Dass in vielen Unternehmen kein nennenswertes Altersmanagement betrieben wird, deutet darauf hin, dass bei der Unternehmenskultur etwas im Argen liegt: Rund ein Fünftel der älteren Arbeitnehmenden sagten demzufolge, dass sie im Unternehmen zu wenig respektiert würden und es bedauern, ihre Erfahrungen bei Arbeitsabläufen und Projekten zu wenig einbringen zu können. Daneben beobachteten sie Mobbing-Situationen, bei denen ältere Mitarbeitende wegen ihres Alters aus dem Unternehmen gedrängt wurden. Führungskräfte scheinen zudem für das Altersmanagement wenig sensibilisiert zu sein. Während rund 45 Prozent der Arbeitnehmenden ohne Führungsfunktion weitere Massnahmen zum Altersmanagement im Unternehmen forderten, erkannten nur knapp 35 Prozent der Führungskräfte einen Handlungsbedarf.
Kein Vorzeigeland
Dass die Schweiz beim Altersmanagement im Hintertreffen ist, hält auch das Handbuch «Innovation im HR und Career Development von Frauen 45+» der FHS St. Gallen fest, in dem verschiedene Studien zum Thema analysiert wurden und eine Befragung erfolgte. Sibylle Olbert-Bock, Initiatorin des Projekts «Late Careers», ortet die Ursachen in einer «sehr selektiven Personalstrategie, die sich oft auf jüngere Mitarbeitende fokussiert». Unternehmen würden viel in Massnahmen zur Arbeitgeberattraktivität investieren. «Späte Karrieren werden aber selten gefördert», sagt Olbert-Bock. «Oft existieren sogar ungewollt diskriminierende Regelungen.» Etwa, wenn Mitarbeitende in den letzten fünf bis sieben Jahren vor der Pensionierung keine Weiterbildungen oder Sabbaticals mehr beziehen können.
Verknüpfen Unternehmen späte Karrieren mit einer geringeren Arbeitszeit und weniger Verantwortung, verlassen vor allem ältere weibliche Führungskräfte den Betrieb vorzeitig. «Mit etwa 50 Jahren vollziehen etliche Frauen einen Berufswechsel, weil sie der mikropolitischen Spiele im Unternehmen überdrüssig sind», ergänzt Nicole Bischof, Mitautorin des Handbuchs der FHS St. Gallen.
Auch für Ursula Häfliger, Mitautorin des Leitfadens «Smartes Altersmanagement für das Unternehmen 2.0» und Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband, löst das Festhalten der Firmen an überkommenen Altersklischees Kopfschütteln aus: «Es gibt Unternehmen, die einen Fachkräftemangel beklagen, aber das interne Potenzial der älteren Mitarbeitenden nicht nutzen, obwohl diese durchaus lernfähig und -willig sind. «Das ist eine verpasste Chance, die uns volkswirtschaftlich noch einholen wird.»
Dennoch ortet Häfliger leise Fortschritte. «Die Schweiz befindet sich zurzeit in einem Kulturwandel.» So gelte jemand, der eine Veränderung suche, heute nicht mehr automatisch als unzuverlässig. Allerdings bringe man ältere Arbeitnehmende immer noch mit Qualitäten wie Loyalität oder Verlässlichkeit in Verbindung, weniger mit solchen wie Agilität. «Das zeigt, dass es noch etwas Zeit braucht, bis sich die Idee der Alterskarriere in den Firmen durchgesetzt hat.»
Jugendwahn und Karriereleiterdenken
Cornelia Klossner, Senior Consultant bei Avenir, befürchtet, dass die Not für eine Verhaltensveränderung in den Betrieben nicht genügend gross ist. «Das wird sich wohl noch ändern.» Noch herrsche in vielen Firmen ein Jugendwahn und eine Glorifizierung der Führungskarriere. Wurden in den 80er- und 90er-Jahren nach Konzepten gesucht, die das vorzeitige Ausscheiden aus dem Betrieb begünstigen, müssten diese nun darauf ausgerichtet werden, berufliche Fähigkeiten und Kompetenzen älterer Arbeitnehmender bis ins hohe Alter zu fördern und zu erhalten.
Karrieren in der Lebensmitte seien als komplexe Managementaufgaben zu verstehen. «Firmen müssen der vielfach wahrgenommenen Perspektivlosigkeit älterer Mitarbeitender begegnen und sie in die Personalentwicklung einbinden», sagt Klossner. Offen bleibe, ob Unternehmen das auch in unsicheren Zeiten ernst nehmen und systematisch verfolgen, oder ob Arbeitnehmende unter dem Deckmantel der Eigenverantwortung ohne Unterstützung auskommen müssen. Um Alterskarrieren in den Firmen voranzutreiben, sei jedoch auch die Politik gefordert. «Der Druck auf Arbeitgebende muss steigen. Nur das Rentenalter zu erhöhen, genügt nicht.»
Ein erster Schritt, um Alterskarrieren in Schweizer Firmen zur Normalität werden zu lassen, ist für Cornelia Klossner der kulturelle Wandel. «Firmen müssen eine positive Einstellung zum Älterwerden haben. Das kann nicht einfach beschlossen werden, sondern hat mit einer entsprechenden Grundhaltung im Betriebsalltag zu tun.» Etwa, indem ältere Mitarbeitende nicht als Kostenfaktoren, sondern als wichtiger werdende Leistungsressourcen betrachtet werden und dementsprechend im mittleren und höheren Lebensalter auf breiter Basis von einer Karriereentwicklung profitieren.
Auch die Politikverantwortliche des kaufmännischen Verbands und Geschäftsführerin der «Plattform», Ursula Häfliger, fordert einen Kulturwandel in den Betrieben: «Es muss ein Bewusstsein dafür herrschen, dass die berufliche Entwicklung auf den zeitlichen Horizont vom Berufseinstieg bis zur Pensionierung oder danach ausgelegt ist.» Das brauche Mut. «Von den Vorgesetzten, vom Team, von der Familie, aber auch vom Staat und von der Gesellschaft.»
Ob ältere Arbeitnehmende gefördert werden oder nicht, hängt massgeblich von deren Vorgesetzten ab, wissen Sibylle Olbert-Bock, Nicole Bischof, Ursula Häfliger und Cornelia Klossner. «Das hat hauptsächlich mit der Einstellung der Führungspersonen zu tun», sagt Klossner. «Solange Führungskräfte nicht bereit und fähig sind, das Potenzial älterer Mitarbeitender differenziert wahrzunehmen und zu nutzen, wird Älteren der Verbleib und Zugang zur Beschäftigung verwehrt oder zumindest erschwert.»
Vorgesetzte haben bei der Karriereplanung jedoch auch eine Vorbildrolle. «Sie leben vor, was es bedeutet, die eigene Karriere altersunabhängig zu gestalten.» Deshalb müssten Führungskräfte, ältere Mitarbeitende durch kontinuierliche Gespräche und konstruktives Feedback dazu bringen, sich vermehrt mit ihrer Entwicklung zu beschäftigen und sie auf interne und externe Möglichkeiten wie berufliche Laufbahnplanungen aufmerksam zu machen. «Dazu braucht es auch mehr Transparenz», ergänzt Sibylle Olbert-Bock. Diese betreffe vor allem die sich verändernden Anforderungen an bestehende Funktionen, Veränderungen in der Organisationsstruktur oder zu neu entstehenden Aufgabenbereichen, in die sich Mitarbeitende hinein entwickeln können.
Ausnahmemodell Alterskarriere
Doch nicht überall werden Alterskarrieren stiefmütterlich behandelt. So kennt die Baloise Alters- und Teilzeitkarrieren schon seit 2018. Seither können Führungskräfte bereits mit 58 Jahren von ihrer Führungsfunktion zurücktreten, neue Aufgaben übernehmen oder gleichzeitig ihr Pensum reduzieren. Dabei wird zwar der Lohn an die neuen Umstände angepasst, die bisherigen Pensionskassenbeiträge werden vom Versicherer allerdings weiterhin bezahlt: «Damit bewahren wir den Besitzstand der Mitarbeitenden, die an diesem Programm teilnehmen», sagt Stephan Walliser, HR-Leiter bei der Baloise Schweiz. Von diesem Angebot profitieren nicht nur Führungskräfte, sondern auch Mitarbeitende wie Versicherungsexperten oder Sachbearbeiter.
Noch braucht es einen internen Schubs, damit Alterskarrieren bei den Baloise-Mitarbeitenden vermehrt auf Gehör stossen. Deshalb bemüht sich Stephan Walliser besonders, die Geschäftsleitung dafür einzunehmen. «Je mehr Alterskarriere-Vorbilder wir haben, desto salonfähiger wird das Modell im Unternehmen.»
Es brauche aber auch ein gesellschaftliches Umdenken. «Zu viele Arbeitnehmende und Arbeitgebende haben immer noch eine hierarchische Karriere im Kopf. «Bei der Baloise wollen wir dieser Vorstellung mit unserer Firmenkultur entgegenwirken.» Die Karrieremöglichkeiten älterer Mitarbeitender sind für Stephan Walliser endlos und entwickeln sich ständig: «Einerseits nimmt der Wert der hierarchischen Führung in agilen Teams ab, andererseits verändern sich die Anforderungsprofile. Das erfordert ein ständiges Erlernen neuer Fähigkeiten.»