HR und Innovation

Kreativität stellt Bedingungen

Ob global oder lokal: Die Umgebung eines Unternehmens verändert sich immer 
rasanter. Gefragt sind Flexibilität, Innovationskraft und geistige Frische. Doch die 
nötigen Einfälle kommen nicht zum Nulltarif.

Wenn ein Unternehmen möchte, dass Mitarbeitende gute Ideen finden und Gewinn bringend umsetzen, sollte es den sicheren Boden dafür bereiten und das kreative Potenzial der Mitarbeitenden fördern. Kreativität wächst mit der Erlaubnis zu allen Gedanken, Gefühlen, Ideen – gerade auch den nonkonformen. Die Nagelprobe lautet: Weiss das Unternehmen Querdenken zu schätzen? Ist es bereit, sich immer wieder in Frage zu stellen? Ist es auch unbequem erscheinenden Veränderungen gegenüber aufgeschlossen?

Manches vorschnelle «Ja» zieht ein «Aber» hinter sich her. Die Kreativen sind vielen nicht geheuer, nie weiss man, was aus dieser Ecke kommt. Der moderne Mensch ist zur Normalität erzogen, zu Rationalität und Vorhersagbarkeit, den «natürlichen Feinden» der Kreativität. Kreativität stört die Ruhe der alltäglichen Routine und der Nicht-Lösung. So gesehen ist Kreativität ein Risiko, das man wollen muss.

Schreckgespenst «Fehler»

Wollen sollte, denn Mitarbeitende wie Firmen definieren sich mehr denn je über die Qualität ihrer Ideen. Eigentlich Grund genug, dem schöpferischen Prinzip breiten Raum in der Unternehmenskultur zu verschaffen. Im Grunde weiss das jede Führungspersönlichkeit und doch lauert da eine Zwickmühle: Wer sich vom Gewohnten verabschiedet, betritt Neuland. Das bedeutet Unsicherheit und Risiko. Jeder Wandel hat Auswirkungen, die sich nur teilweise prognostizieren lassen. Im schlimmsten Fall stellt sich hinterher alles als ein grosser Irrtum heraus.

In erster Linie ist es die Angst vor Fehlern, die in vielen mitteleuropäischen Unternehmen die Kreativität ausbremst. Erhebungen zeigen, dass hier im Gegensatz zur US-amerikanischen «Kultur der zweiten Chance» die Hälfte aller Ideen schon in der Umsetzungsphase aus Angst vor dem Scheitern aufgegeben wird.

Entsprechend schwer haben es ungewöhnliche Ansätze. Um ihrer Kreativität und der Kreativität ihrer Mitarbeitenden eine Chance zu geben, müssen besonders Führungskräfte mit der Sorge vor Fehlern leben und sich mutig auf das Risiko und die Unsicherheit einlassen.

Kultur und innere Haltung

Unsere Kultur bietet dafür keine grosse Unterstützung. Ganz anders als wiederum in den USA zieht die Mehrheit der Europäer einen Job mit niedrigem Risiko etwa der Selbständigkeit vor. Die gute Nachricht: Jedes Unternehmen, jede Familie und letztlich jeder Mensch hat darüber hinaus seine eigene Kultur und kann sie verändern, wenn der Nutzen erkennbar ist. Der liegt auf der Hand, denn die Arbeitswelt verändert sich dramatisch und Firmen wie Mitarbeitende müssen schauen, dass sie füreinander attraktiv bleiben.

Mitarbeitende mit Potenzial werden so lange bei ihrer Firma bleiben, wie sie sich dort fachlich und persönlich weiterentwickeln können. Die dazugehörige Betriebskultur aus Kooperation, Risikobereitschaft und Wertschätzung für Diversität befreit das Schöpferische aus der Tagesstruktur mit ihren schematischen Anforderungen und manch fragwürdiger Ansicht von richtig und falsch. Sie fordert und fördert das Schöpferische jedes Mitarbeiters oder jeder Mitarbeiterin.

Kreativität ist Motor jeglicher Evolution und daher tief im menschlichen Sein verankert. Wer seine Kreativität berührt, trifft seinen Möglichkeitsraum und erinnert sich, wer er sein könnte. Er erschliesst sein Potenzial, und das liegt bekanntlich nicht ausserhalb, sondern innerhalb der Persönlichkeit. Dort, und nicht im Bereich der (gut abgedeckten) Fachthemen, wartet der mit Abstand grösste Raum für Weiterentwicklung.

Wege aus dem Krea-Tief

Ein Unternehmen hat viele Hebel, um den Ideenreichtum seiner Mitarbeitenden auf allen Ebenen zu fördern. Zum Beispiel:

  • Mehr Arbeit in Projektteams, Ausschreibung von Projekten
  • 
Regeln für ein ideenförderndes und wertschätzendes Miteinander über alle Ebenen hinweg
  • 
Einsatz von Kreativstrategien und -techniken
  • 
Grössere Entscheidungsspielräume und mehr Verantwortung für die Mitarbeitenden, Übertragung von herausfordernden Aufgaben
  • 
Umfrage bei den Mitarbeitenden, was sie für ihre Kreativität benötigen, Umsetzung der Ergebnisse
  • 
Einbau von Phasen der Entspannung, der Bewegung und des Spiels in den Arbeitstag
  • 
Ideensammlungen (etwa im Intranet oder bei Meetings), Schaffung von verschiedenen Plattformen für den freien Austausch
  • Teambuilding und Teamcoaching
  • 
Strukturen flexibilisieren. Beispiel: Einen Teil ihrer Arbeit schaffen Mitarbeitende an einem Ort und zu einer Tageszeit ihrer Wahl.
  • 
Ideenfördernde und kommunikative Arbeitsplätze
  • 
Gezielte (freiwillige) Potenzialentwicklung von Mitarbeitenden durch Coaching und Seminare über die reine Wissens- und Methodenvermittlung hinaus. Im Bereich Kreativität geht es dabei weniger um die Vermittlung von Kreativitätstechniken als um eine Haltung, die dauerhaft Ideenreichtum begünstigt.

Die innere Haltung ist entscheidend. Werden solche Hebel nur halbherzig betätigt, spüren das die Mitarbeitende und der Erfolg bleibt übersichtlich.

Der kreative Prozess

Kreativ ist jeder, ob er es merkt oder nicht. Kreativität ist alltäglich, nämlich die Kombination von vorhandenen Dingen auf neuartige Weise – im Grossen wie im Kleinen. Zum Beispiel die Lokomotive als Kombination von Dampfmaschine und Radantrieb. Immer wieder fügen wir Dinge auf neuartige Weise zusammen, mal bewusst, mal unbewusst in Träumen, «Fehlleistungen» oder einfach so bei Sport und Spiel. «Es» ist also da.

Wer laufend gute Einfälle hat, dem darf eine hilfreiche innere Kreativstrategie unterstellt werden. Wer dem zunächst auf die Sprünge helfen möchte, findet Unterstützung in der Idealstruktur des kreativen Prozesses. Der beginnt mit der Anerkennung des Ist-Zustandes und der Formulierung eines klaren Ziels.

Dann sind Lösungsansätze gefragt (Phase 1). Dem freien Ideenfluss kann eine geeignete Kreativitätstechnik helfen. Regeln sorgen dafür, dass alle Einfälle ihr Recht haben, seien sie noch so abwegig. Entfernung vom Problem und Masse statt Klasse sind weitere Sehhilfen für den Blick über den Tellerrand hinaus. Mit dem Informationsstrom stellen sich immer auch solche Ideen ein, die das Problem einer guten Lösung näher bringen. Ist die Sammlung der Ideen beendet, kommt Phase 2, die (gedankliche) Umsetzung, an die Reihe.

Warum hier noch kein Aussortieren? Unser kritischer und an rationalem Handeln orientierter Verstand scheut den Aufwand, sich mit scheinbar absurden Ideen auseinanderzusetzen. Schnell fallen Killerargumente wie «zu teuer» oder «unrealistisch». Wer indes einem vermeintlich abwegigen Einfall eine Chance gibt, erkennt dessen Potenzial oder nimmt ihn als Brücke zu weiteren Ideen. Oder befindet, dass der Gedanke tatsächlich nicht weiterhilft – dann aber wurde wenigstens kein Ansatz leichtfertig verschenkt.

Diese Bewertung gehört schon zu Phase 3: Wenn Ideen mental realisiert sind, ist Kritik an der Reihe. Alle Ansätze werden auf Stimmigkeit geprüft und in ihren Auswirkungen eingeschätzt. Hierzu gehört auch, sich in alle Betroffenen, besonders den Kunden, hineinzuversetzen und sich von dieser Warte aus selbst Feedback zu geben. Das hilft, das Risiko besser einzuschätzen. Beanstandetes fliegt nicht in den Papierkorb, sondern wird, wenn es Potenzial hat, neu in den Kreislauf eingespeist; weiter bei Phase 1. Mit der Zeit bahnt diese Strategie der kreativen Haltung den Weg, je konsequenter sie umgesetzt wird, desto schneller.

Schauen, hinhören, entschleunigen

Gute Ideen brauchen Aufmerksamkeit. Was nützen geniale Einfälle, wenn sie in der Alltagshektik nicht wahrgenommen oder vorschnell abgewiesen werden? Wir haben gelernt, Eindrücke sofort zu interpretieren und zu bewerten. Das hilft bei der ökonomischen Bewältigung des Alltags, bedeutet aber auch Einschränkung der Wahrnehmung, denn profundes Wahrnehmen klappt nur in einem Zustand der Geistesgegenwart im wörtlichen Sinn. Ansonsten ist das Handeln nicht immer angemessen und die Intuition wird blockiert. Wer dagegen beginnt, inneren Bildern, der inneren Stimme oder den Gefühlen Raum zu geben, verbindet sich mit seiner Kreativität und tut etwas fürs Selbstvertrauen.

Wahrnehmung und Kreativität brauchen Momente der Entschleunigung. Lösungen lauern überall, doch die guten Ideen brauchen das zeitweilige Umschalten vom gewohnten Sende- auf den Empfangsmodus. Stattdessen gibt sich der Mensch jene sprichwörtliche Mühe, die in puncto Ideenfindung eher kontraproduktiv ist, denn sie bremst den kreativen Flow. Entschleunigung zur rechten Zeit entspannt den Geist und erzeugt einen Sog für gute Einfälle.

Es ist erwiesen, dass das Gehirn ratiofreie Zeiten braucht, um Geistesblitze liefern zu können; Zeit ist eben Geld. Solche Geistesblitze tauchen seltener im Stress auf als in einer Pause oder bei entspanntem Tun. Dann ist mehr Raum für Intuition, die auch im Berufsleben immer anerkannter wird. Sie entspringt ganzheitlichem Denken und gleichzeitiger Wahrnehmung und beides ist angesichts wachsender Komplexität unverzichtbar geworden. Der logische Verstand alleine stösst schnell an seine Grenzen. «Kopflosigkeit», das spontane, intuitive Handeln aus der Situation heraus, ist übrigens weniger planlos als allgemein befürchtet: Hirnforscher wissen, dass die Ad-hoc-Entscheidung oft besser ist als die sorgsam abgewogene.

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Klaus Rentel (Stein am Rhein) ist Trainer für Kreativität (das «Tellerrand-Training») und professionelles Schreiben.

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