Gesucht: «Senior» ohne Erfahrung
Wer eine Stelle sucht, der kann was erleben. Im Positiven wie auch im Negativen. Nach längerer Stellensuche ist Gastautorin Nadine Haldemann heute in der Personalberatung tätig und blickt auf ihre noch frischen Erfahrungen als Jobseeker zurück. Von unfreiwilliger Komik, Floskeln und der verflixten Technik. Ein Kommentar.
Machmal entspricht die imagetechnisch aufbereitete Beschreibung der Firmenkultur wohl doch nicht der Realität. (Bild: 123RF)
Besonders die negativen Erlebnisse füllen den Vorrat an Anekdoten, die an Netzwerk-Anlässen helfen, Kontakte zu knüpfen. Die positiven helfen, auch in schwierigen Situationen optimistisch zu bleiben.
Positiv waren für mich in erster Linie die spannenden und inspirierenden Vorstellungsgespräche, die ich führen durfte. Auch wenn sie nicht immer zu einer Anstellung geführt haben, so erhielt ich doch wichtige Informationen für meine weitere Suche. Gerade in einer Zeit, in der ich nur wenige Möglichkeiten hatte, meine eigene Wahrnehmung anhand von Reaktionen anderer zu prüfen, war dies besonders wertvoll. Hier halfen mir auch persönlich erläuterte Absagen weiter, mit dem Nebeneffekt, dass ich mich trotz allem wertgeschätzt fühlte. Positiv war auch die steile Lernkurve, die ich durch meine täglichen Recherchen zu verschiedensten Unternehmen und Branchen durchlief.
Der Unterhaltungswert der negativen Erlebnisse ist aber bei weitem grösser. Besonders die standardisierten Absagen im Sinne von «Kandidaten, die dem gesuchten Profil besser entsprechen» zeugen nicht in jedem Fall von einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem eingereichten Dossier. Solche Absagen habe ich gelegentlich auch erhalten, wenn ich fast sämtliche im Profil beschriebenen Anforderungen erfüllte und wenigstens mit einem Telefoninterview gerechnet hatte. Aber auch verschiedene Formen der Floskel «nach eingehender Prüfung Ihrer Unterlagen» finden sich in den meisten Absagebriefen – einmal sogar in einem Mail, das ich zwei Stunden nachdem ich die Bewerbung eingereicht hatte, erhielt. Da wusste ich dann gleich, dass die imagetechnisch aufbereitete Beschreibung der Firmenkultur wohl doch nicht der Realität entsprach.
Das gesuchte Profil so zu umschreiben, dass es allgemein verständlich ist, ist kein einfaches Unterfangen – das ist mir klar. Und auch die Bezeichnung von Funktionen ist ein Thema, über das sich einiges sagen und schreiben liesse. Als ich aber auf eine Bewerbung für eine explizit mit «Senior» präzisierte Position die Antwort erhielt, dass man sich bewusst auf Kandidaten ohne Berufs- oder Lebenserfahrung fokussiere, konnte ich mir eine spitze Entgegnung nicht verkneifen. Immerhin hätte das Weglassen des Begriffs Senior sowohl hoffnungsvollen Kandidaten wie auch der Personalabteilung einiges an Arbeit erspart.
Mein Galgenhumor wurde gelegentlich auch durch Hürden geweckt, die mir die Technik in den Weg stellte. Obwohl nicht «Digital Native», komme ich mit PC, Internet und Co sonst gut zurecht. Die Datenbanken der grossen Firmen bergen jedoch ihre Tücken. Sie sind rigorose Torhüter, die kein falsches Wort durchlassen. So habe ich gelernt, die richtigen Stichworte an der richtigen Stelle in meinen Unterlagen zu platzieren, um die Algorithmen zu passieren. Die Individualität hats an dieser Stelle schwer. So musste ich meine sorgfältig aufbereiteten Unterlagen immer wieder bis zur Unkenntlichkeit komprimieren, weil das Upload-Volumen nicht annähernd ausreichte.
Besonders schwierig wurde es bei der einen Firma, in deren System eine fast zehnjährige Bewerbung von mir hinterlegt war, die ich weder löschen noch überschreiben konnte. Abgesehen von der Datenschutz-Thematik hatte ich seither viel an Berufserfahrung gesammelt und eine Weiterbildung gemacht. Bevor ich der zuständigen Personalfachfrau dies mitteilen konnte, erhielt ich bereits eine Absage – «nach reiflicher Prüfung».
Mein Favorit bei den technischen Hürden ist allerdings das Video-Interview, zu dem ich kurz vor Ende meiner Suchphase eingeladen wurde. Bevor ich die entsprechende Software herunterladen konnte, musste ich einen bestimmten Web-Browser installieren, wofür ich erst noch einige Updates auf meinem Computer machen musste – so weit, so mühsam. Danach konnte ich einen Test durchführen, der technisch einwandfrei ablief. Beim eigentlichen Videointerview sah ich statt eines Gegenübers mich selber vor dem Bildschirm sitzen – für mich eine höchst irritierende Gesprächssituation. Ab der dritten Frage stieg die Technik dann aus und ich sah nur noch ein Standbild von mir. Unsicher, ob die Aufnahme dennoch funktionierte, konnte ich mich nur noch schwer auf die zu beantwortenden Fragen konzentrieren. Am Ende war für mich klar, dass dieser Rekrutierungsprozess für mich hier endet. Doch auch da hatte ich mich getäuscht: Ich kam doch noch zum Interview bei der Linie.
Trotz aller unfreiwilliger Komik solcher Erfahrungen möchte ich daran erinnern, dass Personalverantwortliche eine wichtige Visitenkarte eines Unternehmens sind. Und auch Kandidaten, die aktuell auf Stellensuche sind, können über kurz oder lang wieder in einer Position sein, die für die erfolglos beworbene Firma wichtig ist. Wer auf Stellensuche ist, reagiert empfindlicher als üblich auf mangelnde Wertschätzung und ist umso empfänglicher für einen fairen Umgang.