«Ich möchte deine Meinung hören, auch wenn du nicht entscheidest»

2020 wurden aufgrund der Pandemie 4 von 21 Filialen der Globetrotter Travel Service geschlossen. Wem die Kündigung überreicht wurde, regelten die Mitarbeitenden unter sich. Das sorgte für medialen Aufruhr. Weshalb regelten Sie das so?

André Lüthi: Es weht tatsächlich ein kühler Wind in der Reisebranche. Aber es ist wie am Nordpol: zieht man sich richtig an, ist man gewappnet. Stellen abzubauen ist jedoch immer schmerzhaft, vor allem, wenn keine falschen Unternehmensentscheide getroffen wurden. Es gibt aber verschiedene Wege, Kündigungen auszusprechen. In unserer grössten Unternehmenskrise entschloss sich die Geschäftsleitung der Globetrotter Travel Services, als eines von dreizehn Globetrotter-Unternehmen, neue Wege zu gehen und alle Mitarbeitenden anzuhören und gemeinsam mit ihnen nach Möglichkeiten zu suchen, um so viele Stellen wie möglich zu erhalten. Bei den Kündigungen war der CEO zudem in jedem einzelnen Team präsent und führte diese schwierigen Gespräche.

Sie haben bestimmt noch andere Führungsprinzipien …

Ja. Um das mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Wer einen Berg besteigt, hat ein Ziel: Er will zusammen mit dem Bergführer den Gipfel erreichen. Das ist in Unternehmen nicht immer so. Oft verfolgen Geführte und Führende ein anderes Ziel. Häufig weiss zwar die Führungskraft, wo sie hinwill, der Geführte aber nicht. Manchmal wissen es beide nicht oder nur der Geführte. Würden Führungskräfte mehr kommunizieren, wäre manches einfacher. Viele CEOs sehen aber nur den direkten Weg und haben die Anreize entsprechend gesetzt. Deshalb rennen viele Führungskräfte auf ihr Ziel zu und bemerken nicht, dass es – wie in einer Steinschlagsituation am Berg – für das Unternehmen gefährlich werden könnte und sie einen anderen Weg einschlagen sollten. Und schon gar nicht, ob noch alle dabei sind. Geführt zu werden – ob in den Bergen oder im Unternehmen – hat mit Vertrauen zu tun. Hängen Bergsteigende im Seil, vertrauen sie dem Bergführer, die richtige Spur zu ziehen. Ein Bergführer weiss, wann er am kurzen oder langen Seil führen, eine Pause einlegen oder jemanden zurückholen muss, der die Spur verlassen hat. Das sollten Führungskräfte in Unternehmen auch tun.

Wie vermitteln Sie Wertschätzung?

Wichtig ist das Vertrauen, das man Mitarbeitenden entgegenbringt. Konkret heisst das: Mitarbeitende nicht schräg anzuschauen, weil sie um viertel nach acht, statt um acht Uhr eintrudeln. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass sie länger arbeiten. Darüber hinaus verunsichern Zeiterfassung, Reportings und Forecasts sowie Jahresendgespräche mit seltsamen Excel-Tabellen Mitarbeitende. Wertschätzung geht anders. Man kann sie auf viele Arten zeigen – nur nicht über Vorschriften oder allein über das Portemonnaie.

Wie wissen Sie, ob es Ihren Mitarbeitenden gut geht? Haben Sie ein betriebliches Gesundheitsmanagement?

Hört man sich im Team um und hat ein Vertrauensverhältnis zu seinen Mitarbeitenden, kommen Dinge automatisch zu Tage. Dafür braucht es keine Tabelle, Helpline oder dieses und jenes Diplom. Stimmt etwas nicht, merke ich das allein am Verhalten eines Menschen. Hört man zu und stellt die richtigen Fragen, bekommt man auch eine ehrliche Antwort. Frühwarnzeichen sind aber auch Dinge wie vermehrte Kundenreklamationen oder eine Missstimmung im Team.

Weshalb verstecken sich viele Führungskräfte dann hinter Zahlen?

Sie haben Angst davor, Regeln zu brechen. Wer Unternehmensführung, Marketing und Wirtschaft gelernt hat, hält sich an Modellen fest und meint damit, das Richtige zu tun. Bewegen sie Führungskräfte innerhalb der vorgegebenen Leitplanken, gibt es zudem keine Kritik und der Bonus ist sicher. Doch der Erfolg kommt nicht vom Folgen - sondern vom Mut, auf Herz und Bauch zu hören und auch mal unkonventionelle Wege zu gehen.

Worüber werden Sie an der BGM-Tagung sprechen?

Meine Führungsphilosophie, wie diese in der Praxis aussieht und dass unser Erfolgsgeheimnis nicht in einem ausgeklügelten Businessplan liegt, sondern an unserer wertebasierten Führung und der Leidenschaft unserer Mitarbeitenden für ihren Beruf.