HR Today Nr. 6/2021: Thema – Learning I

In kleinen Schritten an die Spitze

Sportler, die es aufs Podest schaffen wollen, müssen sich kontinuierlich verbessern. Ex-Skistar Marc Girardelli über die Arbeit an sich selbst und die Parallelen zur Arbeitswelt.

Wer im Sport zur Elite gehören will, investiert viel in seine Entwicklung. Das hat seine Tücken. Man kann seine Leistung beispielsweise falsch einschätzen.

Marc Girardelli: Das stimmt. In meinem Fall fehlte der Vergleich mit anderen Athleten. Da ich kein Mitglied eines grossen Ski-Teams war, bildete ich mit meinem Vater ein Mini-Team. Wir mussten alle Trainings alleine analysieren und konnten nicht auf Einschätzungen Dritter zurückgreifen. Das hatte Folgen, die uns erst später klar wurden. So passierten uns ab und zu Fehler, beispielsweise, wenn wir neues Material testeten oder eine neue Technik ausprobierten. Unbewusst wollte ich wohl, dass ich dadurch schneller werde. Beim Testlauf gab ich deshalb mehr Gas, während mein Vater die Zeit mit der Handstoppuhr zu früh anhielt. Hier zwei Zehntelsekunden, dort zwei Zehntelsekunden: Das klingt nach wenig. In der Summe war es aber eine ordentliche «Zeitverbesserung». Im Grunde eine klassische Selbsttäuschung. Damit entfernten wir uns immer weiter vom Ideal.

Wie lässt man Betriebsblindheit hinter sich?

Beschäftigt man sich zu lange mit einem einzigen Thema, bekommt man einen Tunnelblick und sieht das Wesentliche nicht mehr. Dazu braucht es manchmal mehr Abstand. Müsste ich mich wieder auf eine Rennsaison vorbereiten, würde ich deshalb nicht nur auf Schnee trainieren, sondern mindestens drei Monate pro Jahr Ersatzsportarten wie Langlauf auf Asphalt, Skateboard oder Radfahren pflegen.

Erfolg macht auch selbstgefällig ...

Diesen Luxus hatte ich nie (lacht). Ich musste immer für meine Siege kämpfen und mich gegen Ausnahmekönner wie Ingemar Stenmark, Pirmin Zurbriggen oder Alberto Tomba behaupten. Deshalb blieb mir nie viel Spielraum. Sie waren ja auch Perfektionisten, die einen ersten Platz anstrebten. Ein zweiter befriedigte sie nicht. Deshalb hatte ich oft nur einen knappen Vorsprung.

Im Sport machen Kleinigkeiten den Erfolg aus. Welche haben Sie besonders weit gebracht?

Der Wille, an meine Grenzen zu gehen und mich nicht von Schmerzen oder Widrigkeiten ausbremsen zu lassen. Ausserdem half mir meine Neugier. Ich wollte alles ausprobieren, was mich schneller machen könnte. Dafür bin ich auch grosse Risiken eingegangen. Ungeachtet dessen, ob das meinem Körper oder meinem Leben im Allgemeinen schadet. Doping habe ich aber immer abgelehnt und tue es heute noch.

Fehler können unterschiedliche Ursachen haben. Wie zieht man die richtigen Schlüsse?

Indem man keine Angst vor Fehlern entwickelt. Fehler zu machen, ist ganz normal. Beim Skifahren änderte ich oft ein Detail, das zu einem schlechten Ergebnis führte. Das zeigte mir aber den Weg zu einer besseren Strategie. Wenn der Erfolg das Ziel ist, wird er am Ende auch kommen. Dafür braucht es manchmal aber einen sehr langen Atem.

Haben Sie jemals eine eingeschlagene Strategie begraben?

Natürlich. Aber erst nachdem ich eingesehen habe, dass sie nicht zum Erfolg führt. Menschen scheitern häufig, weil sie zu früh aufgeben, nicht weil sie weniger intelligent, schneller oder besser sind. Ihr Durchhaltevermögen hat einfach nicht ausgereicht. Wer es weit bringen will, nimmt für seinen Erfolg deshalb auch Unannehmlichkeiten in Kauf und hört nicht auf Neinsager. Die Aussage «Das hat noch nie jemand gemacht oder das ist unmöglich» beinhaltet die Chance, als erster ein Problem zu lösen. Dieses mag zunächst als unüberwindliches Hindernis erscheinen, man kann es aber auch in Meilensteine unterteilen.

Vor einem Slalom war ich beispielsweise so nervös, dass ich mir keine sechzig Slalomtore merken konnte. Es machte mir Angst, 60 Tore mit vollem Risiko zu meistern. Deshalb habe ich diese grosse Aufgabe in mehrere kleinere unterteilt. Ich konzentrierte mich zunächst nur auf die ersten fünf Tore. Hatte ich nach dem Start diese erste kleine Hürde bewältigt, war es einfacher, die Fahrt bis ins Ziel aggressiv weiterzuführen. Das war vor allem an Tagen wichtig, an denen ich mental nicht gut drauf war. Probleme in kleinere aufzuteilen, nutze ich heute noch im Berufsleben. Fokussiere ich mich auf erreichbare Teilziele, statt auf ein scheinbar unüberwindbares grosses, reduziert das den psychischen Druck enorm.

Durchbeissen ist nicht immer eine Strategie ...

In einer späteren Phase meiner Skikarriere war ich Anfang der 1990er-Jahre übertrainiert. Ich wollte den Erfolg mit der Brechstange erzwingen und habe mich dadurch körperlich kaputtgemacht. Trotz meiner überdurchschnittlich langen Trainings wurde ich in den Rennen immer langsamer. Ich hatte das Gefühl für mein körperliches Befinden verloren. Das merkte ich aber erst, nachdem ich meine Skikarriere nach einer Knieverletzung Anfang 1997 beendete. Mit der Distanz zum Skisport gewann ich eine andere Perspektive.

Das heisst, Erholung ist Ihnen heute wichtiger?

Definitiv. Immer nur im Rad rotieren ist kontraproduktiv. Die besten Ideen und auch Kontakte kamen meist zustande, wenn ich mir eine Pause gönnte. Erholung ist wichtig, um gut zu sein. Deshalb baue ich in meinem Kalender Zeitblocker ein, die ich von geschäftlichen Terminen freihalte. Das resultiert auch daraus, weil ich vor einigen Jahren haarscharf an einem Burnout vorbeigeschrammt bin. Herzklopfen, Kopfweh, Schlaflosigkeit: Ich musste etwas ändern. Die gewonnene Freizeit nutze ich für Radausflüge, um Freunde zu treffen oder Zeit für mich zu haben. Zwei Wochen am Strand zu liegen, wäre hingegen nichts für mich. Ich bin kein Typ, der lange ruhig sitzen kann.

Tipps zum «besser werden»?

Neugierig sein und sich für andere Menschen interessieren. Dabei lernt man am meisten. Wer sich auf ein einziges Fachgebiet fokussiert, kommt ohne Berührungspunkte nicht zu anderen Wissensgebieten. Chancen zum Entwickeln hat, wer vielfältig aufgestellt ist und Know-how auf mehreren Ebenen besitzt.

Inwiefern nutzen Sie diese Strategien im Beruf?

Ich bin sehr kommunikativ und unterhalte mich gerne mit Menschen. Mich interessieren deren Schicksale. Deshalb frage ich mehr, als ich von mir selbst erzähle. So lerne ich von anderen aus der Praxis.

Wie gehen Sie mit Ihren Schwächen um?

Mit Schwächen vergeude ich keine Zeit, sondern kompensiere sie so gut es geht. So habe ich beispielsweise einen Buchhalter engagiert oder eine Haushälterin, die mir helfen, meine Finanzen und mein zu Hause in Ordnung zu halten.

Wie könnten Personalentwickler von Ihren Lernerfahrungen profitieren?

HR-Verantwortliche sollten offener denken, mutiger sein und bei einer Stellenbesetzung auch mal ein Risiko eingehen. Also auf ihr Bauchgefühl vertrauen, statt nur Dokumente und Bewerbungsmappen zu sichten. Der Mensch sollte mehr zählen als ein Mastertitel. Da liegt wahrscheinlich auch das Übel: Im Business fehlt die Menschlichkeit, deshalb sind so viele unzufrieden im Job.

Marc Girardelli

Marc Girardelli (57) ist ein ehemaliger Skirennfahrer aus Österreich, der für Luxemburg gestartet ist. Mit fünf Gesamt­weltcupsiegen, 46 gewonnenen Weltcuprennen, 100 Podestplätzen, elf Weltmeisterschaftsmedaillen und zwei Olympia­medaillen zählt er bis heute zu den erfolgreichsten Skirennfahrern. 1997 zurückgetreten, ist Marc Girardelli heute als Unternehmer tätig. Er hat eine eigene Bekleidungslinie, organisiert Events, ist Helikopterpilot und arbeitet für die Firma Bemer, die Therapiegeräte für die Mikrozirkulation herstellt. Daneben ist er Buchautor und hat zusammen mit einer Co-Autorin drei Krimis geschrieben, die sich im Skirennumfeld abspielen.
marc-girardelli.com
girardelli-events.com

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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