HR Today Nr. 6/2019: Teamwork

Marc Girardelli: «Loyalität ist das Wichtigste.»

Seine unzähligen Medaillengewinne sind in die Geschichte eingegangen, während sein Status als erfolgreichster Skirennfahrer bis vor kurzem unangefochten blieb. Doch was steckt hinter seinem Erfolg? Ein Gespräch mit Ex-Skiprofi Marc Girardelli.

Seine unzähligen Medaillengewinne sind in die Geschichte eingegangen, während sein Status als erfolgreichster Skirennfahrer bis vor kurzem unangefochten blieb. Doch was steckt hinter seinem Erfolg? Ein Gespräch mit Ex-Skiprofi Marc Girardelli.

«Wenn man Erfolg hat, wird man etwas nachlässig», sagt Marc Girardelli mit einem Lachen im Gesicht. Er muss es wissen, denn kaum ein anderer Skirennfahrer ist derart oft auf dem Siegerpodest gestanden wie er. In einem Unternehmen sei dies nicht anders. «Wenn es gut läuft, muss man peinlich genau darauf achten, dass man noch besser wird und sich von der Konkurrenz absetzt.» Dazu brauche es vor allem viel Enthusiasmus. «Wer nur rational an einem Ziel arbeitet, ist nicht wirklich gut. Emotionen sind wichtig, um über lange Zeit hinaus einen übermässigen Einsatz erbringen zu können.» Etwas, das im Geschäftsumfeld vernachlässigt werde. «Ich kenne nur wenige Beschäftigte, die für ihre Erfolge kämpfen, aber viel mehr Leute, die Arbeit nach Vorschrift machen.» Das heisst für ihn: lange Pausen und bereits ab Freitagmittag nicht mehr erreichbar sein. Eine angenehme Lebensweise. Nur: «So schlägt man die Besten nicht.»

Um seine Erfolge muss Marc Girardelli von Beginn weg auf mehrfacher Ebene kämpfen. Beispielsweise damit, dass sein kleines Team, bestehend aus ihm, seinem Vater und einem Servicefachmann, alles selbst organisiert: Sie planen internationale Reisen, halten nach geeigneten Trainingsgeländen Ausschau, testen Abfahrtsskis, erstellen Videos oder transportieren das Trainingsmaterial an den Bestimmungsort. Letzteres erweist sich oft als reine Tortur. Beispielsweise, als er in Zermatt trainiert und die Bergbahnen dreimal hoch und runter fahren muss, bis das 200 Kilogramm schwere Material auf 3900 Metern bei der Bergstation angelangt ist. Von dort müssen sie es noch durch einen 200 Meter langen Tunnel schleppen. «Das hat mir den Rest gegeben».

Als ebenso nachteilig erweist sich, dass er seine Leistung im Vergleich zu anderen Spitzensportlern nur schwer einschätzen kann, weil er keinem grösseren Team angehört. «Ich wusste nie genau, wo ich stehe.» Sich selbst zu motivieren, statt sich gegenseitig zu befeuern, ist eine weitere Herausforderung, der er sich immer wieder stellen muss. «Vier bis sechs Stunden täglich allein zu trainieren ist schwieriger als in einem Team. Durch die interne Rivalität geht ein Sportler viel eher an seine Leistungsgrenzen.» Etwa bei einem 500-Meter-Lauf. «Läuft man viermal allein, rennt man das fünfte Mal nur noch mit halber Kraft.» Sei aber ein schnellerer Teamkollege dabei, taste man sich schneller an eine höhere Leistungsgrenze heran. «Schliesslich will jeder besser als der andere sein.»

Loyalität ist ihm bei der Teamarbeit wichtig und ein Grund, bei einem Vertrauensbruch sofort Konsequenzen zu ziehen. «Wäre unser Servicefachmann ständig bei den Österreichern gesessen, hätte er bei uns ein kurzes Gastspiel gehabt.» Als kleines Team müsse man sich eben zur Decke strecken und dürfe keine Nachteile wie das Ausplaudern von Betriebsgeheimnissen in Kauf nehmen.

Mit dem Erfolg kommen auch Rückschläge. Diese haben für Marc Girardelli durchaus Nützliches: Als Sportler müsse man neue Wege gehen, Experimente machen und Erfindungen nutzen. «Das führt notgedrungen zu Misserfolgen.» Diese seien aber gute Indikatoren, um den richtigen Weg zu finden. So geschehen, als Marc Girardelli 1986 an zwei Super-Gs in Crans Montana beim ersten Rennen drei Sekunden auf die Bestzeit von Peter Müller verliert und nur den 28. Rang erreicht. Und das, obwohl er hundert Prozent Leistung erbracht und keinen Fahrfehler gemacht hat. Allfällige Selbstzweifel weiss das Vater-Sohn-Team umgehend zu bewältigen. «Wir sind zurück ins Hotel und haben unser Video ab drei Uhr nachmittags bis sieben Uhr am nächsten Morgen nonstop Bild für Bild analysiert, um den Fehler zu finden.» Dieser ist bei Morgendämmerung ausgemacht. Er duscht, frühstückt und besichtigt die Super-G-Piste. Zwei schnelle Fahrtests mit sechs Toren sollen vor der Besichtigung des zweiten Super-G Gewissheit bringen, ob sie den Fehler gefunden haben. Die Ergebnisse sehen vielversprechend aus. Auf derselben Piste fährt Marc Girardelli nun anders als am Vortag allen anderen Fahrern davon und gewinnt das Rennen. Eine Strategie und eine Vorgehensweise, auf die Marc Girardelli heute noch stolz ist. «Vom tiefsten Tief ohne Schlaf innerhalb von 24 Stunden einen Weltcup zu gewinnen, war schon speziell. Es kribbelt noch heute, wenn ich daran denke, dass das funktioniert hat.»

Heftige Abstürze wiederholen sich in seiner Karriere. Davon lässt er sich nicht beirren. «Es hilft Gott und der Welt nichts, wenn du deprimiert bist. Damit regelst du nichts.» Ausserdem seien schlechte Ränge gut, um grosse Veränderungen vorzunehmen. «Wird man Vierter oder Fünfter ist das nicht ganz gut, aber auch nicht ganz schlecht. Bei Fünf-Zehntel-Rückstand traut man sich nicht, viel zu verändern. Bei drei Sekunden Rückstand ist einem das ziemlich egal.» Das habe ihm auch viel fürs Leben mitgegeben. «Manchmal muss man einen neuen Weg gehen, wenn der alte nicht mehr funktioniert.» Erkämpfte Siege sind für ihn deshalb immer die besten.

Im Umgang mit Fehlern ist Marc Girardelli gelassen. «Manchmal hat der Servicetechniker beim Skipräparieren einfach in die falsche Tube gegriffen. Das kann passieren.» Wichtig sei, Fehler zu nutzen, um Erfahrungen zu sammeln. Einen Plan zu machen, um Fehler zu vermeiden, bringe hingegen nicht viel. «Die Umweltbedingungen verändern sich viel zu schnell im Skisport.» Was unter den gegebenen Umständen richtig oder falsch sei, könne nur das Wissen bringen, das auf Erfahrungswerten beruhe. Die Schuld auf andere Teammitglieder zu schieben, mache keinen Sinn. «Man muss Fehler analysieren und die Fehlerquelle bei sich selbst suchen. Wenn der Fehler bei anderen liegt, kann man wenig machen. Passiert das öfters, hilft nur ein Auswechseln.» Erfolge ohne Fehler zu machen und ohne die Bereitschaft, ein gewisses Risiko einzugehen, gibt es für Marc Girardelli jedenfalls nicht.

Marc Girardelli

Marc Girardelli (55) ist ein ehemaliger Skirennläufer, der für das Grossherzogtum Luxemburg gestartet ist. Mit fünf Gesamtweltcupsiegen, 46 gewonnenen Weltcuprennen bei 100 Podestplätzen, elf Weltmeisterschaftsmedaillen und zwei Olympiamedaillen zählt er bis heute zu den erfolgreichsten Skirennläufern, der in allen alpinen Disziplinen Erfolge gefeiert hat. 1997 zurückgetreten, ist Marc Girardelli heute als Unternehmer tätig. Er hat eine eigene Bekleidungs-linie, organisiert Events, ist Helikopter-pilot und arbeitet für die Firma Bemer, die Therapiegeräte für die Mikrozirkulation von Blut herstellt. Daneben ist er Buchautor und hat zusammen mit einer Co-Autorin drei Krimis geschrieben, die sich im Skirennumfeld abspielen. marc-girardelli.com, alpin-aktuell.com, bemergroup.com

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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