Klasse statt Masse: Rekrutierungsstrategien 3.0
Den geeigneten Kandidaten zu finden, gestaltet sich oft wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. Die Mittel und Wege dazu sind vielzählig. Doch auf welche Instrumente soll man setzen? Wie vermeidet man die Masse und beschafft Klasse? HR Today hat drei Experten befragt.
Mit Käse fängt man Mäuse, und mit ausgedachten Rekrutierungsstrategien die richtigen Kandidaten. (Foto: Thinkstock)
Viele Personaler beklagen sich über eine Flut an Dossiers – oder erhalten erst gar keine; je nach Stellenprofil. Das wirft tiefgreifende Fragen zur Gestaltung der Suche auf: Erste Hinweise gibt die schweizweit durchgeführte Studie von jobs.ch, die im Januar 2014 erschienen ist und an der 445 Personaler teilgenommen haben. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: So setzen 96 Prozent der HR-Fachleute auf Job-Portale, um Personal anzuwerben und 72 Prozent nutzen die Unternehmens-Website im Rekrutierungsprozess. Gleich dahinter folgen Personaldienstleister, mit denen 53 Prozent der Personaler zusammenarbeiten. Social Media fristen im Rekrutierungsprozess weiterhin mehrheitlich ein Schattendasein: Nur 22 Prozent setzen diese aktiv ein. Für 53 Prozent der HR-Fachleute spielen Social-Media-Instrumente keine Rolle. 73 Prozent haben nach wie vor kein Budget für Social-Recruiting-Massnahmen eingeplant.
Inserat schalten und beten
So scheint das «Post and Pray»-Prinzip weiterhin recht aktuell zu sein: Stelleninserat auf einem Job-Portal aufschalten und beten. Damit bleiben die Unternehmen jedoch weit hinter den Möglichkeiten zurück, welche die sich auf dem Markt befindlichen Tools bieten und verpassen es, mit potenziellen und auch nicht aktiv suchenden Kandidaten direkt in Kontakt zu treten. Angesichts des vielbeschworenen Fachkräftemangels liegt hier noch einiges im Argen.
Dazu Matthias Mäder, Geschäftsführer der Prospective AG, Spezialist für Recruiting Solutions: «Das grosse Potenzial der Stellensuchenden, die einem Stellenwechsel nicht abgeneigt sind, wird mit den gängigen Job-Portalen bei weitem nicht erschlossen.» Und das sind doch mindestens 35 Prozent der 4,5 Millionen Schweizer Erwerbstätigen, die das Bundesamt für Statistik ausweist. So finden Inserate auf generalistischen und fachspezifischen Job-Portalen zwar eine weite Verbreitung und fördern die Bekanntheit des Unternehmens, bleiben jedoch von der Mehrzahl jener Personen unbeachtet, die nicht auf aktiver Stellensuche sind.
Diese Meinung teilt auch Andrea Iltgen, Managing Director bei der Social-Media-Agentur Xeit AG. Trotz dieses Nachteils bleiben Job-Portale aus ihrer Sicht weiterhin die wichtigste Anlaufstelle für Stellensuchende und Arbeitnehmer. «Job-Portale haben sich am Markt etabliert und verlieren ihre Bedeutung nicht so schnell, auch wenn daneben andere Rekrutierungsinstrumente in den Markt drängen.» Immer häufiger werde allerdings auch nach Stellen gegoogelt, weshalb sich Arbeitgeber bemühen sollten, ihre Recruiting-Sites zu optimieren, damit alle offenen Stellen weit vorne in den Google-Suchresultaten erscheinen.
Thomas Paszti ist als Pionier und Gründer der vertikalen Plattformen medienjobs.ch und ictjobs.ch naturgemäss ein Fürsprecher von Job-Plattformen, bestätigt aber auch die zuvor gemachten Aussagen: «Job-Portale sind im klassischen Sinn Marktplätze, auf denen Angebot und Nachfrage zusammen kommen. Je grösser und bedeutender ein solcher Marktplatz, desto attraktiver ist dieser.» Schwächen ortet er bei Ausschreibungen auf horizontalen Plattformen, in der unübersichtlich grossen Menge, die es den Unternehmen erschwert, sichtbar zu bleiben.
Persönliche Netzwerke gewinnen an Bedeutung
Dass das persönliche Netzwerk der HR-Verantwortlichen und der Mitarbeiter eines Unternehmens vor allem bei der Besetzung kritischer und schwierig zu besetzender Stellen wichtiger wird, darüber sind sich die Experten einig: «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Informatiker einen anderen Informatiker seines Fachbereichs kennt, ist recht hoch und der Streuverlust, die Kosten und das Risiko einer Fehleinstellung sind dabei sehr gering», erläutert Matthias Mäder diese Strategie. Schliesslich sei der Mitarbeitende ja motiviert, für «sein» Unternehmen Werbung zu machen und hafte als Empfehlender mit seinem Namen.
Zusätzlich biete dieses Vorgehen die Möglichkeit, einen Pool an potenziellen Kandidaten aufzubauen, auf den man bei Bedarf zurückgreifen könne. «Mitarbeitende einer Unternehmung sind einfach die glaubwürdigsten Empfehler», bestätigt Thomas Paszti. Und Social-Media-Expertin Andrea Iltgen ergänzt: «Im Zuge der weiteren Verschmelzung von Arbeit und Freizeit wird die persönliche Komponente eine bedeutendere Rolle spielen. Mitarbeiter wollen sich im Team wohlfühlen. Entsprechend werden persönliche Empfehlungen auch über soziale Netzwerke wichtiger.»
Xing und LinkedIn: Umstrittene Direktansprache
Die Direktansprache über Xing und LinkedIn ist allerdings nicht unumstritten. So gibt Prospective-Chef Matthias Mäder zu bedenken, dass bei der Direktansprache über Berufsnetzwerke der «Schuss auch nach hinten losgehen kann». Dann nämlich, wenn potenzielle Kandidaten laufend von Anfragen überhäuft werden. Und Andrea Iltgen warnt: «Auch der Aufwand der Direktansprache darf nicht unterschätzt werden. Zudem sind nicht alle Branchen- und Berufsgruppen auf diesen Portalen gleich gut vertreten. Die professionellen sozialen Netzwerke bieten somit keine vollwertige Alternative zu herkömmlichen Rekrutierungsinstrumenten, sondern sind ein weiteres Instrument im Rekrutierungsprozess.» Auch Thomas Paszti sieht die Business-Plattformen vor allem bei schwierig zu besetzenden Stellen als Ergänzung im Marketing-Mix.
Newcomer: Nutzermasse entscheidet
Und wie steht es mit den Newcomern wie Buddybroker, Recomy oder Silp, die sich im Schlepptau der genannten Social-Media-Kanäle auf die Vermittlung oder Verbreitung von Stellen spezialisiert haben? Sowohl für Matthias Mäder, Andrea Iltgen wie auch für Thomas Paszti ist für deren Markterfolg entscheidend, wie schnell diese Unternehmen eine kritische Nutzermasse erreichen. Das sei sicherlich eine Frage des Geschicks, des Geldes, der Ausdauer, aber wohl auch des Glücks, meint Andrea Iltgen. Diese Ansicht teilt auch Thomas Paszti: «Bei Social-Recruiting-Diensten herrscht derzeit eine Goldgräberstimmung. Zahlreiche Dienste poppen auf, verharren aber oft in der Bedeutungslosigkeit. Ein funktionierender Marktplatz braucht eine kritische Grösse. Diese zu erreichen, ist jahrelange Knochenarbeit, deshalb betrachte ich Dienste mit vollmundigen Versprechungen etwas kritisch.» Wer sich über die Qualität einer Plattform nicht sicher sei, solle doch einen Kunden befragen oder in seinem eigenen Netzwerk Meinungen dazu einholen, empfiehlt Paszti.
Fazit: Der Marketing-Mix macht’s
Vor der Wahl der idealen Instrumente im Recruiting-Marketing-Mix stehe immer die Frage, wo sich die Zielgruppe bewege und wie diese ticke. Danach gelte es, «einen passenden Marketing-Schlachtplan zu entwerfen», so die Empfehlung von Matthias Mäder. «Die Mitarbeitersuche wird zunehmend crossmedial erfolgen und von Fall zu Fall abgestimmt auf den Schwierigkeitsgrad der zu besetzenden Stelle», lautet auch die Einschätzung von Thomas Paszti. «Bei der Wahl der Rekrutierungskanäle sind die Marktführer in ihrem Umfeld, sicher keine schlechte Wahl.»
«Erstaunlich» sei, «dass immer noch sehr viele Unternehmen keine Erfolgsmessung in der Rekrutierung betreiben», stellt Andrea Iltgen fest. Dabei gäben Kennzahlen wie die Anzahl eingegangener Bewerbungen, «Cost per hire» oder «Time to hire» reichlich Hinweise auf die Effektivität des gesamten Recruitings und der gewählten Kanäle. Sollte eine Stelle mal wirklich schwierig zu besetzen sein, gehe es auch darum, «ungewöhnliche Wege» zu beschreiten und etwa dort zu inserieren, wo sich potenzielle Mitarbeitende aufhalten. «Zum Beispiel in einem Internetforum für Informatiker.»