HR Today Nr. 12/2021: Im Gespräch

Desinformation kommt in Wellen

Die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Gesellschaft. Ein Gespräch über ihr kürzlich erschienenes Buch «Einspruch!», Fake News im Arbeitsalltag und Privatleben, Verschwörungsmythen und den professionellen Umgang damit.

Mit Ihrem jüngsten Buch «Einspruch!» vermitteln Sie der Leserschaft, wie man Fake News und Verschwörungsmythen kontert. Was hat Sie an dieser Materie gereizt? Der Zeitgeist?

Ingrid Brodnig: Mich kontaktierten immer wieder Menschen und fragten: Wie kann ich mit Familienmitgliedern diskutieren, die Verschwörungsmythen glauben? Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie attraktiv manche Falschmeldungen sind. Zwar existiert kein Wundermittel, das beim Diskutieren sicherstellt, dass andere Menschen einem zuhören oder glauben. Aber es gibt zumindest ein paar Handlungsempfehlungen, um Fakten besser verständlich zu machen und effizienter zu diskutieren.

Auch in der Arbeitswelt ist man vor Fake News und Verschwörungsmythen nicht gefeit. Aber was sind eigentlich Fake News – und wer beurteilt, was richtig ist?

Es ist sinnvoll, zwischen Meinungen und Behauptungen zu unterscheiden. Eine Meinungsfrage ist beispielsweise, wie man über einzelne politische Massnahmen denkt oder welche Partei man sympathisch findet. Fragen, die jeder und jede für sich entscheiden muss. Im Gegensatz dazu gibt es Behauptungen. Also: Wie viele Corona-Infizierte liegen jetzt auf der Intensivstation? Oder: Hat Politikerin XY diese Aussage im Fernsehen wirklich getätigt oder ist es ein erfundenes Zitat? Solche Behauptungen lassen sich faktisch überprüfen, hier gibt es ein «wahr» oder «falsch». Beinhaltet ein Online-Artikel oder ein Posting also eine nachweisbare Behauptung, ist es eine Falschmeldung. Wird diese sogar absichtlich veröffentlicht, handelt es sich um Fake News.

Wie erkennt man Fake News?

Der simpelste Trick: Auf die eigenen Emotionen achten. Viele Falschmeldungen sind so erfolgreich, weil sie die Meinung der Leute bestätigen. Einem Politiker oder einer Politikerin, die ein Teil der Bevölkerung nicht mag, wird beispielsweise ein peinliches Zitat in den Mund gelegt. Hier besteht die Gefahr, dass Menschen dieses erfundene Zitat online teilen, weil sie es der Person zutrauen. Auch sind viele Falschmeldungen so formuliert, dass Leute wütend werden, sich aufregen und diese in dieser Stimmung ungeprüft teilen. Liest man online eine spektakuläre Meldung, bei der man sich denkt, «das habe ich mir schon immer gedacht!», sollte man lieber vorsichtig sein. Im Zweifelsfall lohnt es sich zu überprüfen: Wer ist die Quelle der spektakulären Nachricht? Ist diese seriös? Nicht alles, was Leute in Wut versetzt oder Vorurteile bestätigt, ist falsch. Aber eine starke Emotionalisierung ist manchmal ein Alarmsignal, dass eine Meldung gefälscht sein könnte.

Wie gehen Arbeitgebende mit Mitarbeitenden um, die Falschmeldungen ver­breiten?

Merken Arbeitgebende, dass es Menschen gibt, die in Pandemiezeiten beispielsweise den Empfehlungen der Wissenschaft nicht folgen, können sie sich Folgendes überlegen: einen Betriebsevent, bei dem ein, zwei Fachleute aus der Medizin eingeladen werden, welche die gängigen Mythen kennen und aus der medizinischen Fachperspektive aufklären. Gerade der Stimme von Ärztinnen und Ärztin vertrauen Menschen oft. Wohlgemerkt, das heisst nicht, dass eine Fachaufklärung alle erreicht. Es gibt oft zwei verschiedene Gruppen: jene, die von Falschmeldungen überzeugt und somit schwer erreichbar sind, und solche, die Geschichten gehört haben und dadurch verunsichert wurden. Ist jemand nur verunsichert, kann es sinnvoll sein, Fakten emphatisch anzusprechen und Fachleute zu Wort kommen zu lassen.

Dürfen Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden zensieren?

Ich glaube, das Wort «Zensur» ist hier nicht ganz passend. Was Mitarbeitende glauben, ist ihre Sache. Solange sie ihre Arbeit gut machen und kein Verhalten an den Tag legen, das andere gefährdet oder dem Unternehmen Schaden zufügt, wird es viele Vorgesetzte auch nicht tangieren, welche private Meinung jemand vertritt. Wenn einzelne Personen die Sicherheitsvorgaben, beispielsweise die vorgeschriebene Maske zu tragen, vehement verweigern, kann das letztlich Konsequenzen haben.

Wir sollten Fake News und Verschwörungsmythen kontern. Wie kann eine solche Strategie aussehen?

Das mag jetzt paradox klingen, aber eine Strategie kann sein, gar nicht zu kontern, sondern mit Fragen zu reagieren. Wenn jemand schon von einer Falschmeldung oder einem Verschwörungsmythos überzeugt ist, prallen Fakten oft ab. Merken Sie, dass Sie argumentativ nicht zum Gegenüber durchdringen, können Sie die Strategie ändern und beispielsweise Fragen stellen: Woher hast du diese Information, wieso vertraust du gerade dieser Person? Mit dem respektvollen Nachfragen zeigt man seinem Gegenüber, ich höre dir zu und ich möchte dich verstehen. Mit Nachfragen kann man aber auch gezielt auf die Unstimmigkeiten in solchen Erzählungen hinweisen. Man nennt das auch die Methode des «Sokratischen Dialogs», bei der man mit Fragen auf einen Erkenntnisgewinn hinsteuert.

Sie beschäftigen sich sonst intensiv mit Hass und Lügen im Netz. Ist das Kontern auf digitalen Portalen schwieriger als im persönlichen Umgang?

Jein. Zwar ist es schwieriger, die andere Person zu erreichen, weil man sich nicht in die Augen sehen kann und online oft mit Leuten diskutiert, zu denen keine emotionale Vertrauensbasis besteht. Allerdings hat man online einen Vorteil: Gerade in öffentlichen Diskussionen oder in grösseren Runden auf Messenger-Apps geht es oft nicht nur um die Person, die etwas Falsches glaubt, sondern um deren Mitlesende. Diskutiert man öffentlich auf Facebook, Linkedin oder Twitter, kann man auch das Ziel verfolgen, jene Menschen zu erreichen, die noch nicht an etwas Falsches glauben. Hier bringt es durchaus etwas, Faktenchecks zu posten und sachlich auf offizielle Einrichtungen hinzuweisen.

Warum sind gerade digitale Kanäle ein Mekka für Fake News und Verschwörungsmythen?

Zum einen ist die Geschwindigkeit ein Problem: Es ist sehr leicht, online ungeprüft Infos zu verbreiten. Das Teilen geht schneller als das kritische Überprüfen. Zudem sehen wir oft, dass Falschmeldungen eine grössere Reichweite erzielen als ihr Faktencheck danach. Zum anderen können sich Menschen online leicht mit Gleichdenkenden austauschen und gegenseitig in ihrer Meinung anheizen. Die Gefahr besteht somit, dass einzelne Menschen in sogenannten «Echokammern» landen, in denen sie sich mit Gleichdenkenden in ihrer Meinung verfestigen.

Werden Fake News und Verschwörungsmythen zunehmen?

Desinformation kommt in Wellen. Immer dann, wenn unsere Gesellschaft ein Streitthema erfasst, gehen die Wogen online hoch: Es wird mit unfairen Methoden, wilden Gerüchten, Falschmeldungen oder gar Verschwörungsmythen Stimmung gemacht. Beim Thema geflüchtete Menschen haben wir das bereits erlebt oder bei einzelnen, besonders erhitzten Wahlkämpfen. Die Corona-Krise ist nun erneut eine Hochphase der Desinformation. Ich habe schon die Hoffnung, dass es ein stückweit besser wird, wenn die Pandemie endgültig vorbei ist. Allerdings müssen wir immer wieder damit rechnen, dass gesellschaftliche Streitthemen oder Krisen aufkommen, in denen Falschmeldungen zirkulieren. Hier bereitet mir die Klimakrise grosse Sorge, weil wir bereits in den vergangenen Jahren sehen konnten, wie Falschmeldungen und irreführende Argumente über die Klimakrise zunehmen. Die Gefahr ist somit, dass nach der Corona-Krise eines der grossen Aufregerthemen die Klimadebatte sein und damit Stimmung gemacht wird.

Buchtipp

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Was tun, wenn Freunde, Verwandte oder Bekannte mit Aussagen kommen, die ins Reich der Verschwörungsmythen und Fake News gehören? Ingrid Brodnig zeigt, wie wir in hitzigen Debatten ruhig bleiben und unseren Standpunkt verdeutlichen. Welche rhetorischen Tricks sollte man kennen? Dieses Buch liefert die Strategien für eine kluge Diskussionsführung.

Ingrid Brodnig, «Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern», Brandstätter Verlag, 2021, 160 Seiten.

 

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Christine Bachmann 1

Christine Bachmann ist Chefredaktorin von Miss Moneypenny. cb@missmoneypenny.ch

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