Dynamik im Team

Führung ist nicht einseitig

Führungsentwicklung konzentriert sich häufig auf den Aufbau individueller Kompetenzen der Führungskraft. Dabei geht aber oft vergessen, dass sich Führung zwischen Führenden und Geführten abspielt. Systemische Führungsentwicklung trägt der Dynamik dieser Beziehung Rechnung.

Wer Führungsentwicklung konzipiert, kommt nicht umhin, sich zum Lerninhalt Gedanken zu machen. Ein naheliegender Ansatz dafür ist es, sich von den Persönlichkeiten und Kompetenzen erfolgreicher Führungskräfte inspirieren zu lassen. Die Literatur dazu ist umfangreich und es finden sich ganze Inventare erstrebenswerter Kompetenzen. Beispiele dafür, die sich auch im Curriculum vieler Führungsausbildungen niederschlagen, sind: Ziel-, Ergebnis- und Handlungsorientierung, Strategisches Denken, Lernfähigkeit, Selbstmanagement, Konfliktmanagement, und viele mehr.

Natürlich muss, wer führen will, über einen gut mit Führungswerkzeugen und -fähigkeiten gefüllten Rucksack verfügen. Der Fokus auf die Kompetenzen allein soll aber nicht dazu verleiten, dass Führung als ein ausschliesslich in der Person der Führungskraft liegender Vorgang verstanden wird. Dann ginge die simple Feststellung vergessen, dass es für Führung immer zwei braucht: Führende und Geführte. Sie bedingen sich gegenseitig und die Herausforderung guter Führung ist es, dieses Wechselspiel erfolgreich zu gestalten.

Fallbeispiel

Hierzu ein Beispiel: im Rahmen einer jährlichen Performance Review wird einem Innendienst-Mitarbeiter mitgeteilt, dass er zwar seine Jahresziele erreicht habe, seine persönlichen Werte aber aus Sicht des Unternehmens ungenügend seien. In der Folge nimmt das Engagement des Mitarbeiters merklich ab. Er scheint nur noch «Dienst nach Vorschrift» zu leisten. Die Vorgesetzte bemüht sich um konstruktives, strukturiertes Feedback – eine Kompetenz, welche sie zuvor in einer Führungsschulung gelernt hat. Doch positive Äusserungen quittiert der Mitarbeiter mit Zynismus und kritisches Feedback fasst er nur als weiteren Angriff auf.

Im Rahmen eines Coachings analysiert die Vorgesetzte schliesslich die Beziehung zum Mitarbeiter. Sie vermutet, dass sie sich mit dem Urteil über seine Werte, aus der Sicht des Mitarbeiters, in eine moralisch übergeordnete Position begeben hat. Jedes weitere Feedback – auch wenn es noch so wohl formuliert ist – versteht der Mitarbeiter nur noch aus dem Blickwinkel dieser Beziehungsdefinition. Für ihn klingt es immer nach «ich hier oben und du dort unten». Erst als die Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter darüber zu sprechen beginnt, klärt sich die Beziehung und die frühere Motivation und Begeisterung kehren langsam zurück.

Drei Folgerungen

Das Beispiel verdeutlicht dreierlei: Erstens wird klar, dass Führung nicht einseitig ist; sie ist keine einfache Ursache-Wirkung-Relation, in welcher die Führungskraft agiert und die Geführten reagieren. Vielmehr lässt sich diese und jede andere Führungskonstellation als System – als Netzwerk – verstehen, in welchem sich die Akteure auf unterschiedliche Weise gegenseitig beeinflussen. In solchen Systemen gibt es sich selbst verstärkende Kreisläufe genauso wie regulierende Rückkopplungen. Hier liesse sich ein solcher (Teufels-) Kreislauf beschreiben als: die Vorgesetzte gibt Feedback zu den Werten des Mitarbeiters; dieser fühlt sich dadurch abgewertet, was sich auf seine Motivation auswirkt; die Vorgesetzte versucht den Mitarbeiter durch konstruktives Feedback zu motivieren; dieser versteht das Feedback als weiteren Angriff auf seinen Selbstwert, wodurch seine Motivation weiter sinkt usw.

Zweitens fällt auf, dass das Verhalten beider Beteiligten an die ganz konkrete Situation gebunden ist. In dieser griff das Feedback zunächst nicht, nach der Klärung hingegen schon. Führungsinstrumente sind also immer situativ einzusetzen.

Drittens bedurfte es zur Lösung des Konfliktes eines klärenden Gesprächs. Beide begannen darüber zu sprechen, wie sie miteinander kommunizieren. Im kommunikationspsychologischen Jargon ausgedrückt: sie betrieben Metakommunikation. Ein eindrückliches Beispiel für die Bedeutung von Metakommunikation ist der Einsatz psychometrischer Inventare (Myers-Briggs / Insight Discovery etc.). Diese beabsichtigen, individuelle Verhaltenstypen im Team sichtbar zu machen und so zur verbesserten Zusammenarbeit beizutragen. Entsprechende Workshops lösen auch meist einen «Aha-Effekt» aus und Teams erleben sich im Nachgang effektiver.

Allerdings stellt sich die verbesserte Zusammenarbeit nicht schon dadurch ein, dass jeder seinen Typ kennt. So schätzen Teams, welche sich über die individuellen Resultate austauschen, die Inventare als wesentlich förderlicher ein als Teams in welchen ein solcher Austausch nicht stattfindet. Wir ziehen daraus den Schluss, dass es gar nicht so sehr das Resultat des Inventars ist, das die Zusammenarbeit stärkt. Vielmehr ist es das Gespräch darüber, wie man sich selbst, die anderen und die daraus entstandene Beziehung sieht. Wir beobachten dort nachhaltig effektive Teams, wo Führungskräfte diesen Dialog kontinuierlich fordern und fördern.

Wechselspiel

Wie sieht nun Führungsentwicklung aus, die dem Systemcharakter der Führung Rechnung trägt? Zunächst einmal anerkennt sie, dass Führung nicht eine einseitige Kompetenz oder Fähigkeit der Führungskraft, sondern ein Wechselspiel zwischen Führenden und Geführten ist. In Fallstudien, Rollenspielen, aber auch in der Vermittlung von Führungsinstrumenten werden Führungskräfte immer wieder auf die Dynamik zwischen den Systemteilen sensibilisiert. Eine wichtige Frage ist hier: wie bedingen sich die an der Situation Beteiligten gegenseitig? Sodann macht entsprechende Führungsentwicklung auf den situativen Charakter von Führung aufmerksam. Sie zeigt auf, dass kein Führungsinstrument immer und in allen Situation einsetzbar ist. Schliesslich schult sie Führungskräfte darin, das Gespräch über das System zu führen. Sie lehrt Metakommunikation.

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Konstantin von Schulthess

Konstantin von Schulthess ist Chief Financial Officer von CDR-Life Inc.

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