«Führung ist eine Haltung»
Daniel Humbel hat als CEO den Outdoor-Retailer Transa mit einer beherzten Leadership-Strategie aus der Krise geführt und den Turnaround geschafft. Nach einer radikalen Medienabstinenz spricht er im 40. Jubiläumsjahr über den Erfolg und seine Leidenschaft für Führungsthemen.
«Mit der Expansion in den 3000m2 grossen Laden ergab sich quasi über Nacht eine Verdoppelung der Mitarbeiterzahl»: Transa-CEO Daniel Humbel. (Bild: zVg)
Herr Humbel, Sie haben die mediale Öffentlichkeit lange Zeit bewusst gemieden. Was sind die Gründe für die Ihre plötzliche Präsenz?
Daniel Humbel: Als ich 2011 das Steuer übernehmen durfte, steckten wir wirtschaftlich in einer sehr heiklen Phase. In einer solchen Turn-around-Situation schien es mir wertvoller und ehrlicher, mich um den operativen und strategischen Alltag zu kümmern, als in den Medien präsent zu sein. Ich hatte eine integrale Leadership-Vision und war überzeugt, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht nur über Ebit-Ziele und MbO-Methoden erreicht werden kann. Diese Reise wollte ich zuerst machen, bevor ich darüber spreche. Wegen der Digitalisierung stellen sich heute viele Unternehmen grundlegende Fragen zu ihrem ökonomischen und ethischen Wirken. Die Antworten haben meist disruptive Qualität. Dies macht mir heute keine Angst mehr. Ich sehe darin vielmehr eine Rezeptur zum Erfolg und habe jetzt auch Lust, darüber zu sprechen. Anfang Juni hatte ich einen Auftritt am Swiss Economic Forum zur Frage: «Wird der heutige Chef zum Auslaufmodell?» Im Juni war ich auch Teil einer Podiumsdikussion im Rahmen der neu lancierten «MFO Werkstatt-Diskurs»-Reihe in der Mehrwertfabrik Oerlikon zum Thema «Management by Heart». Zudem bin ich Mitglied im Praxisbeirat eines Leadership-Forschungsprojekts von HWZ-Professorin Sybille Sachs.
Sie entsprechen mit Ihrem unkonventionellen Werdegang nicht gerade dem Stereotyp eines CEO. Ist der 0815-Chef ein Auslaufmodell?
Es braucht ein neues Rollenverständnis des Chefs. Ich achte sehr darauf, nicht in die allwissende Chef- und Entscheiderrolle gedrückt zu werden, und versuche, mich so weit wie möglich bewusst aus der Chefrolle rauszunehmen. Wenn die Hierarchien zu streng gelebt werden, fördert dies das Silodenken und kultiviert Abteilungen, die als «Königreiche» funktionieren. Das Silodenken ist kein Denkproblem per se, sondern ein strukturelles und organisatorisches Problem. Ich bin überzeugt, dass es klare Strukturen braucht. In den Gründerjahren funktionierte Transa teilweise basisdemokratisch, heute bilden wir entlang der Prozesslogik Teams, worin sich die Leute in dynamischen Rollen, statt in statischen Funktionen bewegen können. Übrigens entspricht dies auch der neurologischen und biologischen Funktionsweise des Menschen. Dazu gibt es wegweisende Forschungsberichte. Ebenso bin ich daran, sinnstiftenden Purpose in den Vordergrund zu rücken. Dies gibt im Alltag Orientierung und erhöht das Engagement enorm. Ich hoffe deshalb, die unseligen Zielvereinbarungen schrittweise abzulösen. Wer denkt denn am Morgen beim Aufstehen an die Zielvereinbarung? Abgesehen davon betrachte ich emotionale und soziale Kompetenzen gleichwertig wie intellektuelle und analytische Fähigkeiten.
Sie waren kürzlich auch im ZGP-Circle, einem exklusiven HR-Netzwerk, zu Gast. Ihre Expertise scheint also auch im HR-Bereich auf grosses Interesse zu stossen. Sind Führungsthemen für Sie überhaupt HR-Themen?
Würde ich in Ihrem Magazin diese Frage mit Nein beantworten, würde mir wohl keine HR-Leitung in der Schweiz je wieder einen Job geben (lacht). Solange sich das HR hierarchisch in die alte Struktur einordnet, steckt es in einem Dilemma. HR war viel zu lange der verlängerte Arm der Konzernleitungen, das im Sinne von Henry Fords Bonmot agierte: «Immer wenn ich nach zwei Händen frage, kommt auch noch ein Kopf, der denkt.» Heute wollen die Firmen und HR immerhin schon die Hände inklusive denkenden Kopfes. Man hat erkannt, dass die Mitarbeitenden vernetzt denken und Verantwortung übernehmen sollen, wenn man aus dem lähmenden Silodenken ausbrechen will. HR fördert Talente und Potenziale immer aus dem Blickwinkel des Arbeitgebers. Das ist, wie wenn ich eine Pflanze ins Gewächshaus stelle und ihr zwar erlaube sich zu entfalten, aber nur immer soweit es meinen Vorstellungen entspricht, sonst droht der Ausschluss aus dem Gewächshaus. Unter dieser drohenden Angst ist eine echte freie Entfaltung der vollen Potenziale der Mitarbeiter so gar nicht möglich. Aus meiner heutigen Sicht sind Führungsthemen weder ein exklusives Privileg von CEO und Verwaltungsrat noch vom HR. Da jede Führungsrolle individuell und komplex ist, muss sie aus einem Prozessbedürfnis heraus in sinnvoller Abstimmung mit den anderen Rollen beurteilt werden. Wenn man die Talente und Potenziale der Mitarbeiter wirklich fördern möchte, um im digitalisierten Zeitalter mit disruptiven Veränderungen umzugehen, oder als Firma sogar Vorreiter sein möchte, dann braucht es ein integrales Bewusstsein über Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität. Führung ist kein Job und keine Funktion. Führung ist eine Haltung. Das kann man als Chef oder als HR nicht verordnen aber den Nährboden schaffen, dass eine solche Kultur entstehen kann.
Zur Person
Daniel Humbel wächst in einer Expat-Familie im Libanon auf. Nach Abschluss einer Handelsschule und dem Berufseinstieg bei einer Bank entscheidet er sich für ein Aussteigerleben. Der Bruch mit Konventionen und der Drang nach Selbstbestimmung führen ihn zehn Jahre lang auf lange Reisen rund um die Welt, wobei er verschiedenste Jobs ausübt.
Unter anderem im Gewürzhandel, woraus seine erste Firmengründung entsteht. Mit seinem Bruder gründet er weitere Firmen im Foodhandel. Nach einem Konkurs baut er 2007 für eine Tochterfirma von Transa das Schweizer Franchising-Geschäft der Jack Wolfskin Stores aus und wird vier Jahre später CEO von Transa. Dabei gelingt es ihm, beim schlingernden Outdoor-Retailer einen Turnaround herbeizuführen.
Vor Ihrem Engagement als CEO von Transa waren Sie selbständiger Unternehmer. Warum sind Sie überhaupt bei Transa eingestiegen?
Das Reisen war für mich zwischen 20 und 30 der einzige Weg, aus Konventionen, gesellschaftlichen Zwängen und alten Rollenbildern auszubrechen. So ist es nicht verwunderlich, dass mich mein Weg vor knapp 30 Jahren in den ersten kleinen Transa-Laden führte, wo ich lustigerweise bereits mein erstes Jobangebot erhielt, das ich damals jedoch ablehnte. 2007 wollte ich nach mehrjähriger Selbständigkeit und einem Konkurs ein Timeout einlegen. Mit 40 Jahren hatte ich damals ein Universum an Eindrücken in meinem Rucksack, die mich geprägt haben, und mich interessierte, in dieser Vielfalt die Ruhe, die Einfachheit und die Zufriedenheit zu entdecken. In dieser Zeit ist einer meiner ehemaligen Kontakte bei Transa mit einem Jobangebot auf mich zugekommen. Man fragte mich, ob ich in einer damaligen Tochterfirma einsteigen wolle, die in der Schweiz das Masterfranchising für die Jack Wolfskin Stores betreute. Meine Aufgabe: das Masterfranchising neu zu verhandeln und das Ladennetz innert drei Jahren von fünf auf 15 Filialen auszubauen. Sie wollten mir das als Teilzeitjob mit einem 70-Prozent-Pensum schmackhaft machen. Ich war mir sicher, dass dies kein Teilzeitjob wird, und habe mich anfänglich vehement verweigert, da ich keinen 140-Prozent-Job wollte. Sie haben mich aber drei Monate lang bearbeitet. Irgendwann sagte ich dann doch zu. Entscheidend war die Neugier, in die Funktionsweise einer Weltmarke wie Jack Wolfskin einzutauchen und dabei gleichzeitig in der vollen Abhängigkeit von Transa als lokalem Retailer zu stehen. Das war eine prickelnde Herausforderung und ich witterte eine einmalige Chance, dabei genügend Freiraum zu haben, um mich persönlich mit meinen Talenten und Potenzialen weiterzuentwickeln. Nachdem ich während drei Jahren die Anzahl der Jack-Wolfskin-Filialen verdreifacht hatte, wollte ich wieder etwas kürzer treten und plante mit einem Kollegen ein Jobsharing. Doch zwei oder drei Monate vor der Umsetzung dieses Vorhabens hat man sich bei Transa von meinem Vorgänger getrennt. Der Verwaltungsrat fragte mich, ob ich diese Aufgabe übernehmen wolle. Ich hatte sehr grossen Respekt vor dieser Herausforderung und durchlief einen langen Entscheidungsprozess von mehreren Wochen. Auch wenn wir in ruhigerem Gewässer gewesen wären, hatte ich ja noch nie einen so grossen Tanker gesteuert und wollte ja auch nie Karriere machen. Es waren einige Nacht-Kajakfahrten auf dem See nötig, bei denen ich mit dem Schicksal in heftigem Dialog und Disput trat. Einer der entscheidenden Faktoren für die Zusage waren die Menschen, die bei der Transa die Kultur prägen und leben. Ich wusste, dass viele eine solche Reise mitmachen würden.
Worauf sind Sie rückblickend besonders stolz?
Dass wir die Transa-Kultur bewahren und sogar stärken konnten, trotz all den teilweise massiven Veränderungen. Als ich 2011 die Verantwortung bei Transa übernehmen durfte, standen wir wirtschaftlich in einer sehr heiklen Phase. Diverse externe Faktoren wurden plötzlich unberechenbar. Neben dem aufblühenden Online-Handel drückten grosse Player in den ehemaligen Nischenmarkt, was in der Branche zu Konsolidierungen führte. Zudem mussten wir mit der zweiten Währungskrise umgehen. Auch intern standen mehrere Reorganisationen an. Komplizierte und schwerfällige Prozesse mussten radikal neu aufgesetzt werden. Mit der Expansion in den 3000m2-grossen Laden an der Zürcher Europaallee ergab sich quasi über Nacht eine Verdoppelung der Lagervolumen und des Liquiditätsbedarfs, aber auch der Mitarbeiterzahl und deren Schulungen. Dies alles mit ungenauen Kennzahlen und ohne Reporting. Da brauchte es viel Intuition und das Vertrauen in eine gemeinsame Vision. Ich habe grossen Respekt vor all den vielen Mitarbeitern, die diese Philosophie mittragen. Es ist die Leidenschaft und die Sinnhaftigkeit im täglichen Tun, die verbinden. Es freut mich zu sehen, dass ein integrales Verständnis des Menschen und ökonomischer Erfolg sich ergänzen.
Welche Bilanz ziehen Sie nach sechs Jahren als CEO von Transa?
Die aktuellen technologischen Veränderungen haben tiefgreifende systemische Auswirkungen auf die Wirtschaft, aber auch auf die Gesellschaft. Es braucht deshalb eine umfassende Sicht auf die Einheit in der Vielfalt. Das betrifft sowohl die Menschheit als auch den Kosmos. Dazu müssen wir den Menschen wieder vollständig einbinden. Je klarer die Mitarbeiter mit diesen Veränderungen einen Umgang finden, umso kreativer und effizienter werden sie diese Kompetenz auch im Arbeitsalltag einsetzen. Der wirtschaftliche Erfolg wird so fast automatisch folgen.