HR-Superhelden gibt es nicht
Von HR-Abteilungen erwarten wir oft zu viel. In manchen Köpfen sollen sie für alles zuständig sein, was mit dem Menschen in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer zusammenhängt.
(Illustrationen: Playmobil)
Der Blick in die Realität der Zuständigkeiten von HR-Abteilungen belehrt uns schnell eines Besseren. Gewiss: Sie wirken mit bei der Personalgewinnung, klären ab, wie jemand ins Lohngefüge eingeordnet wird, beteiligen sich an Entscheidungen, wer wie aus- und weiterzubilden ist, entwerfen Beurteilungs-, Arbeitszeit-, Anreiz- und Laufbahnsysteme und bearbeiten den Trennungsprozess von Arbeitnehmern.
Zerrbild HR-Superman und HR-Superwoman
Viele HR-Aufgaben werden aber ausgelagert: Die Suche nach Spitzenkräften traut fast niemand internen Personalspezialisten alleine zu. Analog verhält es sich beim Outplacement. Viele Mitarbeiterbefragungen werden extern durchgeführt. Bei arbeitsrechtlichen Problemen kommt rasch der Vorschlag, extern Rat zu suchen.
Weitere Personalaufgaben werden von anders unterstellten Organisationseinheiten wahrgenommen. Dazu gehören sicher Datenschutzbeauftragte, manchmal das Lehrlingswesen, gewisse Sozialdienste, Arbeitsschutz und -sicherheit, das Ideenmanagement, die Betriebskommissionen und häufig die Pensionskassen.
Grossen Einfluss auf Personalentscheidungen üben auch Führungskräfte aus. Die Top-Ebene definiert meist die Personalstrategie, Fachvorgesetzte haben bei Einstellungen, Beurteilungen, Beförderungen und Entlassungen oft das entscheidende Wort.
Nun haben wir den HR-Superman, die HR-Superwoman auf ein menschliches Mass reduziert. Ein kühner Spruch wie «unsere Personalchefin ist für X-tausend Menschen zuständig» wird so relativiert und als Mythos entlarvt. Je komplexer das Unternehmen, umso weniger kann eine zentrale Personalabteilung kompetent und umfassend mitwirken.
Verwerkzeugung des HRM macht vollkompetent
Aber was können HR-Verantwortliche aus der Deutschschweiz? Dazu liefert die Dissertation von Kerstin Alfes an der Universität Bern eine empirische Antwort. Detaillierte Auskünfte von 414 HR-Chefs wurden umfassend statistisch ausgewertet. Vereinfacht gesagt, können wir festhalten: In der Eigenbeurteilung beherrschen die Befragten die HR-Kernprozesse sicher gut, auch in handfesten arbeitsrechtlichen Fragen fühlen sie sich sicher. Schon schlechter fällt die Eigenbeurteilung aus, wenn es um das Verständnis der Geschäftsprozesse geht. Die schlechtesten Noten geben sich Personalmanager, wenn es darum geht, ob sie bei strategischen Themen frühzeitig und überhaupt Einfluss nehmen können. Die obersten HR-Verantwortlichen halten sich also auch selbst nicht für Alleskönner.
Um dennoch ein ernstzunehmender Mitwirkender in der Geschäftsleitung zu sein, nutzt man gerne Instrumente, welche die Managementlehre und Beratungszunft hervorgebracht hat. Durch diese «Verwerkzeugung des HRM» wird manchmal der Mythos der Vollkompetenz gepflegt.
Feigenblatt Personalbefragungen
Beliebt sind die jährlichen Personalbefragungen. Sie werden oft extern und standardisiert durchgeführt. Die Personalchefs kommentieren dann die Hauptbefunde. Stolz wird berichtet, dass 80 Prozent der Belegschaft mit dem Arbeitgeber und ihrer Arbeit zufrieden seien. Über die Höhe des Anteils der «resignativ Zufriedenen» wird geschwiegen.
Auch geschieht das Ausfüllen der Fragebogen nicht immer unter korrekten Bedingungen. Oder die Drohung, dass schlechte Noten für den Arbeitgeber und den direkten Vorgesetzten sicher keine guten Auswirkungen für alle Beteiligten habe, stand implizit im Raum. Zuweilen hat man auch schon von «kollektiven Ausfüllübungen» gehört. Die Abnutzungsgefahr bei jährlichen Wiederholungen ist nicht von der Hand zu weisen. Der statistische Vergleich zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen wird den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Personalstrukturen nicht gerecht. So entsteht der Mythos eines objektiven Fieberthermometers für den Zufriedenheitszustand, den man auch noch inner- und überbetrieblich «benchmarken» kann.
Weiterbildungstage und Fehlzeiten
Die Balanced Scorecard gibt HR-Chefs die Chance, Kennzahlen einzubringen, die auf vergleichbarem Niveau wie jene ihrer Kollegen aus dem Finanz-, Marketing- und Prozessmanagement liegen. Ich greife zwei Beispiele heraus: Weiterbildungstage und Fehlzeiten. Es ist einfach, interne und externe formelle Weiterbildungstage mit Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu zählen. Schwerer und wichtiger ist es, den Lerntransfer am Arbeitsplatz und damit realisierte Produktivitätssteigerungen einzuschätzen. Dieser Transfer kann bei einem Coaching am Arbeitsplatz viel stärker ausgeprägt sein. Die HR-Abteilung hat dies in der Kennzahl «Weiterbildungstage» jedoch nicht erfasst. So entsteht der Mythos vom weiterbildungsfreundlichen Unternehmen, das viel für die Lernfähigkeit getan hat.
Im Betrieblichen Gesundheitsmanagement interessiert die Kennzahl «Fehlzeiten». Diese sind schon wegen hoher Personalkosten relevant. Fehlzeiten festzustellen und im Quer- sowie im Längsschnitt statistisch zu analysieren, genügt aber nicht. Fehlzeiten haben viele Ursachen: Krankheiten, Grippewellen, Mobbing, inakzeptable Führungsstile, Erkrankungen und Unfälle im Umfeld des Arbeitnehmers. Hier kann das HR durch Hintergrund- und Ursachenwissen punkten und einer simplen Arithmetik auf dem Niveau eines Primarschülers vorbeugen.
Gesunder Menschenverstand
Interne HR-Spezialisten können aber einen Mehrwert im Vergleich zum «Gesunden Menschenverstand» aller Fach- und Linienkräfte erbringen, wenn sie in den HR-Kernbereichen ein Expertenwissen haben, mit dem sie Personalentscheidungen in die sach- und menschengerechte Richtung lenken können.
Ein Beispiel: Der Weiterbildungsmarkt mit all seinen neuen Abschlüssen ist für viele Führungskräfte undurchschaubar. Kann ein interner Personalentwickler sie in ihrer Führungsverantwortung unterstützen, ist viel für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gewonnen. Diese Führungskraft fragt nicht mehr: «Was machen die eigentlich in der Personalabteilung – geht es nicht auch ohne diese Leute?»
An den Mythos der «Allkompetenz für Menschenthemen» im Unternehmen hat die gestandene Führungskraft ohnehin nie geglaubt. Aber wohldosierte Expertise in der Personalabteilung macht sie dankbar.