der digitalen Transformation?
Damals war es etwas komplett Neues. Die grossen Firmen wussten nicht, was sie mit Social Media und der aufkommenden Digitalisierung anfangen sollten. Wahrscheinlich dachten viele, Social Media seien nur ein kurzweiliger Trend und etwas, das bestenfalls im Marketing angesiedelt ist. Inzwischen glaubt das schon lange niemand mehr. Meint es ein Unternehmen heute mit der digitalen Transformation ernst, sind Social Media eine strategische Aufgabe und in der Führungsetage angesiedelt. Zudem: Unternehmen, die sich nicht wandeln, werden in den nächsten zehn Jahren wohl nicht überleben. Unternehmen strategisch zu beraten, finde ich bis heute spannend.
Wo stehen wir in der digitalen Transformation?
Leider noch am Anfang. Vielen Unternehmen geht es immer noch zu gut. Sie glauben nicht, dass hier ein Wandel oder eine Veränderung notwendig wäre. Ernsthafte und schnelle Veränderungen sind zudem schwierig zu erzeugen, wenn der Druck nicht genügend gross ist. Das hat auch Corona gezeigt. Lange hat sich nichts getan. Dann kam die Pandemie und löste einen digitalen Schub aus, der uns gut und gerne zehn Jahre weitergebracht hat. Leider nicht in allen Branchen, was wir unter anderem im Bildungs- und Gesundheitssystem sehen.
Führungskräfte und Digitalisierung: Viele reden darüber, haben aber bis heute keine Ahnung. Ein Vorurteil?
Pauschal kann man das so sicher nicht sagen. Viele haben den Wert erkannt, ihnen mangelt es indes an Ideen zur Umsetzung und an einer Kultur, die damit einhergeht. Digitalisierung bedingt, dass in einem Unternehmen Dinge ausprobiert werden dürfen, dass man scheitern darf. Führungskräfte sollten deshalb kleine Projekte und Räume schaffen, in denen Mitarbeitende experimentieren dürfen. Wer sich gar nicht bewegt und alles so macht, wie er das immer gemacht hat, gefährdet seine Zukunftsfähigkeit.
Wir wollen aber nicht scheitern. Wie etablieren Unternehmen eine Fehlerkultur?
Indem sie von oben gewollt ist, getrieben und vorgelebt wird.
Die Digitalisierung bietet Raum für Firmengründungen. Immer mehr Frauen wagen den Schritt ins Unternehmertum...
Der Schein trügt. Bisher gibt es leider noch viel zu wenige Frauen, die in Führungsgremien angekommen sind. Das zeigt auch der jüngste Allbright-Bericht «Wachstum ohne Frauen»* der Allbright-Stiftung. Die meisten Firmen, die in den letzten fünf Jahren gegründet wurden und an die Börse gingen, sind in Händen von Männern. Der «Thomas»-Kreislauf setzt sich somit fort. Das bedeutet, dass in der Führung immer noch sehr homogen rekrutiert wird und sich damit mehr Männer mit dem Vornamen Thomas in den Führungsspitzen von Dax-Konzernen befinden als Frauen insgesamt.
Braucht es eine Frauenquote?
Ja, inzwischen bin ich dafür. Als Unternehmerin dachte ich, ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wen ich in die Vorstandsetage hole. Aber ich habe bemerkt, dass kein Veränderungsimpuls entsteht, wenn sich Unternehmen nicht divers aufstellen. Eine Quote kann aber dazu führen, dass sich die Unternehmenskulturen verändert.
Wie lange brauchen wir, um diese zu erreichen?
Gemäss Allbright-Stiftung dauert es noch 100 Jahre, wenn wir im aktuellen Tempo weitermachen, sowie weitere 112 Jahre bis der «Gender Pay Gap» geschlossen ist. Das ist unglaublich. Ich möchte nicht, dass meine Töchter in einer solchen Arbeitswelt aufwachsen.
Warum tun wir uns mit Diversität so schwer?
Viele Unternehmen wie auch Menschen fühlen sich wohl, wenn sie von Personen umgeben sind, die sie berechnen können, die gleich sind und ähnlich ticken wie sie selbst. Das verstehe ich menschlich. In einem Arbeitskontext ist wissenschaftlich jedoch belegt, dass ohne Diversität und Andersartigkeit keine Veränderungen stattfinden. Wenn immer dieselben Menschen am Tisch sitzen, entstehen keine Innovationen.
Wie könnte HR hier unterstützen?
Indem HR darauf achtet, dass Führungskräfte Diversität als Zielvorgaben erhalten, hinterfragt, wo es zu bewussten oder unbewussten Vorurteilen kommt, und dieses Thema immer wieder aufgreift.
*Allbright-Bericht: bit.ly/Allbright_Bericht_Juni_2021
Fränzi Kühne
Fränzi Kühne ist Mitgründerin und ehemalige Geschäftsführerin der TLGG GmbH. Sie ist ausserdem Aufsichtsrätin, Speakerin und Bestseller-Autorin. Kühne engagiert sich seit Jahren für mehr Frauen in Führungspositionen und treibt die dafür notwendige Veränderung von Organisations- und Arbeitskultur voran. Als Stiftungsrätin der Allbright-Stiftung erarbeitet sie Analysen und Reformvorschläge für mehr Diversität in Unternehmen. fraenzi.de