«Gegen Mobbing ist niemand gefeit»
Wird eine Person gemobbt, hat das nicht nur massive Auswirkungen auf die betroffene Person. Das Betriebsklima kann darunter leiden, zudem sind die wirtschaftlichen Kosten enorm. Doch was genau ist Mobbing und wie geht man bei Mobbing vor?
Wer gemobbt wird, kann für längere Zeit arbeitsunfähig werden. (Bild: Keystone)
Die Kosten, die durch Mobbing verursacht werden, sind enorm. Davon betroffen sind nicht nur die Betriebe, in denen gemobbt wird, sondern die gesamte Volkswirtschaft, allen voran das Gesundheitswesen. Die Kosten in der Schweiz werden auf über vier Milliarden Franken jährlich geschätzt. Wer von Mobbing betroffen ist, leistet weniger und wird häufiger krank oder arbeitsunfähig. Doch auch die Mobber verschwenden einen Grossteil ihrer Arbeitskraft für ihre bösartigen Machenschaften, schreibt Imtraud Bräunlich Keller im Beobachter-Ratgeber «Mobbing - so nicht!». Durch Sitzungen und Gespräche, mit denen man das Mobbingproblem lösen will, geht ebenfalls Arbeitszeit verloren. Hinzu kommen die Kosten für Entlassungen, Neuanstellungen und Umstrukturierungen. «Nur schon aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen kann es sich also keine Firma leisten, Mobbing zu dulden», heisst es im Beobachter-Buch.
Was ist Mobbing?
- Unter Mobbing versteht man Feindseligkeiten, negative, unfaire Handlungen und Verhaltensweisen von Personen oder Gruppen.
- Diese Handlungen sind gegen eine bestimmte Person oder Gruppe gerichtet
- sie kommen immer wieder, systematisch und absichtlich über einen längeren Zeitraum vor
- Die Handlungen werden von der betroffenen Person als feindselig, demütigend oder verletzend erlebt
- Die betroffene Person wird damit nicht aus eigener Kraft fertig.
Der deutsch-schwedische Arbeitspsychologe Heinz Leymann unterscheidet fünf Arten von Mobbinghandlungen:
- Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen
nicht reden lassen, ständig unterbrechen, anschreien, ständige Kritik, Telefonterror, Drohungen, Kontaktverweigerung - Angriffe auf die sozialen Beziehungen
nicht mit dem Betroffenen sprechen, Versetzung an einen abgelegenen Arbeitsplatz, wie Luft behandeln - Angriffe auf das soziale Ansehen
Gerüchte verbreiten, lächerlich machen, schlechtreden, sich über den Betroffenen lustig machen, beschimpfen, sexuelle Annäherungen, abschätzige Bemerkungen, blossstellen - Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
Entziehen von Aufgaben, sinnlose Aufgaben geben, schikanöse oder erniedrigende Arbeiten, ungerechtfertigte Kritik an Arbeitsweise und Leistung - Angriffe auf die Gesundheit
Tätlichkeiten, Androhung körperlicher Gewalt, zu gesundheitsschädigender Arbeit zwingen, körperliche Misshandlung, sexuelle Übergriffe
Kommen solche Handlungen mindestens einmal pro Woche und seit mindestens einem halben Jahr vor, handelt es sich gemäss Leymann um Mobbing.
Gründe für Mobbing:
- Mangelhafte Strukturen, ohne klare Pflichthefte und Kompetenzverteilungen
- Leistungs- und Kostendruck, führt zu Konkurrenzdenken
- Neid und Eifersucht
- Inkompetente oder unsichere Chefs, die sich von fähigen Mitarbeitern in ihrer Autorität bedroht fühlen (Bossing)
- Ablenkungsmanöver: Um von ihrer eigenen (schlechten) Leistung abzulenken, machen Mobber andere fertig
- Mobbing von Führungskräften, wenn Gruppe anderen Vorgesetzten wünscht oder Untergebener selber gern Chef wäre
- Folge schlecht durchgeführter und kommunizierter Veränderungsprozesse
Beim Mobbing geht es nie darum, einen Konflikt zu lösen, schreibt Imtraud Bräunlich Keller. Die andere Partei soll niedergemacht und ausgeschaltet werden. Schuld trägt aber nicht nur der Mobber selbst. Verantwortung tragen auch alle Kollegen sowie die Vorgesetzten, die schweigend zusehen, ohne etwas zu unternehmen.
Wer wird gemobbt?
Schätzungen gehen davon aus, dass in der Schweiz knapp 100’000 Erwerbstätige sich als Mobbingopfer sehen. Gemäss einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) aus dem Jahr 2002 sind Männer und Frauen gleichermassen Opfer von Mobbing. Bezüglich Alter, Bildung oder beruflicher Position zeigten sich keine bedeutenden Unterschiede. 51 Prozent der Täter waren Vorgesetzte, 16 Prozent Kollegen und 13 Prozent Untergebene. Täter sind überdurchschnittlich oft Männer in Vorgesetzten-Positionen, die ihre Macht missbrauchen und Untergebene schikanieren. Besonders oft kommt es mit einem Chefwechsel zu Mobbing.
Gastgewerbe und Gesundheitsförderung sind etwas häufiger von Mobbing betroffen als andere Branchen. Personen, die sich in irgendeiner Form von ihren Kollegen unterscheiden, werden eher zu Mobbingopfern. So werden Behinderte und Ausländer besonders häufig gemobbt - Ausländer gar doppelt so häufig wie Schweizer. Gibt es in einer Gruppe nur eine Frau unter lauter Männern, kann sie ebenfalls Mobbingopfer werden, ebenso ein älterer Mitarbeiter unter jungen Teamkollegen, die besonders Attraktive unter Durchschnittstypen, der besonders Tüchtige oder Personen, die auf Missstände im Unternehmen hinweisen (Whistleblower). Fazit von Imtraud Bräunlich: «Gegen Mobbing ist niemand gefeit.»
Auswirkungen des Mobbings auf das Opfer
Die feindseligen Angriffe werden für ein Mobbingopfer zur unerträglichen Belastung. Das Selbstwertgefühl leidet und mit der Zeit auch die Gesundheit: Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Depressionen, Selbstmordgedanken bis hin zur völligen Arbeitsunfähigkeit. Da Mobbing nicht auf einer Logik beruht, beginnen die Opfer sich selbst zu hinterfragen und nach Lösungen zu suchen. Betroffene fühlen sich ohnmächtig und erniedrigt. Mobbing belastet auch das Umfeld des Opfers.
Wie vorgehen?
Patentrezepte gegen Mobbing gibt es nicht. Bräunlich empfiehlt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, qualifizierte Beratungsstellen aufzusuchen - und zwar rasch. «Je länger die Schikanen dauern, umso schwieriger wird es, aus eigener Kraft gegen die Mobber vorzugehen», heisst es im Beobachter-Ratgeber. Patentrezepte gibt es nicht, vor allem nicht gegen wirkliche Bosheit.
Wie können Firmen Mobbing vermeiden
Führungskräfte spielen beim Entstehen von Mobbing eine entscheidende Rolle. Eine der Hauptursachen dafür, dass sich Mobbing in einem Betrieb etablieren und ausbreiten kann, liegt im Versagen der Chefs. Meist schauen sie nicht aus Bösartigkeit weg, sondern aus Überforderung, Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit. Doch wird Mobbing ignoriert statt ausgeschaltet, kommt es zu weiteren Konflikten, auch Vorgänger oder Nachfolger der Mobbingbetroffenen können ebenfalls wieder gemobbt werden.
Mobbing vergiftet das Betriebsklima und beeinträchtigt die Motivation. Dadurch entstehen den Firmen immense Kosten.
Pflichten des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber ist rechtlich verpflichtet, «die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen» (Art. 328 OR). Auch im Arbeitsgesetz wird der Arbeitgeber verpflichtet, «die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmer» zu garantieren. Das heisst konkret, dass ein Arbeitgeber Mobbing nicht dulden darf. Er muss Mobbing in seinem Betrieb verbieten, allfällige Mobber zur Rechenschaft ziehen und Massnahmen ergreifen, um ein Mobbingopfer vor weiteren Übergriffen zu schützen. Das fällt in seine Fürsorgepflicht.
Mobbingprozesse werden gemäss Imtraud Bräunlich durch folgende Faktoren begünstigt:
- Diffuse oder ständig ändernde Ziele
- Mangelhafte oder unvollständige Information der Mitarbeiter
- Unklare Verantwortlichkeiten und Kompetenzverteilungen
- Unklare Arbeitsteilung
- Autoritärer Führungsstil
- Übertriebene Kontrolle, wenig Eigenverantwortung der Mitarbeiter
- Dulden von informellen Seilschaften, Absprachen hinter den Kulissen
Für Firmen lohnt es sich daher, die Arbeitsorganisation auf Elemente hin zu überprüfen, die Mobbing begünstigen können.
Wichtig sind zufriedene Mitarbeiter. Wer zufrieden ist, mobbt nicht, ist gesünder und richtet die Energie auf die Erfüllung der Ziele. Deshalb lohnt es sich, die Zufriedenheit der Mitarbeiter im Auge zu behalten. Dabei hilft ein regelmässiger Dialog mit den Mitarbeitern, eine offene Gesprächskultur und ein transparenter Informationsfluss. Standardisierte Befragungen und Mitarbeitergespräche können die allgemeine Zufriedenheit der Angestellten erfassen. Bei kritischen Feedbacks müssen Massnahmen zur Verbesserung folgen.
Weiter empfohlen wird ein schriftliches Leitbild, in dem fairer und respektvoller Umgang verankert sind. Auch soll klar gemacht werden, dass Mobbing, sexuelle Belästigung, Diskriminerung und ähnliches nicht geduldet wird. Zudem müssen alle Mitarbeiter über dieses Leitbild informiert werden.
Fühlen sich Mitarbeiter belästigt oder schikaniert, müssen sie wissen, wohin sie sich wenden können, sie brauchen eine Anlaufstelle. Dabei müssen die Gespräche absolut vertraulich behandelt werden.
Bei Problemen sollen Vorgesetzte nicht wegschauen, sondern eingreifen und dabei nicht gleich in ein Opfer-Täter-Schema fallen. Vorgesetzte sollten allen Beteiligten die Möglichkeit geben, ihre Sicht der Dinge zuerst einzeln, dann im gemeinsamen Gespräch darzustellen. So lässt sich eine Eskalation am besten vermeiden. Wenn Schlichtungsversuche nicht wirken, muss der Mobbende energisch in die Schranken gewiesen werden.
Bei komplexen Konflikten können externe Berater bei der Lösung helfen.
So können Vorgesetzte vorbeugen und richtig reagieren
- Neue Mitarbeiter gründlich einarbeiten, Götti zur Verfügung stellen, der bei der Integration hilft
- Für eine offene Gesprächskultur sorgen, in der Probleme angesprochen werden können
- Erwartungen klar und unmissverständlich formulieren
- Früh und offen über anstehende Massnahmen und deren Konsequenzen informieren
- Bei Qualifikationsgesprächen nach dem Wohlbefinden und der Zufriedenheit der Mitarbeiter fragen
- Mitarbeitende bei Anzeichen von Spannungen direkt ansprechen
- Klagen wegen Mobbings oder sexueller Belästigung ernst nehmen und für eine unparteiische Untersuchung sorgen
- Klarmachen, dass Mobbing nicht geduldet und konsequent dagegen vorgegangen wird
- Massnahmen treffen, um Mobbingopfer vor weitere Blossstellung oder Vergeltung schützen, etwa durch räumliche Versetzung
- Täter und Opfer nach Lösungen suchen lassen
- Fachperson beiziehen, wenn sich Konflikt nicht lösen lässt
- Bei Kündigung Austrittsgespräch führen, nach Betriebsklima fragen
Mobbingprävention
Julia Weber ist Gründerin und Leiterin der seit 1996 in Zürich bestehenden Fachstelle für Konfliktlösung und Mobbingprävention. Zur Prävention sagt sie: «Mobbingprävention ist wichtig, denn neben der Verpflichtung eines Arbeitgebers gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung vorzugehen, gehört auch die Bemühung um faire Kommunikation und Konfliktbearbeitung in die Verantwortung eines Arbeitgebers - deren Unterlassungen können strafbar sein.
Wo verschiedene Menschen zusammen kommen gibt es unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf die Herangehensweise an die Arbeit und das persönliche Verhalten. Von Führungsleuten ist psychosoziale Kompetenz und emotionale Intelligenz gefordert, sowie eine gute Zusammenarbeit mit den Personalverantwortlichen.
Es braucht ausserdem klare Richtlinien, was geht und was nicht: Generell, was gehört zum professionellen Umgang auch im Grenzbereich hin zum Persönlichen oder Privaten. Gelebte Feedbackkultur und offenes, faires Kritikverhalten sind wichtig.
Doch wie ist vorzugehen, wenn es in den Bereichen zu Problemen kommt? Was, wenn es wiederholte Beschwerden, häufige Kündigungen gibt, oder wenn bereits Mobbingvorwürfe im Raum stehen? Vorgesetze waren selten in den von Mitarbeitenden beschriebenen Situationen mit dabei, und sie können auch keine Schiedsrichterrolle übernehmen.
Auch bereits bestehende Mobbingreglemente sind im konkreten Konfliktfall nicht immer leicht umsetzbar und interne Sozialberatungsstellen, oder Mobbingstellen, sofern überhaupt vorhanden, können ebenfalls nicht jede Situation entschärfen.
Wie also sollen Vorgesetzte und Personalfachleute ihre Verantwortung wahrnehmen?
Hier unterstützt die Fachstelle für Konfliktlösung und Mobbingprävention Führungs- und Personalverantwortliche bei der Klärung von Vorfällen und hilft bei der Erarbeitung von geeigneten Massnahmen. Von zentraler Bedeutung ist die gemeinsame Überprüfung der bestehenden Führungsinstrumente. Hier kann auch im Voraus durch weise Voraussicht und durch klare Strukturen eine positive Kommunikationskultur gefördert und im Bereich der Konfliktklärung und der Mobbingprävention sehr viel getan werden. Nicht zuletzt werden Zeit und Kosten gespart, indem das Risiko für mögliche Gerichtsfälle enorm sinkt. Ein professioneller Umgang mit Konflikten lohnt sich also auch in dieser Hinsicht.»
Anlaufstelle
Fachstelle für Konfliktlösung und Mobbingprävention
Mobbing-Erstberatungsstelle für Frauen und Männer, M.E.B.
Seefeldstrasse 27, 8008 Zürich
Tel: 044 261 49 77; Fax: 044 380 11 57
E-mail: meb@flexibles.ch; www.mobbing-beratung.ch
Quelle
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